Köln | Pubertät ist die Zeit, in der aus Kindern junge Erwachsene werden, die ihre Position in der Gesellschaft suchen und nach dem Sinn des Lebens fragen. Das kann oft dramatische Formen annehmen. Davon erzählt das umstrittenen Jugendbuch „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ der Dänin Janne Teller. Studentinnen und Studenten der Theaterschule der Keller haben es jetzt in einer beeindruckenden Inszenierung auf die Bühne gebracht.

Die Sommerferien sind aus, die Klasse 7a hat ihren ersten Schultag. Einer fehlt: Pierre-Anton hat die Schule geschmissen und sich auf einen Pflaumenbaum zurückgezogen. Weil nichts von Bedeutung sei, habe das Leben keinen Sinn für ihn und damit auch die Schule nicht, wird seine Sicht auf die Welt per Video eingeblendet.

Wütend sind die anderen auf diesen Besserwisser, berührt „Pierre-Arschloch“ doch etwas, was auch in ihnen nagt. Symbolisch rücken sie seine Schulbank zur Seite, ziehen zum Pflaumenbaum und bewerfen ihn mit Steinen, später mit Pflaumen. Doch er kehrt nicht zurück.

Es muss doch etwas geben, was im Leben Bedeutung hat

Seine Reden bleiben nicht ohne Folgen, werden immer wirkmächtiger – immer näher rückt ihm die Videokamera. Was er sagt, darf aber allen Zweifeln zum Trotz nicht wahr sein. So formiert sich der Widerstand. Hat doch jeder etwas, was ihm viel bedeutet. Und das soll als Beweis in einer Scheune auf dem „Berg der Bedeutung“ gesammelt werden.

Der Haken an der Sache: Was von Bedeutung ist, wird nur ungern hergegeben. Weshalb der Ersten die geliebten grünen neuen Stöckelschuhe mit Gewalt abgenommen werden. Doch wem solches widerfährt, verlangt von den anderen als Beweis, dass sie es ernst mit dem Projekt nehmen, ein noch größeres Opfer. Wer sich dieser Spirale entziehen will, dem droht der Ausschluss aus der Gruppe – und das will keiner. Und erst recht nicht seine Furcht vor dem „Nichts“, der Bedeutungslosigkeit zugeben.

Die Unschuld der Mitschülerin als „Entschädigung“ für ein Fahrrad

Einem Mädchen werden die blauen Zöpfe abgeschnitten, ein anderes muss sein Plüschtier abgeben. Ein anderes sein Tagebuch. Als satirischer Kommentar auf die nationalistische Verehrung des „Dannebrog“, der dänischen Nationalflagge, darf die Abgabe eben dieser Fahne durch einen der Schüler verstanden werden. Ein junger Muslim muss sich von seinem Gebetsteppich trennen. Selbst der Sarg des geliebten Brüderchens wird in einer Nachtaktion ausgegraben. Und der Junge, der sein neues Fahrrad abgeben muss, fordert aus Rache die Unschuld seiner Mitschülerin als Entschädigung.

So dreht sich die Spirale der Gewalt und des Hasses auch untereinander mit absurder Konsequenz immer enger. Zum Schluss muss ein Hund daran glauben: Dem Lieblingstier wird der Kopf abgeschlagen. Und der, der das Metzgermesser dafür besorgte, muss seinen Zeigefinger hergeben. Seine erträumte Karriere als Gitarrist ist geplatzt, ehe sie begonnen hat.

Er geht zur Polizei. Damit kommen die Jugendlichen in die Presse – und werden selbst bedeutend. Es ist geschafft. Zumindest für kurze Zeit. Bis die Scheune mit dem Berg der Bedeutung abbrennen. Als Urheber des Brandes wird Pierre-Anton ausgemacht, und der ist gleich mit verbrannt, zuvor von den anderen gelyncht.

Eine beeindruckende Ensembleleistung der Theaterschülerinnen und -schüler

Regisseur Fabian Rosonsky hat das junge Ensemble zu einer Einheit formiert: Arielle Elke, Brit Purwin, Jonathan Dorando, Madieu Ulbrich, Katharina Abel, Gareth Charles, Adeline Geuer da Conceiao Joao und (im Video) Bernhard Schmidt-Hackenberg liefern einen ebenso spannenden wie mitreißenden Theaterabend. In einem spartanischen, gleichwohl variablen Bühnenbild zeigen sie ihr Können. Jederzeit glaubhaft spielen sie auch als Solisten Jugendliche auf der Suche nach dem Selbst und – ja – nach dem Sinn des Lebens zwischen Individualität und dem Aufgehen in einer fanatisierten Masse. Auf die im Theatertrend liegende Befragung des Publikums hätte Rososnky allerdings verzichten können.

In Dänemark war die 2000 erschienene Erzählung zeitweise als Schullektüre verboten. Eine Entscheidung von Erwachsenen, die Jugendlichen zu Unrecht nur wenig zutrauen. Die Kölner Inszenierung ist nicht nur Schulklassen zu empfehlen.

[infobox]„Nichts. Was im Leben wichtig ist“ – die nächsten Vorstellungen: 24., 25. und 30. Oktober, 1. November, jeweils 20 Uhr.

[/infobox]

Autor: ehu
Foto: Gebannt hören die Jugendlichen zu, was ihr ehemaliger Mitschüler über den Sinn des Lebens propagiert. Foto: Teona Gogichaisvili / TdK