Mönchengladbach | Die Tänzer taumeln, winden sich, schleifen sich über den Boden, blicken mit schockierten Gesichtern in Richtung Himmel. Sie stellen den Schmerz von Eltern dar, deren Kinder ums Leben gekommen sind. Die Balletttänzer des Theaters Krefeld/Mönchengladbach spielen im Stück „Verlorene Kinder“ nur das Leid. Es beruht aber auf einer realen Tragödie: Der Kollision eines Frachtflugzeugs und einer russischen Passagiermaschine über dem Bodensee vor zehn Jahren. Damals starben 71 Menschen, darunter 45 Kindern. Das von Theatermitarbeitern komponierte und choreografierte Ballett wird zum ersten Mal am 2. Juli in Moskau im Beisein der Eltern der gestorbenen Kinder aufgeführt.

„Der Schmerz der Eltern ist das Hauptthema“, sagt Choreograf Robert North. Aber Leid sei nichts ohne das Leben davor. Also werden auch Alltagsszenen der Kinder, beispielsweise aus der Schule oder über ihre Talente, gezeigt. Komponist André Parfenov sagt, es sei „wie ein Erinnerungsalbum“. Das Ballett beginnt jedoch mit der Katastrophe, die die Eltern im Stück niederwirft: Die Kollision am 1. Juli 2002.

Dabei starben die 45 Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahren aus Russland, die von Moskau in Richtung Barcelona flogen. Die Jungen und Mädchen sollten für ihre hervorragenden schulischen Leistungen mit einem Urlaub in Spanien belohnt werden. Wegen technischer Probleme und Lotsenfehlern prallten die Maschinen bei Überlingen in etwa 11.000 Metern Höhe zusammen.

Eltern lehnten zuerst ab

„Normalerweise tanzt man keinen Flugzeugabsturz“, sagt North, es sei sehr schwierig umzusetzen gewesen. Das größte Problem sei aber die Frage gewesen: „Kann man darüber wirklich ein Ballett machen?“ Er habe sich schließlich dafür entschieden. „Musik und Kunst und Ballett sind Wege, Gefühle auszudrücken.“

Die Idee zum Stück kam vom Komponisten Parfenov vor zwei Jahren. Er ist in Ufa aufgewachsen, dem Ort, aus dem auch ein Großteil der gestorbenen Kinder stammt. Außerdem hat ein Freund von ihm, Alexander Degtjarew, bei dem Absturz einen Sohn verloren. „Wenn ich das nicht mache, wer macht das?“, habe er sich gedacht. Damals sei ihm allerdings gesagt worden, ein Ballett über die Katastrophe sei nur mit dem Einverständnis der Eltern erlaubt. Diese reagierten zunächst negativ. Parfenov berichtet, er habe ihnen gesagt: „Es ist doch Blödsinn, wenn wir das jetzt einfach vergessen.“ Schließlich schwand die Ablehnung, die Eltern stimmten zu.

Reaktion der Eltern nicht vorhersehbar

Die offizielle Uraufführung von „Verlorene Kinder“ ist für März 2013 in Mönchengladbach geplant. Dann soll das Ballett regelmäßig gezeigt werden, später auch in Krefeld. Ein Verein, der die Interessen der betroffenen Eltern vertritt, hat die Tänzer eingeladen, das Ballett zuerst in Moskau aufzuführen. Da der Freund von Parfenov im Parlament Duma für die Regierungspartei Vereinigtes Russland sitzt, werden an dem Abend 700 geladene Gäste auch aus der Politik erwartet. Parfenov berichtet, es gebe viel Interesse an dem Stück, hochrangige Politiker würden erwartet.

Am 2. Juli stehen allerdings die Eltern im Vordergrund. Wie viele von ihnen kommen werden, ist unklar. North ist überzeugt: „Sie werden sehen, dass wir alles respektvoll umgesetzt haben.“ Parfenov betont: „Wir sind bereit für jede Reaktion.“

Autor: Helena Baers, dapd