Köln | Nach 30 Jahren kehrt der schwule Philosoph und Soziologe Didier Eribon zurück in seine Geburtstadt. Im Bestseller „Rückkehr nach Reims“ sucht er nach Erklärungen, wie aus den ehemals linken Arbeitern Wählern des Rechtsextremen Front National wurden. Auch, welche Rolle dabei Rassismus und Homophobie spielen. Thomas Jonigk hat das Buch jetzt im Schauspiel als packenden Selbstfindungsprozess auf die Bühne gebracht.

Im Mittelpunkt der packenden, textgetreuen Inszenierung steht Jörg Ratjen Eribon. Er konfrontiert sich mit dem Wandel, den er sich so recht nicht erklären kann. Unterstützt wird er bei dieser Suche nach sich selbst von zwei Alter Egos. Nicolas Lehni und Justus Maier verkörpern nicht nur das jugendliche Wunschbild eines lebenslustigen, selbstbewussten, kraftstrotzenden Homosexuellen, sie liefern auch immer wieder reichlich Zitate von Geistesgrößen wie Genet oder Sartre.

Mit dem Vater ein Leben lang ein Nicht-Verhältnis

Stellvertretend für die Arbeitergesellschaft und ihre Gegensätze stehen Eribons Eltern. Auch mit ihnen muss er sich auseinandersetzen. Mit seinem Vater hat er ein Nicht-Verhältnis. Der hat sich vom Hilfsarbeiter zum Vorarbeiter hochgearbeitet, wird aber schon mit 56 Jahren arbeitslos und stirbt früh nach langer Demenz. Mag er auch nicht viel von Wissenschaft und Politikern halten – als sein Sohn berühmt geworden ist, verteidigt er ihn gegen alle Angriffe, lässt sich zu einer fast gewalttätigen Umarmung hinreißen. Nicki von Tempelhoff ihn voller Wut und – als Demenzkranker – mit großer Verletzlichkeit.

Die Mutter ermöglichte ihm als Einzigem der Kinder ein Studium

Anders die Mutter: eine selbstbewusste, starke und zärtliche Sabine Orleans. Sie hätte den Willen und das Zeug gehabt, Grundschullehrerin zu werden – und landete in der Fabrik. Allein ihrem Einsatz und Fleiß hat Eribon es zu verdanken, dass er studieren konnte, worauf sie sichtlich stolz ist. Notgedrungen sprechen Vater und Mutter nicht mit eigenen Worten, sondern mit denen, die ihnen ihr Sohn in seinem Buch in den Mund legt– das aber durchweg glaubhaft.

Eribon ist hin- und hergerissen: In Paris wird er als Exot bewundert, der den Aufstieg aus der Arbeiterklasse geschafft hat – einer Schicht, die er im Grunde seines Herzens verachtet. Einer Schicht, in der die Menschen nur wie Roboter funktionieren. In einer zehrend langen Szene bearbeiten fünf FließbandarbeiterInnen die deutschen Exemplare Ausgabe des Bestsellers – die am Ende wie Abfall in einem Container landen.

Bei einem gemeinsamen Essen vollzieht sich dann – quälend langsam – der Wandel von der linken Arbeiterschaft zur rechten Wählerschaft. Rassismus und Homophobie waren ihr schon immer eigen, stellt Eribon fest. Und hin- und hergerissen zwischen Herkunft und Selbstwertgefühl gibt ihm am Schluss ein Sartre-Satz die Richtung der in jedem Moment glaubhaft inszenierten – Selbstfindung vor: „Es kommt nicht darauf an, was man aus uns gemacht hat, sondern darauf, was wir aus dem machen, was man aus uns gemacht hat.“

[infobox]„Rückkehr nach Reims“ – die nächsten Vorstellungen: 27. Januar, 1., 2. und 5. März, jeweils 20 Uhr, Depot 2 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, E-Mail: tickets@buehnenkoeln.de, dazu alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße.

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Autor: ehu | Foto: Thomas Aurin / Schauspiel
Foto: Eribon (Jörg Ratjen, M.) und seine beiden jugendlichen Alter Egos (Nicolas Lehni und Justus Maier, r.). Foto: Thomas Aurin / Schauspiel