Köln | Bücher für die Bühne umzuschreiben, liegt im Trend. Wenn Ulrike Janssen und Intendant Heinz Simon Keller sich Irmgard Keuns Debüterzählung „Gilgi – eine von uns“ vornehmen, haben sie dafür eine intelligente und originelle Sehweise gefunden. In der neuen Deutzer Spielstätte des Theaters der Keller gab’s dafür den verdienten starken Premierenbeifall.

Auftritt Renate Fuhrmann mit einem Rentnerporsche. Sie setzt sich eine Perücke auf, nimmt hinter einem Schreibtisch Platz, greift zu Zigarette und Rotwein – und wird zu Irmgard Keun. 90 Minuten hat sie Zeit, um ihr Verhältnis zum Schreiben, ihr Leben, ihre Sicht auf die Welt und insbesondere ihre Beziehung zu Gilgi zu erklären. Immer wieder greift sie in das Romangeschehen ein, das parallel auf der Bühne abläuft. Dabei liefert sie ein faszinierendes Wechselspiel zwischen „jetzt“ und „damals“.

Eine junge Frau auf der Suche nach Unabhängigkeit

Gilgi, das ist ein uneheliches Kind, von der Mutter abgeschoben, bei Stiefeltern aufgewachsen. Erst an ihrem 21. Geburtstag wird sie von der Stiefmutter darüber aufgeklärt. Nun sucht sie ihr Lebensglück alleine, will von keinem abhängig sein, will vom eigenen Geld leben. Sie gerät an den mittellosen Bohemien Martin, es beginnt eine Hin-und-Her-Liebesbeziehung. Ab und zu sucht sie Rat bei Pit (bei der Premiere Jakob Medrea, abwechselnd mit Davis Heiss, beide auch als Musiker). Als Gilgi von Martin schwanger wird, trennt sie sich von ihm. Als sie Hilfe bei ihrer wahren Mutter (ebenfalls Renate Fuhrmann) sucht, wird sie von dieser allein gelassen. Amelie Barth und Matthias Lühn sind ein mitreißendes Paar, mal zärtlich, mal aggressiv, mal heftig, mal romantisch.

Steckt in Gilgi etwas von Irmgard Keun. Die kennt solche Fragen und wehrt energisch ab: „Alles ausgedacht. Die Figuren machen, was sie wollen.“ Je länger der Abend dauert, je mehr sie von ihrem Leben erzählt, um so schwerer fällt es, dies zu glauben. Und es war fürwahr das Leben einer unabhängigen, einmal geschiedenen Frau (1905 bei Berlin geboren, 1982 in Köln gestorben). Schon früh von den Nazis verfolgt, überlebte sie in Deutschland, weil sie im Amsterdamer Exil für tot erklärt wurde.

Gilgi ist ein uneheliches Kind, Irmgard Keun eine alleinerziehende Mutter

Oder war es umgekehrt – nahm sie in „Gilgi“ ihr eigenes Leben vorweg? Gilgi will ihr Kind alleine aufziehen, stolz inserierte Irmgard Keun 1951 in einer Kölner Zeitung als „alleinstehende Mutter“ die Geburt ihrer Tochter. Und Ähnlichkeiten im Verhältnis zu Männern sind nicht zu verkennen. Altersweise kommentiert sie die Gefühlswallungen: „Gern haben ist gut, lieben ist gut, verliebt sein ist qualvoll.“ Da kann das Publikum nur verständnisvoll nicken.

Regisseur Keller genießt offensichtlich die neue Spielstätte, eine kahle Fabrikhalle, darin eine ansteigende Empore für die Zuschauer. Vor allem aber die große Bühne. Darauf locker verstreut die nötigen Requisiten, Schreibtisch, Sessel, ein Garderobenständer. Halb transparente Vorhänge bilden Gassen, in den die Akteure verschwinden oder mit denen sie sich verhüllen können.

Ob die Premiere wie angekündigt stattfinden konnte, war lange in der Schwebe. Erst um 15 Uhr gab das Bauamt sein o.k., wie der Hausherr zu Beginn erzählte. Aber: „Mit Beamten haben wir immer Glück“, fügte er hinzu – und zitierte damit die Hauptperson des Abends, die dann diesen Satz natürlich auch sagte.

[infobox]„Gilgi | Keun – eine von uns“ – die nächsten Vorstellungen: 27. September, 19. und 20., 26. und 27. Oktober, samstags jeweils 20 Uhr, sonntags 18 Uhr. Theater der Keller, Siegburger Str. 233 (Halle im Hof), 50679 Köln-Deutz, Tel. 0221 – 31 80 59. www. theater-der-keller.de

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Autor: ehu | | Foto: Teona Gogichaishvili / TdK
Foto: Gilgi und Martin lieben sich – will Irmgard Keun (oder Gilgis Mutter?) an dem Glück teilhaben? (Amelie Barth, Matthias Lühn und Renate Fuhrmann, v.l.) | Foto: Teona Gogichaishvili / TdK