Köln | Mit viel Beifall gefeiert wurde die Uraufführung von Magdalena Schrefels Stück „Sprengkörperballade“. Andrea Imlers strenge, atmosphärisch dichte Inszenierung ist ein weiteres Glanzlicht für die „Außenspielstätte“ (auch „Saal“ genannt) des Kölner Schauspiels am Offenbachplatz.

Sie hängen aneinander wie die Kletten, unfreiwillig und gewollt, Lösungsversuche scheitern – oder enden tödlich. An drei Frauenpaaren führt Schrefel beispielhaft Abhängigkeitsverhältnisse vor, die einer Selbstfindung der Betroffenen im Wege stehen. Imler verpackt die Geschichte über Erinnerung, Macht, Abhängigkeit und Selbstfindung in weiches Tuch: Breite Stoffbahnen spannen sich quer über die Bühne, sie verhüllen und enthüllen, werden zu Grenzen und schwankenden Hängematten. So können Verstörung und Witz gleichzeitig abgedämpft und verstärkt werden.

Wenn die Tochter der Mutter den Ehemann ersetzen muss

Da sind zum einen Mutter Djana (Nicola Gründel) und ihre Tochter Gina. Beide sind erst vor ein paar Jahren ins Land gekommen, nach kurzer Zeit hat sie der Gatte und Vater verlassen. Djana hat diesen Schock offensichtlich nicht verwunden, immer wieder lässt sie ihre Tochter einzelne Szenen penibel nachspielen, muss Gina die Rolle des Ehemanns übernehmen – bis hin zur sexuellen Handlung. Dass Gina von einem Mann gespielt (Elias Reichert) verstärkt die Absurdität. Doch geht es hier nicht um eine (gestörte) Geschlechterbeziehung.

Ginas ältere Schwester Zabina (Lou Zöllkau) hat nach ihrem Vater ebenfalls die Familie verlassen. Nun lebt sie mehr oder weniger ziellos zusammen mit Bine (Marlene Tanczik): Die könnte ihr Zwilling sein, vielleicht ist sie auch nur eine Illusion, ist Zabinas zweites Ich. Gleich gekleidet und mit gleichen Gesten spiegeln sie einander, streiten darüber, wer als erster was getan hat – und natürlich will Zabina immer Recht behalten. Auch hier geht es darum: Wer die Erinnerung bestimmt, bestimmt auch das Selbstbild des anderen.

Ein ungleiches Paar: Sabine Orléans und Kristin Steffens

Schließlich das dritte Frauenpaar: zwei Frauen, gemeinsam alt geworden, unauflöslich miteinander verbunden durch latenten Sadomasochismus. Ein Paar der Gegensätze, äußerlich ein klassisches Clownspaar – hier die massige, raumfüllende Cookie (Sabine Orléans), dort die kleine, zierliche Fuzzi (Kristin Steffens). Cookie hat das Sagen, nicht nur beim Spielen der alten Kinderspiele. Eins davon endet für Fuzzi tödlich – und Cookie zeigt erstmals echte Gefühle.

Gefangen in ihren Rollen, birgt jede der sechs einen Sprengkörper in sich – doch der explodiert nicht, der Ausbruch in eine neue Rolle bleibt ein Traum.

[infobox]„Sprengkörperballade“
die nächsten Aufführungen: 27. April, 5. und 7.Mai, jeweils 20 Uhr
Schauspiel Köln
Außenspielstätte am Offenbachplatz

Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, E-Mail: tickets@buehnenkoeln.de, dazu alle Vorverkaufsstellen von KölnTicket. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße.

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Autor: ehu | Foto: Ana Lukenda / Schauspiel
Foto: Zwillinge, Schwestern im Geiste, Spiegelbilder oder das doppelte Ich: Marlene Tanczik (l.) und Lou Zöllkau in „Sprengkörperballade“.