Er war an einer Geiselnahme beteiligt, seit 20 Jahren sitzt er deshalb in Isolationshaft. In „Das angehaltene Leben“ zeichnet Maurizio Torchio die Gefühlswelt eines Gefangenen nach. Ulrike Janssen hat den Roman jetzt im Theater der Keller auf die Bühne gebracht. Nach packenden 70 Minuten befreite sich das Premierenpublikum mit kräftigem Applaus aus der Spannung.

Die Bühne ist leer und düster, mit einem beweglichen Scheinwerfer können sich die Akteure gegenseitig beleuchten. Eine klaustrophobische Atmosphäre, die sich auf die Zuschauer überträgt. Daniel Kuschweski und Markus Penne teilen sich die Rolle des namenlosen Gefangenen, im Wechsel sind sie seine innere Stimme, die Zweifel, die Fragen, die Selbstvergewisserung, die quälenden Erinnerungen, die Träume und Albträume. Dicht, prägnant und schonungslos sind ihre Dialoge, ohne Effekthascherei.

Rituale und Regeln bestimmen den Gefängnisalltag

Mit nüchterner, erschreckender Präzision läuft der Gefängnisalltag ab, werden die Schritte gezählt, mit denen der Gefangene seine enge Zelle vermisst. Es werden die Rituale und Regeln durchgespielt, die stillschweigend zwischen den Insassen und der Gefängnisleitung aufgestellt wurden. Das beginnt mit der entwürdigenden Körperkontrolle und setzt sich fort in der Hierarchie unter den Gefangenen: Bankräuber stehen über Entführern. Die Gefängnisleitung entscheidet über den Hofgang, über das Essen.

Brutal sind die Regeln, absurd und innerhalb des menschenverachtenden Systems trotzdem „logisch“. So wird aus dem Entführer erst im Gefängnis ein Mörder. Tötet er den Wärter nur als Medium, das ein – vermutetes – Ritual ausführt, nach dem die Wärter jedes Jahr einen der Ihren opfern müssen? Weil sie selber das aber nicht dürfen, manipulieren sie einen Insassen zu der Tat. Wird das geplante neue Gefängnis menschlicher, weil dort moderne Technik die Wärter ersetzen wird?

Ein Verbrecher – aber auch ein Mensch mit Gefühlen

Als Entführer ist er zwar ein Verbrecher, aber trotzdem ein Mensch mit Gefühlen. Etwa der Sehnsucht nach körperlicher Berührung – und wenn es nur die mit dem Hund ist, der bei der Zellen-Durchsuchung eingesetzt wird. Auch ein Gewissen hat er, so hatte er Mitleid mit der ehemaligen Geisel, seiner „Prinzessin“ (Susanne Seuffert spielt sie mit würdevoller Demut, später auch den Gefängnis-Kommandanten).

Er war mit deren Bewachung beauftragt, sollte sie dazu bringen, „verzweifelte“ Briefe zu schreiben. und wollte ihr sogar zur Flucht verhelfen. Wie mag sie heute leben? Seine Versuche, sich dies in einer Art Wiedergutmachung vorzustellen, vermischen sich mit seinem Wunsch, selber mit einer Familie in Freiheit zu leben.

Im Laufe der 70 Minuten wächst die Kritik an den Haftbedingungen. Zugleich wächst das Mitgefühl für den Gefangenen, es geht zunehmend um das Gefängnis, das der Mensch sich selber baut. Und sind nicht auch die Zuschauer selber Gefangene ihrer Wünsche und Träume?

[infobox]„Das angehaltene Leben“ – die nächsten Vorstellungen: 9., 15. Und 28. November, jeweils 20 Uhr Theater der Keller, Kleingedankstr. 6, 50677 Köln, Karten: Tel. 02 21 / 31 80 59 (Mo-Fr 10-17 Uhr), tickets@theater-der-keller.de, www.offticket.de, www.köln-ticket.de und an allen Vorverkaufsstellen.

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Autor: ehu | Foto: MeyerOriginals / TdK
Foto: Daniel Kuschweski (l.) und Markus Penne teilen sich in „Das angehaltene Leben“ die Rolle des Gefangenen. | Foto: MeyerOriginals / TdK