Münster | Auf Richard von Weizsäcker ist er besonders stolz. Das Porträt mit Schlafbrille erzielt genau die von Freddy Langer erhoffte Wirkung. Es zeigt den Menschen hinter der Fassade des auf Porträts oft wie festgefroren wirkenden Lächelns von Prominenten. Für einen Moment legt der ehemalige Bundespräsident das Staatstragende ab, zieht die Schlafbrille über den Mund und sagt: „Ich möchte sie mir über den Mund halten, weil ich finde, dass Politiker viel zu schnell reden.“ Als der Fotograf die Anekdote bei der Vorstellung seiner Ausstellung „Lost Faces“ (25. August bis 23. September) im Picasso Museum Münster erzählt, lacht er und erklärt: „Eigentlich hatte es aber damit zu tun, dass ihm das ganze unheimlich wurde.“

Die Schlafbrille zeigt den Menschen hinter dem Star

Es ist dieser ureigene Instinkt eines jeden Journalisten, der den Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ dazu bewegte, bis heute Porträts von rund 400 Prominenten mit Schlafbrillen zu machen. „Es ist spannend, wie Gesichter, die eine Maske sind, sich verändern“, beschreibt er seine Motivation. Wenn es gelingt, durch sein außergewöhnliches Stilmittel den Menschen hinter dem Star darzustellen, hat der 54-Jährige sein Ziel erreicht. „Prominente werden normalerweise buchstäblich tot fotografiert, weil sie genau wissen, was sie tun müssen, wenn sie eine Kamera sehen“, sagt Langer. „Die Schlafbrille nimmt ihnen die Kontrolle.“

Allerdings spielen manche ihre Rolle auch so perfekt, dass selbst dieses kuriose Stilmittel sie nicht aus der Fassung bringen kann. Jeden Promi, den Langer fotografiert, porträtiert er mit zwei Schlafbrillen. Eine ist dunkelblau-kariert und schluckt das Licht. Die andere ist türkis und reflektiert das Licht wie ein Blitz. „Normalerweise unterscheiden sich die Gesichter auf den beiden Fotos. Nicht so bei Howard Carpendale“, berichtet Langer. Der Schlagersänger spielt seine Rolle mit dem Zahnpasta-Grinsen in der Öffentlichkeit so perfekt, dass selbst Langers Utensil ihn nicht aus dem Konzept bringen konnte. „Carpendales Gesicht ist auf den Bildern mit den verschiedenen Schlafbrillen komplett identisch“, konstatiert Langer.

Die ursprüngliche Idee zu dem außergewöhnlichen Markenzeichen des Reisejournalisten entstand spontan. Vor 32 Jahren hatte er in seiner Frankfurter Studentenwohnung Besuch von einem Freund. Sie plauderten bis am nächsten Morgen die Sonne aufging. Als der Bekannte morgens um 4.00 Uhr eine Schlafbrille aus seiner Tasche zog, fingen sie an, sich gegenseitig mit einer Polaroidkamera zu fotografieren. „Nach diesen ersten Schlafbrillenporträts dachte ich mir: Es müssen Gesichter sein, die man trotz der Schlafbrille erkennt. Daher mussten es Prominente sein“, erklärt Langer. Die erste „Trophäe“, wie er das Schlafbildporträt des Aktionskünstlers Joseph Beuys bezeichnet, ergatterte der Reisereporter als er eine befreundete Fotografin auf einen Termin mit Joseph Beuys begleiten konnte. Vorher hatte er schon fünf oder sechs Porträts mit Schlafbrillen gemacht, aber keines von einem Prominenten diesen Ranges. Beuys öffnete ihm alle Türen. Kurze Zeit später klingelte er 1982 in der New Yorker Lagerhalle von Andy Warhol. Als er das Porträt von Beuys vorzeigte, willigte auch der Pop-Art-Künstler in ein Schlafbrillenporträt ein.

Andy Warhol war der Durchbruch

„Er hielt die Schlafbrille wie in einer Abwehrhaltung vor sein Gesicht“, erinnert sich Langer an einen der frühen Höhepunkte seiner Fotografenkarriere. „Dabei hat wohl auch eine Rolle gespielt, dass er den korrekten Sitz seiner Perücke nicht gefährden wollte“, fügt er augenzwinkernd hinzu. Das Foto des Amerikaners, der fünf Jahre später verstarb, war der endgültige Durchbruch. Danach folgten Porträts von Prominenten aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Schauspieler wie John Malkovitch und Tom Tykwer ließen sich von ihm genauso porträtieren wie die Entertainer Harald Schmidt und Günther Jauch. Schriftsteller Marcel Reich-Ranicki genauso wie die Musiker Bono, Campino oder Roberto Blanco. Und nachdem sich Langer beim Aufziehen der Schlafbrille bei Iris Berben schon den Wunsch erfüllt hat, einmal ihr Ohrläppchen zu berühren, fehlt ihm eigentlich nur noch ein Foto in der Trophäensammlung. Sein Traum ist ein Porträt von Madonna.

Autor: Jean-Charles Fays/ dapd | Foto: Partick Sinkel/ dapd
Foto: Autor und Fotograf Freddy Langer posierte heute neben einem seiner Fotos, einem Portrait des ehemaligen Bundespraesidenten Richard von Weizsaecker in seiner Ausstellung „Lost Faces – Schlafbrillenstars“