Interview mit Kabarettist Jürgen Becker zu Corona und seiner letzten „Mitternachtsspitzen“-Sendung am 19. Dezember

Ist das Corona-Jahr für einen Kabarettisten eher ein Fluch oder ein Segen?

Jürgen Becker: Wir können nicht auftreten und müssen ohne unser Publikum auskommen. Aber man sieht es ein. Insofern ist Corona eher ein Fluch, aber es ist etwas, das vorbeigeht. Ich hatte im Sommer einige Auftritte, teils in Theatern mit sehr wenig Publikum und Mundschutz, teils auch im Autokino. In beiden Fällen hat es mich gefreut, mein Publikum wiedersehen zu können und ich würde es, sobald es die Corona-Maßnahmen erlauben, direkt wieder so machen. Theater mit Mundschutz und den guten Lüftungsanlagen sind sicherer als so manch anderer Ort im Alltag.

Sie geben nach fast drei Jahrzehnten die „Mitternachtsspitzen“ am 19. Dezember in neue Hände. Fällt ihnen das schwer?

Becker: Natürlich fällt einem das schwer, aber wir haben den besten Zeitpunkt für die Übergabe gewählt. Die Sendung läuft gut und hat gute Quoten. Wir können ein gutes Produkt in einem guten Zustand übergeben und wir haben eine gute Lösung für die Nachfolge gefunden. Ich freue mich jetzt auf die letzte Sendung mit uns als Trio.

Können Sie sich noch an Ihre Anfänge bei den Mitternachtsspitzen erinnern?
Becker: Wir haben die Sendung vor 28 Jahren übernommen. Zunächst wurde ich gefragt und habe mir mit dem Leverkusener Wilfried Schmickler einen weiteren Rheinländer an Bord geholt, der alles, was ich gesagt habe, am Ende der Sendung wieder runtermacht. Danach wollten wir das Ganze noch besser in NRW verankern und so kam Uwe Lyko noch dazu. Das war eine sehr gute Wahl.
Man bezeichnet Sie auch gerne mal als Dreigestirn.
Becker: Dabei sind wir eigentlich ein Fünfgestirn, auch wenn wir drei im Mittelpunkt der Sendung stehen. Zum Team gehört auch Susanne Pätzold, die weiter dabei sein wird. Außerdem haben wir mit Dietmar Jacobs, den besten Texteschreiber in der gesamten Kabarettszene. Der hat für Qualität in der Sendung gesorgt und hat uns mit seiner hervorragenden Arbeit weiter nach vorne gebracht.
Die Sendung hat ihren Platz im Alten Wartesaal in Köln. Wie wichtig ist dieser Ort?
Becker: Der Ort war schon von unserem Vorgänger festgelegt worden. Er ist ein guter Raum, bei dem man anders als im Studio auch die Decken zeigen kann. Und er ist ein Ort mit Geschichte. So gibt es noch ein Einschussloch aus dem Ersten Weltkrieg. Der Alte Wartesaal atmet Geschichte. Er war unter dem alten kaiserlichen Bahnhof und hat auch den Neubau überlebt.
Was raten Sie ihrem Nachfolger Christoph Sieber?
Becker: Ich rate ihm, dass es keine Ratschläge annehmen soll. Ein Künstler ist nach den Vorgaben der Künstlersozialkasse nicht weisungsgebunden und das gilt auch für das Publikum, das selbst entscheidet, ob ein Witz lustig ist oder nicht. Wir waren 28 Jahre völlig frei und niemand hat uns reingeredet. Das ist ein Schatz den auch unser Nachfolger hüten sollte.
Was erwartet die Zuschauer bei der letzten Sendung mit dem alten Trio?
Becker: Wir werden alle unsere bekannten Kolumnen noch einmal spielen. Dazu gehören „Spitz & Spitz“ sowie „Loki und Smoki im Himmel“. Es wird das beste der vergangen Jahre in einer Sendung geben, bei der auch unser Nachfolger Christoph Sieber dabei ist.
Der Applaus wird eingespielt.
Becker. Das ist natürlich ein Hilfsmittel in den Zeiten ohne Publikum. Aber wir haben Liveschalten in die Wohnzimmer von drei WGs. Insofern kommen wir doch noch zu unserem Livepublikum.
Im Saal wird es einen kleinen Weihnachtsmarkt geben. Sind Sie ein Weihnachtsfan?
Becker: Die Buden des Weihnachtsmarktes waren eine Idee, den Raum zu füllen. Das ist eine Metapher für die Jahreszeit, die wir schon mal genutzt haben. Ich bin kein direkter Weihnachtsfan, kann aber auch die Welt nicht neu erfinden. Das ist ein Fest, bei dem sich die Lieben treffen, was gut aber auch schiefgehen kann. Eigentlich ist das Ganze ja eine künstliche Konstruktion, Jesus hatte Mitte März Geburtstag, aber das hätte sich dann mit Ostern geknubbelt. Da hat man lieber auf die Sonnenwende Ende Dezember zurückgegriffen. Für den Kölner bringt das schon mal Probleme mit sich, denn es ist eine Unterbrechung, die mitten in der Session schon etwas stört.
Wie blicken Sie in diesen Tagen auf Ihre Heimatstadt?
Becker: Die Stadt bietet Superthemen, über die man viel machen kann. Ich habe schon ein ganzes Programm damit gestaltet. Köln ist eine Stadt, in der viel passiert und in der man viel kritisieren kann. Da gibt es zum Beispiel die stetig steigenden Miet- und Immobilienpreise, die die Normalverdiener aus der Stadt vertreiben. Und wer will noch in einer Stadt leben, in der es nur noch die Besserverdienenden gibt. Da muss die Politik dringend eingreifen und dafür sorgen, dass es noch bezahlbaren Wohnraum gibt. Da sind auch die Kölner Politiker bislang nicht rigoros genug vorgegangen und haben wie in anderen Städten versagt.
Was macht Ihnen derzeit die größten Sorgen und, was die größte Hoffnung?
Becker: Sorgen machen mir der Klimawandel und das Artensterben. Corona wird irgendwann vorbei sein, diese beiden Probleme werden aber bleiben. Wir müssen eine Lösung finden, wie eine Gesellschaft ohne Wachstum auskommen kann. Wir brauchen ein Wirtschaftssystem, das die Lebensgrundlagen schützt und alle müssen dabei an einem Strang ziehen. Hoffnung macht mir die Bewegung „Fridays for Future“ und dass es einem einzelnen Mädchen wie Greta gelungen ist, so eine große Bewegung anzustoßen. Das war ein echter Glücksfall. Jetzt muss die Bewegung nach Corona wieder in die Gänge kommen und die Regierenden zur Rechenschaft ziehen.
Die letzte Mitternachtsspitzen-Ausgabe mit Becker, Schmickler und Lyko läuft am 19. Dezember um 21.45 Uhr im WDR Fernsehen.

Autor: Von Stephan Eppinger