Köln | Köln, die autofreie Stadt: In den 1970er Jahren trieb dieser Traum seinem Höhepunkt zu. Dass daraus kein Alptraum wurde, ist Bürgerinitiativen zu danken, die auch zum Teil verhindern konnten, was man heute Gentrifizierung nennt. In die bewegte Zeit von 1975 bis 1980 entführt die neue DVD aus der Reihe „Köln – Filmreise“. Auch hier konnte Filmhistoriker und –sammler Hermann Rheindorf wieder zum Teil unbekanntes Material zusammenstellen. Hinweis der Redkation: Heute Abend ist Kinopremiere des Films in der Volksbühne.

Herausgekommen sind dabei 100 überaus kurzweilige und unterhaltsame 100 Minuten Kölner Geschichte, ein buntes Puzzle über Arbeit und Freizeit, Alltag, Kultur, Stadtplanung und politische Auseinandersetzungen. Auf rund 20 institutionelle Archive konnte Rheindorf zurückgreifen, darunter das Videoprojekt „luurens“ des Jugendfilmclubs (jfc) oder die alternative „Kölner Wochenschau“, die sich in Szenekneipen großer Beliebtheit erfreute. Hinzu kommen zahlreiche private Aufnahmen vor allem von Kommunionsfeiern und Karnevalsumzügen. Für jedes der fünf Jahre hat er zwei „Großereignisse“ herausgesucht, die durch kürzere Stadtnachrichten ergänzt werden.

Zwangsheirat mit Köln? Wesseling wehrt sich erfolgreich gegen die Eingemeindung.

Wesseling lässt Kölns Traum von der Millionenstadt platzen

Es war ein halbes Jahrzehnt, das hoffnungsvoll begann: Ab dem 1. Januar 1975 war Köln endlich die ersehnte Millionenstadt. Das allerdings nur durch Eingemeindungen. Den Einwohnern von Porz, Rodenkirchen und Junkersdorf gefiel es gar nicht, zu Kölnern zu werden – doch ihre Klagen vor Gericht blieben erfolglos. Anders Wesseling: Die damals dank Erdöl-Industrie reichste Stadt Deutschlands durfte selbstständig bleiben. Im dortigen Stadtarchiv fand Rheindorf Filmaufnahmen vom Widerstand, von denen nicht einmal die Archivverwaltung mehr wusste.

Bürgerinitiativen stoppen den Ausbau Kölns zur „autogerechten Stadt“

Die geplante Stadtautobahn, die auf Stelzen entlang der Inneren Kanalstraße gebaut werden sollte, war der eine Auslöser für das Entstehen der Bürgerinitiativen. Das Straßenmonstrum konnte durch bürgerliches Engagement verhindert werden – insbesondere die Bürgerinitiative „Nippeser Baggerwehr“, gegen deren Namen übrigens der Karnevalsverein Nippeser Bürgerwehr vergeblich klagte. Der Kabarettist Heinrich Pachl

Dem Auto wurde trotzdem weiter gehuldigt. 1975 waren 300.000 Wagen angemeldet, doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor. Symbol dafür sind die zahlreichen Filmaufnahmen durch Köln, die Rheindorf immer wieder einstreut. Gefunden hat er sie im TÜV-Archiv, sie sollten der Verkehrserziehung dienen. Auch dort war dieser Schatz bis dahin unbeachtet geblieben. Die KVB kaufte sich neue Straßenbahnen in den Farben Weiß-Rot, konnte aber den Fahrgastschwund nicht verhindern. Und bei Ford lief der erste Fiesta vom Stapel.

Es wurden mehr Altbauten zerstört als im Zweiten Weltkrieg

Wohnungsnot – verursacht durch spekulativen Leerstand und Abriss von Altbauten zugunsten neuer Bürohäuser – war ein anderer Anlass für das Entstehen von Bürgerinitiativen. Es wurden – so Rheindorf – mehr Altbauten zerstört als im Krieg. Die Sozialistische Selbsthilfe Köln (SSK) engagierte sich für Trebegänger und besetzte leerstehende Häuser. Insgesamt 100 Hausbesetzungen gab es damals. Die Bürgerinitiative Südliche Altstadt (BISA) kämpfte für den Erhalt der leergeräumten Schokoladenfabrik Stollwerck. Eine Privataufnahme zeigt wie noch 1975 – vor der Verlagerung der Produktion nach Porz – in Handarbeit und ohne Handschuhe Schokolade hergestellt wurde. Gleichsam im Vorübergehen erfährt der Zuschauer, dass die „Schokoladenmädchen“ nach einer Heirat ihren Ehemann fragten mussten, ob sie weiter berufstätig sein durften. Das wurde erst 1977 abgeschafft.

Zu den negativen Ereignissen dieser Jahre zählt auch das größte Schiffsunglück auf dem Rhein: Nach einem Brand – ausgelöst durch eine Zigarette – sank ein niederländisches Kabinenschiff. 21 Menschen kamen dabei um, 18 davon Menschen mit Behinderung. Für die Kölner war der Unglücksort spektakuläres Ausflugsziel. Die Feuerwehrleute wurden als Mörder beschimpft. Zu viel Löschwasser soll das Schiff zum Kentern und damit zum Sinken gebracht haben. Nicht fehlen darf hier die Entführung von Arbeitgeberpräsident Martin Schleyer. In dessen Folge wollte die Polizei Jugendliche in den städtischen Jugendtreffs bespitzeln.

Das waren noch Zeiten: Der 1. FC Köln gewinnt das Double

Aber natürlich gab es auch Positives. Etwa den 1. FC Köln, der 1978 als erster deutscher Fußballverein deutscher Meister und Pokalsieger wurde. Oder der Karrierebeginn der „Bläck Fööss“, die tatsächlich noch mit nackten Füßen auftraten, die mit originellen Videoclips die Hitparaden eroberten und gegen den Willen der höchsten offiziellen Narren bald auch die Karnevalsbühnen. Und auch wenn ihre frühen kölschen Lieder zu Evergreens wurden – irgendwie schade, dass sie dem Rock Ade gesagt haben. Bei diesen Aufnahmen werden nostalgische Gefühle wach. Auch die „Höhner“ macxhten mit „Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“ erstmals groß auf sich aufmerksam.

Zu sehen sind weiter ein Image-Werbefilm der Polizei und die Haftbedingungen in einem Jugendgefängnis. Die Feuerwache Feuerwache im Agnesviertel wird aufgegeben, der ASB feiert mit einer Katastrophenübung sein 75-jähriges Bestehen. Der Bau des Colonius beginnt, Im Rheinauhafen legten noch Frachter an. Der Textilfabrikant Brügelmann verlegt seine Zentrale von der Altstadt nach Deutz. Auf der Domplatte zeigen vor allem kölsche Jungs ihr Können auf Rollschuhen. Was allerdings nicht jedem gefällt.

Klaus der Geiger beginnt seine Karriere als politischer Straßenmusiker – sehr zum Ärger der Stadtverwaltung.

Auch Klaus der Geiger ärgert die Verfechter von Ruhe und Ordnung. Der Versuch, den Straßenmusiker mit der Forderung zur Zahlung von Gewerbesteuer ruhig zu stellen, wird vor Gericht allerdings abgewiesen. Die „Bunte Liste“ – Vorläufer der Grünen – verfehlt bei ihrer ersten Teilnahme an einer Kommunalwahl 1978 nur knapp den Einzug in den Stadtrat. Die IG Metall fordert als Antwort auf Massenarbeitslosigkeit erstmals die 35-Stunden-Woche. Und in der Altstadt wird das Denkmal für Tünnes und Schäl enthüllt.

Ja, es waren bewegte Jahre.

[infobox]Am 22. März hat der Zeitreise 2. Teil durch die 1970er Jahre in der Volksbühne am Rudolfplatz seine Kinopremiere (19.30 Uhr, Eintritt 7,50 Euro). Die DVD „Köln – Filmreise in die 70er Jahre. Teil 2: Die Jahre 1975 -1980“ (14,90 Euro) ist im Buchhandel erhältlich oder direkt über www.rheindvd.de

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Autor: ehu
Foto: Kölner Bürgerinnen und Bürger demonstrieren 1977 gegen den Ausbau der Inneren Kanalstraße zu einer Stadt-Autobahn auf Stelzen.