Bonn | „Mein Mann ist als Jude umgebracht worden. Ich bin als Jüdin verfolgt worden.“ Die überlieferten Worte von Grete Weil (1906-1999) spiegeln sich in den tiefen Furchen auf ihrer Stirn. Herlinde Koelbl hat die bewegende Geschichte der Schriftstellerin in einem Foto eingefangen, ihren skeptischen Blick fixiert. „Ich will zeigen, was Deutschland mit diesen Menschen verloren hat“, sagt sie. Die „Jüdischen Porträts“ seien ihr von allen Projekten am wichtigsten gewesen. Die 72-Jährige geht auf Spurenlese und lässt die Besucher ab Donnerstag (5. Juli) im Haus der Geschichte in Bonn daran teilhaben.

Vollständig entblößt ist der Oberkörper einer jungen Frau. Nur eine mit funkelnden Steinen besetzte Kette umspielt ihre Haut. Zwei Frauen im Hintergrund des Fotos lächeln verzerrt, als versuchten sie ihre Scham über die freizügige Modeschau und den alternden eigenen Körper zu kaschieren. „Ich mache keine Hofberichterstattung“, sagt Koelbl deutlich. Bereits seit Ende der 1970er Jahre fotografiert die gebürtige Schwäbin Menschen in den unterschiedlichsten Kontexten. Die Fotoreihe „Feine Leute“ solle anhand von Körpersprache die Beweggründe in der gehobenen Gesellschaft entlarven, erklärt sie.

Das Sein hinter dem Schein

„Koelbl möchte das Sein hinter dem Schein zeigen“, sagt Hans Walter Hütter, Präsident des Museums, und schaut der Künstlerin dabei tief in die Augen. Ihre Aufnahmen irritierten, aber sie schockierten nicht. Vielmehr seien diese voller Menschlichkeit und Herzlichkeit. Koelbl strahlt, das Lachen mit den hellrot geschminkten Lippen wirkt ansteckend. „Das Wichtigste ist, dass man seinem Gegenüber zugetragen ist, um etwas über ihn zu erfahren“, verrät sie. So habe sie schon viele spätere Modelle für ihre Fotos überzeugen können.

Mit ihrer Offenheit schafft es Koelbl sogar in die intimsten Bereiche. Es scheint als wäre die Künstlerin mit den mangofarbenen Haaren und dem grünen Jackett gar nicht da gewesen, als Victoria und Vincent Poklewski im Ehebett gelegen haben. Auf einem Zettel notiert der Finanzberater, was er gerade am Telefon erfährt. Seine Ehefrau streichelt im Nachthemd den Familienhund an der Bettkante. „Das Interieur des Wohnzimmers wird für die Öffentlichkeit ausgewählt. Das Sein ist für das Schlafzimmer vorbehalten“, so ist Koelbl an der Wand über dem Foto zitiert.

Über 15 Jahre Gerhard Schröder fotografiert

„Sexualität, Angst, Macht: Koelbl will wissen, was die Menschen antreibt“, erklärt Kurator Jürgen Reiche. Inspiriert von der Venus von Willendorf, einer Figur aus der jüngeren Altsteinzeit, geht sie dabei wörtlich bis auf die Haut. Die Fotos in der Reihe „Starke Frauen“ zeigen vollbusige Körper jenseits gängiger Schönheitsideale. In „Spuren der Macht“ sucht sie nach den Beweggründen von Prominenten. Gerhard Schröder blickt den Betrachtern zwanzigfach entgegen: Er hält eine Zigarre an der Schläfe, lehnt lässig in einem Sessel, runzelt nachdenklich die Stirn.

„Über 15 Jahre habe ich Schröder fotografiert“, erinnert sich Koelbl. Wie das Amt den Menschen psychisch verändert, habe sie herausfinden wollen. Dabei verzichtet sie auf ausgefallenes Licht und skurrile Bildausschnitte. An einer Schule gelernt habe sie das Fotografieren nicht: „Ich empfand es als Vorteil, keine Lehre abschütteln zu müssen“, erklärt die 72-Jährige und wirkt ein wenig stolz, dass sie sich die Technik selbst beigebracht hat. Demnächst wolle sie vielleicht tiefer in Angela Merkel hineinschauen, wieder auf Spurenlese bei den Mächtigen gehen.

Autor: Sandra Hottenrott/ dapd | Foto: Herrmann J. Knippertz/ dapd
Foto: Herlinde Koelbl vor ihren Porträts im Haus der Geschichte in Bonn