Köln | Es ist ein Stück über das Leben am Abgrund, zwischen Euphorie und Terror, das das Hamburger Jugendensemble „Generation WHAT“ mit „Pornographie“ nach Köln bringt. Unter anderem als „seismografische Zustandsbeschreibung der Gegenwart“ feierte die Kritik die bisherigen Inszenierungen des Textes des Briten Simon Stephens.

Nackte Haut gibt es zu sehen, auch ein Geschlechtsakt wird angedeutet – doch wer tatsächlich „Pornographie“ erwartet, wird enttäuscht. Pornographie steht hier für die Entblößung der Gesellschaft, für entpersönlichte Beziehungen, für Gewalt – und der Theaterbesucher wird zum Voyeur.

London wird Olympia-Stadt und das jähe Ende der Begeisterung

Die Geschichte spielt in der ersten Juliwoche des Jahres 2007 in London. Die britische Hauptstadt hat gerade den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2012 erhalten. Die Wogen der Begeisterung gehen hoch – doch schon zwei Tage später hat die Euphorie ein jähes Ende: Vier Selbstmordattentäter sprengen sich in drei U-Bahnen und einem Bus in die Luft und töten 52 Menschen.

In sich teils wiederholenden Gesprächsfetzen erzählen zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler die Ereignisse wechselnd aus Sicht der Opfer (von kurzen Video-Statements begleitet) und – ohne zunächst erkennbaren Bezug – aus Sicht der Täter. Dazwischen Szenen aus dem Alltag: die Begeisterung über die Entscheidung zugunsten Londons, eine inzestuöse Bruder-Schwester-Beziehung, das Porträt eines Nasenbohrers, die Bildung von Fahrgemeinschaften, Billigflieger-Angebote, Mutterglück und Mittagspausen, Fressorgien, die die Bühne in eine Rutschbahn verwandeln.

Langsam ordnet sich das wild-bunte Puzzle aus beliebigen Einzelteilen zu einem Ganzen. Einzelteile, die typisch sind für das oberflächliche Nebeneinander in einer Gesellschaft, die offensichtlich nur durch eine Bedrohung zusammenfindet. Eine Bedrohung, die in dieser Inszenierung durch Videos von den Terroranschlägen – einschließlich des Flugzeug-Attentats in die New Yorker Twin-Tower – immer wieder ins Bewusstsein gerufen wird. Und die letztlich aus reinem Überlebenswillen verdrängt wird.

Vier rundum überzeugende jugendliche Laien-Darsteller

Eigentlich sollte die Premiere von „Pornographie“ in Hamburg stattfinden, doch sie musste kurzfristig abgesagt werden. Regisseur Nils Daniel Finckh, mit dem Kölner Keller-Theater durch mehrere Inszenierungen verbunden, fand „Asyl“ in Köln. Hier bestach das Quartett der jungen Laien-Darstellerinnen (Alvaro Rentz, Clara Kaup, Jonas Busseler, Deborah Bode) durch seine schauspielerische Leistung. Nicht nur als Solisten, sondern insbesondere als Ensemble mit absolut synchronen Bewegungen und perfektem chorischem Sprechen.

Nach einer knappen Stunde lauter Premierenbeifall von wenigen Zuschauern – diese Inszenierung hätte ein volles Haus verdient. Aber es war ja der Abend, an dem Deutschland aus der Fußball-WM ausschied. Auch ein Abend zwischen Euphorie und Katastrophe.

[infobox]„Pornographie – oder: Du hast jemanden, den du liebst, bei einem Terroranschlag verloren“ – die nächste Vorstellung: 4. Juli, 20 Uhr, Theater der Keller, Kleingedankstr. 6, 50677 Köln, Karten: Tel. 02 21 / 31 80 59 (Mo-Fr 10-17 Uhr), tickets@theater-der-keller.de, www.offticket.de, www.köln-ticket.de und an allen Vorverkaufsstellen.

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Autor: ehu | Foto: TdK
Foto: „Pornographie“ – ein Stück rund um einen Terroranschlag im Theater der Keller. | Foto: TdK