Köln | Ein Glück, dass im Depot 1 so viel Platz ist. Da kann Hausherr Stefan Bachmann für seinen „Tyll“ die Bühne in ein Planschbecken verwandeln, und die junge Regisseurin Pinar Karabulut sie mit einer riesigen Hüpfburg füllen – unübersehbar die Hauptdarstellerin im ersten Teil ihrer Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“.
Da sitzen also die drei Schwestern Olga (Susanne Wolff), Mascha (Yvon Jansen) und Irina (Katharina Schmalenberg), die eigentlich Irinas Namenstag feiern wollten. Doch das geht schief, Frust überfällt sie, sie haben die Nase voll. Voll vom langweiligen Leben in der russischen Provinz, voll vom ungeliebten Beruf. Und nur Mascha hat einen Mann (Yuri Englert) abbekommen – den sie aber, wie sie später gesteht, nie geliebt hat. Bleibt die Flucht in den Traum, nach Moskau, wo alles nur besser werden kann.
Dem Publikum gefällt die oft akrobatische Hüpforgie
So schwimmen sie dahin in der traurigen Realität – besser sie hüpfen und tollen herum auf unsicherem Boden, der sie zu oft akrobatischen Übungen zwingt. Dem Publikum gefällt’s und es hat auch Spaß an den putzigen Kostümen: Olga ist ein Double des dicken Obelix. Ihre Schwestern schützen sich vor der Umwelt mit dicken Anoraks. Und wenn sie sich in knappen Lackkleidchen zeigen, hilft ihnen das auch nicht so richtig weiter..
Frust herrscht auch bei den anderen Personen vor: Bruder Andrej (Justus Maier) träumt von einer Karriere als Wissenschaftler – natürlich in Moskau. So lange das nicht klappt, arbeitet er in der Kreisverwaltung und verzockt das ererbte Vermögen. Militärarzt Iwan (Wolf-Dietrich Sprenger) beklagt seine schwindenden Heilkünste. Oberleutnant Tusenbach (Nikolaus Benda) überlegt hin und her, ob er den Dienst quittieren soll. Und dann soll auch noch die Brigade abgezogen werden – das heißt endgültig Totenstille im Dorf. Was hilft gegen den Frust? Partygeplauder und Hüpfen. Oder zur murmelnden Salzsäule erstarren.
Ganz anders Oberstleutnant Werschinin (Peter Knaack), ein stolzer Familienvater, der mit ordensgeschmückter Brust ins Dorf fällt. Und Natalia (Lola Klamroth), die Frau Andrejs. Sie beherrscht die Szene, schurigelt die Schwestern, mit denen sie in deren Elternhaus lebt, kommandiert ihren Ehemann herum: ganz kühle Lady im lasziven Domina-Look.
Effektvoll mit Leuchtschrift, Strobolight und Bässen
Derweil flackern im Hintergrund hunderte kleine Birnchen und formen mit Großbuchstaben Befehle und Zustandsmeldungen: Fuck ist da zu lesen, shit, kill, laugh oder jump. Dazu – das liegt offensichtlich im Theatertrend – Strobolight und dröhnende Bässe. Und über die gesamten gut drei Stunden (Pause inklusive) zeigt das zehnköpfige Ensemble Sprechkunst und perfekte Synchronbewegungen.
In der Pause wird die Hüpfburg beiseite geräumt, auch einige Zuschauer räumen ihre Plätze. Und fortan müssen die Schauspieler wieder mit dem harten Boden der Tatsachen vorlieb nehmen. Fünf Jahre sind vergangen. Alles hat sich verfestigt – nur nicht so, wie gewünscht. Tusenbach hat gekündigt. Irina hat gleich zwei Liebhaber (noch Nicola Fritzen), die liefern sich ein Duell – und Favorit Tusenbach stirbt. Olga ist nun doch –wider Willen – Schuldirektorin geworden. Zwischen Mascha und Andrej kommt es – siehe oben – zum klärenden Gespräch. „There wont’t be a next time“ warnt die Laufschrift. Doch ändern wird sich nichts – und „Error 404“ leuchtet als Schlusskommentar auf: (Lösungs-)Datei spurlos verschwunden.
Bei Tschechow mag das so sein. Das Premierenpublikum aber jedenfalls lieferte langen Schlussapplaus.
„Drei Schwestern“ – die nächsten Vorstellungen: 9., 27. und 28. Oktober, 7. und 16. November. Schauspiel Köln, Depot 1 im Carlswerk, Schanzenstr. 6-20, 51063 Köln-Mülheim, Karten: Tel. 0221 / 22 12 84 00, Fax 0221 / 22 12 82 49, E-Mail: tickets@buehnenkoeln.de. Kartenservice mit Vorverkauf und Abo-Büro in der Opernpassage zwischen Glockengasse und Breite Straße.
Autor: ehu
Foto: Die Gegenwart ist für Olga (Susanne Wolff, v.l.), Irina (Katharina Schmalenberg) und Mascha (Yvon Jansen) mehr als trostlos. Doch ihre Zukunftsträume werden nicht in Erfüllung gehen. © Krafft Angerer / Schauspiel