Köln | Was kann passieren, wenn ein Neuer in eine – nach außen – funktionierende Gruppe kommt? Rainer Werner Fassbinder zeigte es schon vor fast einem halben Jahrhundert mit „Katzelmacher“: Fremdenhass. Nils Daniel Finckh hat das Stück und späteren Kinofilm jetzt für das Theater der Keller der Aktualität angepasst und inszeniert.

Messerscharf seziert er den Fremdenhass von heute und seine Folgen. Dass das Ergebnis kein Zuckerschlecken ist, zeigt schon der Anfang: Wütend hackt eine Frau im Metzgerkittel auf einem Schlachtblock herum, dass das Blut nur so spritzt. Elisabeth (Thekla Viloo Fliesberg) ist verliebt in ihren Gehilfen Bruno (Paul Behrens). Der aber bandelt mit der Neuen an, der farbigen Flüchtlingsfrau Akilah (Davina Donaldson), die vom Arbeitsamt als billige Aushilfe vermittelt wurde.

Zerrissene Charaktere, mit denen man auch Mitleid haben könnte

Zum Bekanntenkreis von Elisabeth und Bruno gehören Ingrid (Tatjana Polozcek), die alles aufs Spiel setzt, um Karriere als Schlagersängerin zu machen, was die anderen höchst lächerlich finden. Paul (Markus J. Bachmann) und Helga (Katharina Abel) kriegen ein Kind. Sie will es, er will eine Abtreibung – oder gar Helga umbringen. Von ihren Eltern droht ihnen der Rausschmiss. Dann sind da noch Franz (Gareth Charles), Erich (Jan-Niklas Stephan) und die Kneipenwirtin Gunda (Lina Spieth). Zerrissene Charaktere, deren Träume vom besseren Leben an der Realität zerschellen – man müsste Mitleid mit ihnen haben.

Akilah bricht das Beziehungsgeflecht auseinander, vorhandene Brüche und latente Gewalt werden sichtbar, neue tun sich auf. Die Frauen werden eifersüchtig, die Männer geil und neidisch. Erich versucht sogar Akilah zu vergewaltigen – was ihm einen blutigen Schnitt im Gesicht einbringt (später nimmt er sich Ingrid). Die „Lybin“ ist wehrhafter als gedacht. Oder kommt sie aus Afghanien? Oder aus Syrien?

Negernutte, Lügnerin, Terroristin: „Totschlagen sollte man sie!“

Egal. Sie ist eine Schwarze, eine Afrikanerin, eine Negernutte, eine Lügnerin, eine Terroristin, eine Verbrecherin. Sie stört. Totschlagen sollte man sie. Dazu kommt es dann zwar nicht, aber blutig und bewusstlos wird sie verprügelt – ein „Befreiungsschlag“ für die Gruppe: „Es hat sein müssen.“.

Brunos Vernunft-Argumentation hat da keine Chance, was ihm bleibt ist der verzweifelte Stolz, „Negerinficker“ zu sein. An ein glückliches Ende ihrer Liebe ist nicht zu denken. Elisabeth entlässt Akilah und erwartet einen neuen Flüchtling als Helfer. Aber ob das mit Bruno wieder so wird wie früher…

Eine strenge Regie verzichtet auf Bühnenbild und Requisiten

Die Inszenierung lebt neben der bemerkenswerten schauspielerischen Leistung des gesamten Ensembles – alle kommen von der Schauspielschule der Keller – von der strengen Regie, die ohne Bühnenbild und fast ohne Requisiten auskommt. Wie eine trainierte, wohlgeordnete Kampfformation treten Ingrid und Erich, Paul und Helga, Franz und Gunda an, stark nur gemeinsam. Angsteinflößend nicht nur für Bruno und Akilah, auch dem Zuschauer bleibt ob der gezeigten Gewaltbereitschaft der Atem stocken.

Als bösen Kommentar auf aktuelle bayrische Flüchtlingspolitik darf Gunda die Szenen mit aggressiv-lauten Akkordeon-Schnadahüpfl-Rhythmen trennen. Wie ein Hohn auf die oft beschworene christliche Tradition des Abendlandes werden Kirchenlieder gesungen. Und verschiedene Dialekte – Franz etwa spricht kölsch – zeigen: Fremdenhass ist überall.

Das letzte Wort hat Elisabeth. Mit „Wer keinen Verstand hat, soll schweigen“ entlässt sie das Publikum nach 70 aufrüttelnden Minuten in die Nacht.

[infobox]„Katzelmacher“ – die nächsten Vorstellungen: 21. Oktober, 1., 3., 15. und 28. November, jeweils 20 Uhr, Theater der Keller, Kleingedankstr. 6, 50677 Köln, Karten: Tel. 02 21 / 31 80 59 (Mo-Fr 10-17 Uhr), tickets@theater-der-keller.de, www.offticket.de, www.köln-ticket.de und an allen Vorverkaufsstellen.

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Autor: ehu | Foto: MeyerOriginals / TdK
Foto: Das wütende Volk hat zugeschlagen: Auf dem Boden liegt Akilah, blutend, bewusstlos. Hilflos in der Ecke Bruno. Foto: MeyerOriginals / TdK