Köln | 81 Jahre ist sie alt, seit 1956 ist sie als Künstlerin unterwegs. Kann Pantomime, beschäftigt sie sich mit Kunst, mit Video, Installationen, Zeichnungen, Fotos. Jetzt erhäkt die Türkin Nil Yalter im Museum Ludwig die erste Retrospektive ihres Lebens. „Exile is a hard job“ ist der Titel – und verweist auf eines ihrer zentralen Themen.

Blick in die Ausstellung „Exile is a hard job“ – im Mittelpunkt das Nomadenzelt „Topak Ev“. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Jonas Klein

Es ist politische Kunst, die zu entdecken ist – geordnet in 20 Arbeitsgruppen, zusammen rund 220 Exponate. In ihnen hält sie das Leben von Minderheiten fest, von gesellschaftlichen Randgruppen, von (Arbeits-)Migranten, von Ausgestoßenen. Das leben von Ausgestoßenen, ein Leben, geprägt ist von Fremdsein. Dazu zählt auch der Alltag von Frauen – nicht nur als Gefängnisinsassinnen.

Porträts mit einer Leerfläche als Gesicht

So fotografierte sie 1974 im Pariser Frauengefängnis La Roquette die überlebenswichtigen Objekte und alltäglichen Handlungen: Zigaretten als Währung, Suppe löffeln oder das Falten der Bettdecken. Ergänzt werden die kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotos von Zeichnungen und handgeschriebenen Texten. Sie porträtiert Arbeitsemigranten, die anstelle eines Gesichts eine Leerfläche haben – Symbol für Nicht-Wahrgenommenwerden der Fremden in der Fremde. .

Optischer Mittelpunkt der Ausstellung ist das ein Jahr zuvor entstandene Nomadenzeltg „Topak Ev“: Es war die Wohnung allein für Frauen bewohnt – war so Schutz und Gefängnis zugleich. Zu sehen war es schon einmal 1974 bei einer umfangreichen Gruppenausstellung in der Kölner Kunsthalle.

Geschmückt ist es mit orientalischen Ornamenten – diese rauchen auch als Rahmen für Fotos auf oder sind Motiv für frühe und jüngere Gemälden. Und selbst abstrakte Kompositionen werden bei ihr zu politischen Aussagen, wenn sie etwa Kreisen und einer schwarzen Linie den politischen Prozess und das anschließende Todesurteil ein türkisches Gerichtsurteil nach dem Militärputsch von 1971 symbolisiert.

Geschlechterrollen sind ein zentrales Thema

Die Auseinandersetzung mit der von der Gesellschaft zugeordneten Geschlechterrolle zieht sich durch ihre gesamten Ouevre. Sei es in einer Fotodokumentation über Frauenarbeit im niedersächsischen Neuenkirchen (1975) oder in ihre jüngsten, im Vorjahr entstanden Foto-Stoff-Collage, in der der Tschador im Mittelpunkt steht. Der Titel „Untitled“ ist ein Hinweis auf die Frauen, die dieses Kleidungsstück unsichtbar macht und ihnen so ihre Persönlichkeit nimmt.

Den Anstoß zu dieser Ausstellung gab vor drei Jahren der Ankauf einer Arbeits Yalters. Mit „Exile is a hard job“ erhöht Hausherr Yilmaz Dziewior nicht nur die Zahl der ausgestellten Frauen, er zeigt auch eine ausgesprochen politische, feministische Künstlerin. „Wir wollen auch Geschichten erzählen, die außerhalb des Kanons geschehen, für den dieses Museum steht“, erklärt er. Nach Köln ist sie im Bard Hessel Museum in Annandale-on-Hudson nahe New York zu sehen.

[infobox]Nil Yalter: „Exile is a hard job“ – bis 2. Juni. Museum Ludwig,Di-So (inkl. Feiertage) 10-18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 – 22 Uhr. Katalog (deutsch/englisch): 25 Euro. Umfangreiches Begleitprogramm.

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Autor: ehu
Foto: Hat in Köln ihre erste Retrospektive: Die feministische Künstlerin Nil Yalter. Foto: ehu