Köln | Gut gegen Böse – ein ewiges Thema in Literatur, Theater und Film. Das kann so grotesk und rätselhaft sein wie in „Don Quijote“ von Miguel de Cervantes. Simon Solberg hat den vier Jahrhunderte alten Klassiker jetzt im Schauspiel auf die Bühne gebracht. Statt gegen Windmühlen lässt er ihn gegen Tagebau-Bagger kämpfen.

Krampfhafte Modernisierung? Alles andere als das, vielmehr ein fröhlich-unterhaltsamer Parforce-Ritt durch moderne Retter-Mythen.

Per Video gibt es – um nur einige zu nennen – Kurzausschnitte aus „Herr der Ringe“ und „Matrix“, der Breitwandsound der „Winnetou“-Filme wird zitiert und die Musik von „Games of Thrones“. Superwoman gibt einen kurzen Auftritt, und „Der Pate“ hinterlässt seine Spuren. Nicht zuletzt spielen Prinzessin Leia, Chewbacca und Roboter R2D2 aus „Star Wars“ eine entscheidende Rolle. Festgehalten sind diese Geschichten in Tonband- und Videokassetten, die sich auf der Bühne zu einem Kommunikationsberg häufen, unter dem ein alter Wohnwagen steckt.

Mit der Aussicht auf Bio-Pferdeäpfel den Knappen geködert

In dieser wild zusammengewürfelten Messie-Welt sucht Don Quijote (Stefko Hanushevsky) seine Abenteuer. Zuerst aber seinen Knappen. Im Publikum – ein auserwählter Zuschauer darf ihn zum Ritter schlagen – wird er nicht fündig, doch stößt er auf der Bühne auf seinen künftigen, zunächst noch zögernden Sancho Panza (Nikolaus Benda). Dessen Wortschatz besteht zunächst nur aus der Wiederholung von „ok“. Doch dann lässt er sich von der Aussicht auf Bio-Pferdeäpfel, kargen Lohn und eine Statthalterstelle überzeugen und wird im Laufe der Zeit zum wortreichen Zweifler. Das alles im „angstfreien Raum“, diese kleine Spitze gegen die aktuellen Mobbing-Vorwürfe darf dann auch nicht fehlen.

Und so ziehen sie los – optisch ganz anders als erwartet: Sancho im dunklen Drillich ist der Große, Don Quijote im abgetragenen grauen Hausmeistermantel der Kleine. Umgekehrt auch die Pferde, die keine Pferde. Sondern Autoreifen: Don Quijote reitet auf einem kleinen Schlauch, Sancho auf einem riesigen Trecker-Gummi. Irgendwie stimmt das alles nicht und stimmt doch – Realität und Traum gehen beim Bestehen der Abenteuer ineinander über.

Der Titelheld wird zu Stroboskopblitzen durch die Luft gewirbelt

Sehr real ist dagegen das oft slapstickhafte Spiel auf der Bühne – bis hin zu einer artistischen Seilnummer, bei der Hanushevsky zu Stroboskopblitzen durch die Luft gewirbelt wird. Angegriffene Windmühlen wissen sich eben zu wehren – auch wenn sie ganz aktuell Schaufelradbagger sind, mit denen man auch im Sandkasten spielen kann.

Dann ist da noch das Trio aus Don Quijotes Heimatdorf: Teresa (Annika Schilling), der Pfarrer (Benjamin Höppner) und der Barbier (Justus Maier). Sie wollen ihren Nachbarn vom Ritterwahn befreien – was zunächst heißt, ihn vom Medienkonsum abzuhalten. Doch das Zumauern der Bibliothek hilft nicht. Auch nicht der Versuch, als Doppelgänger Don Quijote im Duell zu besiegen. Da darf Maier zunächst seine kräftigen Muskeln in Bodybuilder-Pose zeigen, doch der Zweikampf endet für ihn blutig. Einsichtig wird Don Quijote – so scheint es – erst, als er in die „Star Wars“-Welt gelockt wird. Dafür verwandelt sich der Wohnwagen in ein leuchtendes Raumschiff

Gefangen in Magnetbändern, auf denen die Mythen gespeichert sind

Hat Don Quijote nun die Abenteuer alle wirklich erlebt? Sind es nur Geschichten, festgehalten auf Magnetbändern? Oder ist alles nur üble Zauberei, Phantastereien, die nie in ihre Zeit passen? Die Fragen finden keine Antwort, unentrinnbar wird der Titelheld in die schwarzen Speicherbänder eingewickelt – bis ihn sein Sancho befreit. Denn der weiß: Der Kampf gegen das Böse in dieser Welt ist noch lange nicht beendet.

Und so ziehen beide wieder los – diesmal mit umgekehrten Rollen: Benda ist der Chef, Hanushevsky der Knappe. Und auch sonst stimmt es: Der Don reitet ein richtiges Pferd, der Knappe ein Esel. Nun verwandeln sie sich in Leinwandhelden und reiten dem Horizont entgegen. Hinter dem erheben sich die Arme eines Braunkohlebaggers – die Riesen von heute. Und die müssen weg.

Zu Beginn hatte der Erzähler Benjamin Höppner dem Publikum angedroht, das komplette Werk vorzulesen, was mindestens – inklusive Pausen – 13 Stunden dauern würde. Real gab es keine Pause und das Stück dauerte knapp zweieinviertel Stunden. Danach kräftigen Premierenbeifall für alle, besonders für Hanushevsky und Benda.

„Don Quijote“ – die nächsten Vorstellungen: 10. Juni (16 Uhr), 12., 14., 16. und 22. Juni, jeweils 19.30 Uhr. Schauspiel Köln, Depot 1 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, E-Mail: tickets@buehnenkoeln.de, dazu alle Vorverkaufsstellen. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße

Autor: ehu
Foto: „Don Quijote“: Hinter dem Horizont wartet das nächste Abenteuer – Nikolaus Benda hoch zu Ross und Stefko Hanushevsky auf dem Esel. Foto David Baltzer / Schauspiel