Köln | Seit fast zwei Jahren ist die Dauerausstellung des Museums für Angewandte Kunst wegen Sanierungsarbeiten geschlossen. Zeit genug, im Depot auf Entdeckungsreisen zu gehen. Einiges, was dort „gefunden“ wurde, ist jetzt in der wiedereröffneten Abteilung „Kunst + Design“ zu sehen. Zu bestaunen am Wochenende – bei freiem Eintritt.

Sehen ja, berühren nein – auch wenn es manchen jucken dürfte, zum Beispiel die skurrilen Sitzmöbel auszuprobieren. Kuratorin Romana Rebbelmund hat es im Vorfeld getan. Nicht bei allen Objekten, etwa beim wohlgerundeten „Tomato Chair“ von Eero Aarino aus dem Jahr 1971, bei dem die Popart fröhliche Urstände feiert. Wohl aber auf dem kantigen „Sensilla“ von Heiko Bartels und Harald Hullmann. „Überraschend bequem“, verrät sie – und das, obwohl die Sitzfläche aus hartem Marmor ist.

Reise durch ein Jahrhundert Design-Geschichte

Rund 500 Objekte werden in großzügigem Rahmen präsentiert, etwa die Hälfte davon aus der 2005 gestifteten Sammlung Winkler. Die beiden ältesten Exponate stammen aus dem Jahr 1896: Thomas Alva Edisons Phonograph und die Schreibmaschine „Urania“, bis 1909 in Dresden produziert. Das jüngste Exponate wurde erst im Vorjahr hergestellt: ein durchsichtiger aufblasbarer Sitzhocker. Schon in den 1960er Jahren entworfen, fehlte damals das geeignete Material entworfen. Das stand erst jetzt bereit, das Modelabel Prada gab den Hocker in einer Sonderedition heraus – und eines der wenigen Exemplare konnte das MAKK erwerben.

Tische und Stühle, Sessel, Geschirr, Leuchten, Radios, Telefone, Schränke und eine Nähmaschine schicken den Besucher auf einen Nostalgie-Triup durch ein Jahrhundert Designgeschichte. De Stijl, Bauhaus, Art Deco und Pop Art sind die bekanntesten Stilrichtungen. Jugendstill allerdings ist nicht dabei – ihm wird noch eine eigene Abteilung gewidmet. Dafür ist aber der neueste Trend vertreten, der mit vorgefundenen Materialen auf Nachhaltigkeit setzt.

Kostbarkeiten aus dem Depot erstmals ausgestellt

Im Depot entdeckt wurde etwa ein Art-Deco-Cocktail-Ensemble aus den USA. Um den verchromten Shaker scharen sich sechs blaue Gläser: Nach dem Ende der Prohibition 1933 durfte wieder Alkohol getrunken werden. Ans Tageslicht geholt wurde auch ein Teeservice des Bauhaus-Künstlers Theodor Bogler – in seiner Komplettheit eine Rarität. Prominente Ausstellungsstücke sind etwa die blinkende Wurlitzer-Musicbox oder die Kaktus-Garderobe aus dem Jahr 1972. Auch ein echter Nierentisch zieht die Aufmerksamkeit an.

Ergänzt werden die Gebrauchsgegenstände durch Kunst der jeweiligen Zeit. So lassen sich etwa – zufällige? – Parallelen zwischen den Bildern von Piet Mondrian und einem Sessel von Gerrit Rietveld entdecken. So ist die Ausstellung zugleich ein spannendes Familientreffen, zu dem Walter Gropius und Andy Warhol, Frank Lloyd Wright und Günter Uecker und viele andere eingeladen wurden. Mit einer kostenlosen App lassen sich 34 unterschiedliche Design-Aspekte näher erkunden.

Am kommenden Samstag und Sonntag ist der Eintritt frei. Zusätzlich werden Führungen und offene Workshops (Teilnahme begrenzt) für Kinder angeboten, etwa „Raumschiff basteln“, „Porzellan bemalen“ oder Schmuck-Upcycling.

Museum für Angewandte Kunst, An der Rechtschule, 50667 Köln. Di-So 11-18 Uhr, erster Donnerstag im Monat bis 22 Uhr

Autor: ehu
Foto: Kunst und Design in Zeiten der Pop Art: Vorne links der „Tomato Chair“. Wie bequem er ist, bleibt offen.