Köln | In Kooperation mit der Royal Academy of Arts in London zeigt das Kölner Museum Ludwig bis Februar nächsten Jahres (27.10.2012 – 03.02.2013) seine große David Hockney-Ausstellung. Mit Stephan Diederich, dem Verantwortlichen der Kölner Ausstellung, sprachen wir über den vielleicht wichtigsten lebenden britischen Künstler und die in Köln zu sehenden Arbeiten.

Der Kurator | Stephan Diederich wurde 1961 geboren. Studium der Kunstgeschichte, Philosophie, Niederlandistik und Völkerkunde. 1990 Magister, 1997 Promotion. Arbeit an zahlreichen Ausstellungsprojekten zu Kunst und Design des 20. Jahrhunderts. Seit 1993 am Museum Ludwig, heute Kurator für die Sammlung Kunst des 20. Jahrhunderts.

David Hockney ist vor allem durch seine kalifornischen  „Swimmingpool-Bilder“ weltbekannt geworden; „A bigger splash“ (1967/heute in der Tate Gallery, London), das Bild vom Eintauchen in einen Pool, scheint der ultimative Ausdruck des befreit-hedonistischen Lebensgefühl der Zeit. Sie zeigen in Köln einen ganz anderen Hockney.

Seine Swimmingpool-Paintings gehören zu den populärsten Bildformeln der 1960er Jahre. Als schillernde Figur des Swinging London und Bildchronist eines coolen Californian Way of Life wurde David Hockney weltbekannt. Auch mit seinen eigenwilligen Porträts, mit meisterhaften Stillleben und Landschaftsbildern, Fotocollagen, Bühnenbildern und intelligenten Verarbeitungen kunstgeschichtlicher Phänomene zählt er seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Das sein vielseitiges Werk immer wieder neue Überraschungen bereit hält, zeigt diese Ausstellung. In einem etwa sieben Jahre umfassenden Werkblock lotet Hockney anhand des klassischen Themas Landschaft aktuell und facettenreich Fragen von Wahrnehmung und räumlich-zeitlichen Darstellungsmöglichkeiten aus.

Man könnte denken, dass hier die beiden geographischen und kulturellen Pole der Existenz Hockneys, also England und Kalifornien, zusammen kommen, wobei England für die Landschaft und Liebe zur Landschaft und natürlich Hockneys Jugend in Yorkshire stehen, Kalifornien für die extravaganten Bonbonfarben und eine gewisse Oberflächlichkeit/Unbekümmertheit und Megalomanie. Macht das für Sie Sinn?
Stephan Diederich: Nur bedingt. Selbstverständlich fließt in die aktuellen Werke der Erfahrungsschatz von mehr als einem halben Jahrhundert künstlerischer Auseinandersetzung ein. Als David Hockney Anfang der sechziger Jahre England verließ, reizte ihn das neue, großzügige Umfeld Kaliforniens. Jahrzehnte später fand er auf der Suche nach den visuellen Möglichkeiten wechselnden Lichts und dem spürbaren Wandel der Jahreszeiten  in seiner alten Heimat Yorkshire die perfekte Umgebung. Beidem lag und liegt jedoch eine gleichermaßen ernsthafte Auseinandersetzung mit den Anforderungen und Möglichkeiten des Sujets zugrunde. Die von Ihnen angeführten Vokabeln würde ich hier – nicht zuletzt da Hockney schon immer äußerst reflektiert gearbeitet hat – unbedingt ersetzen: Oberflächlichkeit durch das Vermögen zur Abstraktion, Unbekümmertheit durch Souveränität und Megalomanie durch den Wunsch, kleinste Details wie auch das große Ganze im Blick zu haben.
 
Viele Besucher der Londoner Ausstellung haben sofort die „Englishness“ dieser Arbeiten sehen wollen. Mal abgesehen davon, dass diese Landschaftsbilder tatsächlich in Yorkshire entstanden sind, ist das typisch englische Kunst oder halten Sie solchen nationalen Zuweisungen für überholt/falsch/irreführend?
Nicht unbedingt falsch, aber sicherlich zu kurz gedacht. Tatsächlich spiegeln viele der Arbeiten in gewissem Maße auch ein typisch englisches Lebensgefühl, außerdem wurden große englische Maler wie Constable und Turner sehr bewußt von Hockney rezipiert und analysiert. Wesentlicher aber ist der universale Wunsch Hockneys, das eigene Sehen wie auch dasjenige des Betrachters zu schärfen und zu erweitern. Nochmals, es handelt sich hier um einen ungeheuer dichten Werkkomplex, der anhand eines traditionellen Sujets fundamentalen Fragen visueller Wahrnehmung mit großer Frische und Klarheit nachspürt.

Obwohl Hockney Teilnehmer der documenta 4 (1968) und der documenta 6 (1977) in Kassel war (und Brenner’s Park Hotel in Baden-Baden liebt), hat es in Deutschland praktisch keine großen Hockney-Ausstellungen gegeben. Und trotz des Pop Art-Schwerpunkts des Museum Ludwigs gibt es auch im Museum Ludwig keine signifikanten Hockney-Arbeiten in der ständigen Sammlung. Wie ist das zu erklären? Konnte Deutschland wenig mit Hockney anfangen?
Das stimmt so nicht. Ich erinnere nur an die große Hockney Retrospektive von Kay Heymer in der Bundeskunsthalle Bonn vor etwa zehn Jahren, an die umfassende und aufschlußreiche Ausstellung seiner Photoworks bei uns im Museum Ludwig 1997 oder die Ausstellung zu einem ersten Teil der Yorkshire Lanschaften in der Sammlung Würth. Mit dem „Sunbather“(1966) besitzt das Museum Ludwig seit seiner Gründung eines der bedeutendsten Swimmingpool Paintings von David Hockney – übrigens ein ausgesprochener Publikumsliebling – und als Irene Ludwig 1998 den ersten bedeutenden Ankauf nach dem Tod ihres Mannes für das Museum Ludfwig tätigte, erwarb sie mit dem großformatigen Panoramagemälde „A Visit with Christopher and Don, Santa Monica Canyon“ (1984)  wiederum ein Schlüsselwerk des Künstlers.
 
Landschaftsmalerei war in der Kunstgeschichte, besonders natürlich seit dem 19. Jahrhundert, eines der wichtigsten Genres; im Impressionismus wurde die Plein Air-Malerei sogar bestimmend. Aber im 20. Jahrhundert und der zeitgenössischen Kunst, also Ihrem Spezialgebiet, ist Landschaftsmalerei eher verpönt. Ein wirklich guter Grund, eine Ausstellung mit Landschaftsmalerei zu machen, wäre zu sagen, dass Hockney das Genre erneuert hat. Hat er?
Unbedingt. Er hat sich dieser Thematik von so vielen Seiten und mit so unterschiedlichen Mitteln genähert wie kaum ein anderer. Außerdem geht es letztendlich um das Sehen als solches, und das sollte ja hoffentlich nicht aus der Mode kommen.
 
Gibt es einen anderen bedeutenden zeitgenössischen Künstler, der sich vergleichbar mit diesem Genre beschäftigt hat?
Vergleiche dieser Art zielen meistens daneben. Aber ein großer zeitgenössischer Landschaftsmaler ist ohne Frage Per Kirkeby.

Als Kunsthistoriker sind Ihnen bei diesen Arbeiten sicherlich auch Claude Monets monumentale „Seerosen“ in den Sinn gekommen – und tatsächlich ist ja auch bekannt, dass Hockney Giverny besucht hat. Sehen Sie da eine Verbindungslinie?
Selbstverständlich und auch ausgesprochenermaßen durch David Hockney selbst. Er ist enorm kenntnisreich auf kunstgeschichtlichem Gebiet. Und bewußte Auseinandersetzung mit dem Werk anderer Künstler durch die Jahrhunderte bildet einen wesentlichen Teil und Mehrwert seines Werkes, wobei das Resultat stets ein hundertprozentiger Hockney ist.

Es gibt in der Kunstgeschichte eine Reihe von Künstlern, die sich gegen Ende ihres Lebens nicht nur mit der Natur, sondern den „Vier Jahreszeiten“ als Sinnbild von Werden und Vergehen beschäftigt haben. Nicolas Poussin malte am Ende seines Lebens vier Bilder. Die der Louvre, wo sie hängen, als „sein künstlerisches und geistiges Testament“ nennt.Cy Twombly, um einen wichtigen Künstler des 20. Jahrhunderts zu nenen, malte 1993/94 gleich zwei Bildzyklen „Quattro Stagioni“, von denen einer im Museum of Modern Art (MoMa) in New York und der andere in der Tate Gallery in London hängt. Und nun eben auch David Hockney. Sehen Sie da auch eine biographische Grundierung bei dem nun mit 75 Jahren auch nicht mehr ganz jugendlichen Hockney?
Wie ich David Hockney kenne, auch mit durchaus vitalen, ja jugendlichen 75,  wohl eher die Beziehung zum Frühling. Nicht von ungefähr ist das größte Werk der Ausstellung das 52-teilige „Arrival of Spring“, bestehend aus einem monumentalen, fast zehn Meter langen Ölgemälde und 51 großformatig ausgedruckten iPad-Zeichnungen. Hockneys Motto lautet übrigens aus voller Überzeugung „love life“.

Die ausgestellten Bilder sind allerdings vor allem erst einmal eins: Groß. Das sollen sie auch sein; wer die Botschaft verpasst, der wird mit dem Ausstellungstitel „A Bigger Picture“ noch einmal mit der Nase darauf gestoßen.
Und wer groß sagt, der sagt auch größer. Größer als die Seerosen von Monet, größer als die großen Arbeiten von Hockney Maler-Konkurrenten Damien Hirst. Einige Kritiker haben deshalb auch bemerkt, in dieser Ausstellung ginge es Hockney auch gar nicht um Natur sondern um sein Ego. Was sagen Sie?
Quatsch! ‚To see the bigger picture‘ meint übrigens vor allem das große Ganze im Blick haben, über den eigenen Gartenzaun schauen.

Geradezu jugendlich wirkt auch, dass eine ganze Reihe der Bilder auf dem iPad entstanden sind. Wie muss man sich das vorstellen? Böswilligere Kommentare haben angemerkt, dass hier ein alter Mann beweisen will, dass auch er noch technikaffin ist und „mit der Zeit geht“, dass die Ergebnisse aber künstlerisch mittelmäßig und nichtssagend seien.Worin besteht für Sie die künstlerische Leistung Hockneys, bzw. der künstlerische Wert der ausgestellten Arbeiten?
Die iPad-drawings sind einfach gut, viele geradezu großartig; sie haben eine irritierende Anmutung. Es ist beeindruckend, wie beispielsweise die Yosemite Motive, auf dem iPad gezeichnet, schon für eine monumentale Größe von über dreieinhalb Metern gedacht sind und auch wirklich so funktionieren. Hier nutzt ein begnadeter Zeichner und Maler souverän ein modernes Medium, ohne sich von diesem bestimmen zu lassen.

Als Apple mit seiner App „Brushes“ für iPhone und iPad herauskam, gab es einen ziemlichen Hype, besonders als dann noch das US-Intellektuellenmagazin „The New Yorker“ am 1. Juni 2009 mit einem vollständig mit „Brushes“ hergestellten Cover des Künstler Jorge Colombo herauskam. Kennen Sie andere wichtige Künstler, die wie David Hockney mit „Brushes“ arbeiten?
Nun ja, es ist wie gesagt für ihn ein normales Arbeitsmittel und Vergleiche mit anderen Künstlern auf dieser Basis sind wohl eher irreführend. Ich kenne auch viele andere Künstler, die mit Pinsel oder Bleistift arbeiten.
 
Das Museum Ludwig zeigt die David Hockney-Ausstellung als Übernahme von der Royal Academy of Arts in London. Wie kam diese  Ausstellungskooperation zustande?
Als wir von dem Vorhaben Hockneys erfuhren, seine Landschaftsbilder mit einer umfassenden Ausstellung in den grandiosen Sälen der Royal Academy zu präsentieren, weckte dies natürlich unser Interesse. Als er und seine Mitarbeiter uns dann in Bridlington erstmals mit der gesamten Vielfalt des Werkkomplexes vertraut machten, waren wir begeistert. Es folgten Gespräche mit den Verantwortlichen der Royal Academy, und Hockneys inspirierte Bereitschaft nach einem Gegenbesuch in Köln, die Ausstellung mit uns zu machen, tat ein Übriges.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit zwischen Museum Ludwig und Royal Academy, bzw. zwischen Ihnen und den Londoner free lance-Kuratoren Marco Livingstone und Edith Devaney vorstellen? Wieviel Gestaltungsmöglichkeiten hatten Sie? Oder anders gefragt: Wieviel Museum Ludwig steckt in dieser Übernahme der Royal Academy-Ausstellung?
Marco Livingstone ist freier Kurator und ein alter Freund Hockneys, Edith Devaney ist Mitarbeiterin der Royal Academy. In Bilbao wurde die Londoner Ausstellung mehr oder weniger unverändert übernommen, für uns stellte sie eine Basis dar. Nach Sichtung des Konzeptes war Kasper König und mir klar, dass wir hier grundsätzlich sehr gerne mitmachen würden, allerdings der Kölner Station doch unbedingt einen sehr eigenen Charakter und eine andere Schwerpunktsetzung geben würden. Die Verlagerung von Akzenten zugunsten der wunderbaren Multi-Fokus- Filme beispielsweise, die Auflösung einer strengen Chronologie innerhalb dieses als Einheit zu sehenden Werkkomplexes der Yorkshire Landschaften, der Verzicht auf eine unserer Meinung nach wenig hilfreiche Vorgeschichte der Landschaftsmalerei im Werk des Künstlers sowie die von uns gewünschte Präsentation neuester spannender Arbeiten als Ausblick auf Folgendes waren Punkte, die wir in enger Absprache mit David Hockney als spezifisch für unsere Ausstellung im Museum Ludwig modifiziert haben.

Wie zu erfahren, haben Sie für die Ausstellung in Köln auch direkt mit Hockney zusammengearbeitet. Erzählen Sie.
Siehe oben. Es gab wunderbare Besuche und Gegenbesuche und das David Hockney nun von dem Resultat begeistert ist, freut uns natürlich besonders.

Wieviel fließt denn da für die Übernahme der Ausstellung an Royalties an die Royal Academy?
Viele der entstehenden Kosten wie Transporte und Versicherung werden unter den Partnerstationen geteilt, was eine solch kostenaufwändiges Projekt überhaupt erst möglich macht.  Für Leistungen seitens der Royal Academy als grundsätzlichem Organisator zahlen die beiden anderen Stationen natürlich eine entsprechende Aufwandsentschädigung.

Die Royal Academy of Arts ist, anders als ihr Name vermuten lässt, keine staatliche Einrichtung. Zur Finanzierung der Ausstellung hat sie kräftig die Marketingmaschine angeworfen, mit zum Teil originellen Aktionen. Wird es in Köln auch Yorkshire breakfasts oder Yorkshire (afternoon) tea wie in London geben?
Wohl eher nicht. Aber vielleicht ja „Himmel un Ääd“ , denn Hockney ist ein ausgesprochener Liebhaber Kölscher Küche. Die Ausstellung war mit über 650.000 Besuchern in London ziemlich erfolgreich.

Setzt Sie das für Köln unter Erfolgszwang, was die Publikumsresonanz anbelangt?
Bei einer so wunderbaren Ausstellung von Zwang zu reden, wäre unangemessen.

2009 zeigte die Kunsthalle Würth des Privatsammlers Reinhold Würth in Schwäbisch Hall die Ausstellung „David Hockney: Just Nature“, die von Gregory Evans, Hockney früherem Lover und Direktor seines Studios in Los Angeles, kuratiert wurde und über  100.000 Besucher anzog. Schon in „David Hockney: Just Nature“ war die Landschaftsmalerei zu sehen. Was leistet Ihre Ausstellung mehr/anderes?
Hockney liebt es, Ausstellungsprojekte aufeinander aufzubauen. Die schöne und gelungene Ausstellung in der Kunsthalle Würth war ein erster Schritt bezüglich der Yorkshire Landschaften.  Der gesamte wesentliche und beeindruckende Komplex der Multi-Fokus-Filme wie auch die intensive Auseinandersetzung mit dem Medium iPad hatten zu dieser Zeit noch gar nicht stattgefunden.

Drei Exponate Ihrer Ausstellung, die man unbedingt sehen sollte?
Das kann ich so wirklich nicht beantworten. Jedenfalls lohnt es sich, auch abseits der spektakulären und fantastischen Werke wie „Arrival of Spring“ oder der monumentalen Gruppe der „Woldgate Woods“ immer wieder genau hinzuschauen. Der Block der kleinformatigen Aquarelle beispielsweise ist einfach wunderbar, die Kohlezeichnungen sind meisterhaft, die Sketchbooks gleichermaßen intim wie virtuos. Nehmen Sie sich Zeit, die Natur in den Multi-Fokus-Filmen detailiert zu betrachten, die bereits am Eingang zur Ausstellung an Dürers „Rasenstück“ erinnern. Und lassen Sie sich die Jongleure am Ende der Ausstellung nicht entgehen, die wiederum auf achtzehn Screens einen unerwarteten Ausblick auf vielleicht zukünftige Projekte versprechen.

Autor: Interview: Christoph Mohr