Köln | Die Frankurter Städel-Museum zeigt derzeit mit „Making van Gogh“ eine Ausstellung, die zu den Blockbuster-Schauen des Jahres zählen wird. Die These: Deutschland hat van Gogh gemacht. Und Köln hat dabei keine unwesentliche Rolle gespielt. Christoph Mohr befragte den Co-Kurator Dr. Felix Krämer.


Dr. Felix Krämer, Kurator, Generaldirektor Kunstpalast, Düsseldorf, Foto: Andreas Endermann

Ihre Ausstellung wartet mit einer steilen These auf: Nicht Frankreich, wo van Gogh gelebt und gearbeitet hat, nicht sein Heimatland Holland, sondern Deutschland hat van Gogh gemacht. Das müssen Sie erklären.

Es ist kein Geheimnis, dass van Gogh aufgrund seines frühen Todes den riesigen Erfolg, den seine Arbeiten bis heute haben, selbst nicht mehr erlebt hat. Mit der Formulierung „Making“ im Ausstellungstitel spielen wir auf die Rezeption seiner Arbeiten und der Künstlerpersönlichkeit an. Beides wurde maßgeblich durch deutsche Galeristen, Sammler und Museumskollegen im frühen 20. Jahrhunderts geformt. In der Ausstellung zeichnen wir diese Entwicklung nach und präsentieren neben den Werken von van Gogh auch Arbeiten von Künstlern, die von ihm inspiriert wurden.

Van Gogh hat zu Lebzeiten kein einziges seiner Bilder verkaufen können und das obwohl sein Bruder Theo ein etablierter Kunsthändler in Paris war. Was passierte mit diesen ganzen Bildern nach seinem Freitod im Jahr 1890?

Um das Leben von van Gogh reihen sich eine ganze Menge an Mythen und Legenden; dazu gehört die Behauptung, dass er kein einziges Bild verkauft habe. Richtig ist allerdings, dass er nur sehr wenige Werke veräußern konnte. Sein Nachlass wurde zunächst von seinem Bruder Theo verwaltet, der aber bereits sechs Monate nach ihm verstarb. Dessen Frau, Johanna van Gogh-Bonger, übernahm diese Aufgabe dann sehr erfolgreich. Hierzu zählten neben den Gemälden auch die Zeichnungen sowie die Korrespondenz. Van Gogh-Bonger baute umfangreiche Kontakte zu Galeristen, Kritikern und Sammlern auf und transkribierte die Briefe. Sie ist eine Schlüsselfigur für den posthumen Erfolg ihres Schwagers.

Die zentrale Figur für den Durchbruch von van Gogh in Deutschland war der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer, sagen Sie. Wer war das?

Paul Cassirer war Kunsthistoriker und führte – zunächst mit seinem Cousin Bruno – eine wichtige Galerie in Berlin. Zudem war er der Sekretär der Berliner Sezession und bestens in Künstler- und Sammlerkreisen vernetzt. Auf seine Initiative ging die erste van Gogh Ausstellung in Deutschland zurück, die 1901 in seinem Kunstsalon gezeigt wurde. Ihm gelang es, ein Vertrauensverhältnis zu van Gogh-Bonger aufzubauen, so dass er in der Folge direkt von ihr Gemälde – darunter zahlreiche Hauptwerke – bezog.

Und Cassirer hatte so etwas wie eine Vermarktungsstrategie…

Obwohl die erste Ausstellung wirtschaftlich keinen Erfolg darstellte, merkte Cassirer sofort, dass er einen Nerv getroffen hatte. Sowohl Kritiker als auch Sammler waren von dieser farbgewaltigen Malerei begeistert. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges organisierte er in rascher Folge insgesamt 15 Ausstellungen mit Werken des Niederländers. Auch andere Galerien in Deutschland zeigten nun Arbeiten van Goghs. Neben Cassirer ist der Kritiker Julius Meier-Graefe eine Schlüsselfigur für den Erfolg, da er als einer der Ersten die besondere künstlerische Qualität erkannte. In seiner 1904 erstmals publizierten „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“ widmet er dem Künstler ein ganzes Kapitel. Seine romanhaften Schilderungen des Künstlers als verrückt geniale Persönlichkeit, die sich für die Kunst opfert, prägen bis heute ganz wesentlich den Mythos. So ist es nur konsequent, dass er auch den ersten Roman über van Gogh schrieb.

Der eigentliche van Gogh-Durchbruch in Deutschland war dann die Sonderbund-Ausstellung 1912 in Köln.

Ja, das stimmt. Diese Ausstellung zeigte insgesamt 600 Arbeiten und formuliere so etwas wie einen Kanon der modernen Kunst, der die Wahrnehmung im 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat. Matisse, Munch, Picasso, Kirchner, waren alle vertreten. Überstrahlt wurde die Ausstellung durch die Bilder van Goghs. Die ersten fünf Säle waren ausschließlich seiner Kunst gewidmet; 125 Gemälde von ihm waren zu sehen. Ein Künstler, der zehn Jahre zuvor noch so gut wie unbekannt war, wurde in kürzester Zeit zum Protagonisten der Moderne stilisiert. Eine Position, die bis heute Bestand hat.

Und wie kam eine solche prominente Präsentation an?

Gerade die Van Gogh-Enthusiasten fühlten sich bestätigt, darunter viele Künstler. An der Organisation der Ausstellung war übrigens auch Cassirer beteiligt.

Ausgelöst durch die zahlreichen van Gogh-Ausstellungen kauften dann auch die privaten Kunstsammler Arbeiten von van Gogh. Hier fallen vor allem Namen aus dem jüdischen Großbürgertum auf. Warum kauften diese Sammler van Gogh? Und was ist aus diesen Bildern geworden?

Von den zahlreichen Arbeiten des Künstlers, die sich schon vor dem Ersten Weltkrieg in deutschem Privatbesitz befanden, ist heute keines mehr in Deutschland. Es ist richtig, dass im jüdischen Großbürgertum eine besondere Offenheit für die Moderne existierte. Neben der Malerei faszinierte auch das Schicksal van Goghs, das so gar nicht in das geläufige Bild der erfolgreichen Künstler-Vita passte. Viele dieser Gemälde wurden dann mit ins Exil genommen; etliche von Ihnen sind heute in den großen internationalen Museen zu finden.

Unter den frühen van Gogh-Sammlern findet sich auch der Kölner Warenhausbesitzer Tietz. Was weiß man darüber?

Der Kölner Kaufhausbesitzer Leonhard Tietz erwarb 1912 das Selbstporträt van Goghs aus dem Jahr 1887, welches sich heute im Museum in Chicago befindet und augenblicklich in Frankfurt zu sehen ist.


Vincent van Gogh (1853–1890), Selbsporträt, 1887, Öl auf Malpappe, montiert auf parkettierter Holztafel, 41 x 32,5, cm, The Art Institute of Chicago, Joseph Winterbotham Collection, 1954.326

Nach den Sammlern kauften dann die Museen, darunter als eines der ersten (1910)  auch das Wallraf-Richartz-Museum in Köln, Bilder von van Gogh.
Einer dieser van Gogh ist noch immer in Köln zu sehen, wo ist das andere?

Ich nehme an, Sie spielen auf das Porträt des Armand Roulin im Museum Boijmans van Beuningen in Rotterdam an. Dieses Gemälde wurde 1910 in der Frankfurter Galerie Goldschmidt für das Kölner Museum erworben. Die Stadt Köln trennte sich dann 1937 freiwillig von dem Werk, um Hermann Göring zur Geburt seiner Tochter ein Cranach-Gemälde schenken zu können. Allerdings befindet sich das 1911 erworbene Gemälde „Die Zugbrücke“ noch heute in der Sammlung des Wallraf Richartz Museums.


Vincent van Gogh, Die Zugbrücke, 1888, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln, Foto: Rheinisches Bildarchiv, Köln

Auch das Frankfurter Städel-Museum engagierte sich früh und besaß zwei van Goghs, ein eher unbedeutendes Frühwerk und ein sehr berühmtes Meisterwerk. Von diesem Portrait des Dr. Gachet zeigen Sie nur den Rahmen. Was hat es damit auf sich?

Der Direktor des Städel Museums erwarb 1908 ganz bewusst ein – aus damaliger Perspektive – weniger provokantes Frühwerk von van Gogh. Ob es deshalb weniger bedeutend ist? Interessant ist allerdings, dass das Städel damit das erste öffentliche Museum war, welches ein Gemälde des Künstlers besaß! Dieser Ankauf bereitete die Verwaltung und das Publikum des Museums auf den 1911 folgenden Ankauf des „Bildnis des Dr. Gachet“ vor. Es handelt sich dabei um das letzte Porträt, das der Künstler nur wenige Wochen vor seinem Freitod malte. Dieses Bild wurde dann 1937 durch die Nationalsozialisten beschlagnahmt und aus dem Städel entfernt. Heute befindet sich das Werk in einer Privatsammlung, leider unzugänglich für die Öffentlichkeit. Überdauert hat lediglich der prächtige Goldrahmen, der sich noch immer in der Sammlung des Museums befindet und nun als Markierung der „Leerstelle“ gezeigt wird.


Vincent van Gogh, Bildnis des Dr. Gachet, 1890, Öl auf Leinwand, Privatsammlung, Foto: Bridgeman Images

Es fällt auf, dass zwar Museen in den Provinzen des Deutschen Reiches van Gogh-Gemälde kauften, nicht aber in der Hauptstadt Berlin. Eine Erklärung?

Dies hat sicherlich mit dem direkten Einfluss des Kaisers zu tun, dessen persönlicher Kunstgeschmack sehr konservativ war. Der Direktor der Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, stand der Moderne sehr offen gegenüber und erwarb privat mehrere van Gogh-Gemälde – in der Ausstellung ist „Blick auf Arles“ zu sehen; ganz sicher ein Höhepunkt der Präsentation. Dieses Bild gehört zu den Werken, die nach seinem Tod an die Pinakothek in München gingen.

Die Ausstellungen und Ankäufe durch Sammler und Museen waren aber nur der erste Akt im Making of van Gogh. Dann kam der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe…

Tatsächlich war Meier-Graefe schon vor Cassirer auf van Gogh aufmerksam geworden und setze sich für ihn ein. Er war auch der Erste, der die Forderung stellte, die Nationalgalerie solle ein Bild des Niederländers für ihre Sammlung erwerben.

Im Wesentlichen sehen wir ja van Gogh noch heute so: als Musterbeispiel eines von den Zeitgenossen unverstandenen und leidenden Künstlers, der sich für seine Malerei aufopfert, in fianziell prekären Verhältnissen lebt etc. Was stimmt daran nicht ?

Man kann nicht sagen, dass dieses Bild vollkommen falsch wäre. Problematisch ist allerdings die Überzeichnung, denn van Gogh hatte auch eine andere Seite. So war er gut vernetzt und gerade in Künstlerkreisen auch durchaus anerkannt, gerade in der Phase kurz vor seinem Tod stellten sich die ersten wirklichen Erfolge ein. Richtig ist allerdings, dass van Gogh stets Geldsorgen hatte und finanziell von der Unterstützung seines Bruders Theo abhängig war.

Obwohl van Gogh zum der Deutschen liebster Künstler avanciert war, haben ihn die Nazis dann zu eleminieren versucht. Wie erfolgreich war das?

Auch hier muss man differenzieren. Es gab unter den Nationalsozialsten begeisterte van Gogh Anhänger, obwohl dessen Kunst nicht Hitlers Geschmack entsprach. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs berichtet eine Zeitung, dass in Berlin van Goghs Sonnenblumen als Reproduktionen zu den populärsten Werken überhaupt zählten.

Die gleichsam letzte Stufe des Making of van Gogh waren dann die Künstler. Ihre Ausstellung zeigt, wie viele wichtige Künstler in Deutschland sich von van Gogh inspirieren ließen. Würden Sie so weit gehen und sagen, dass es den Deutschen Expresionismus, Die Brücke und den Blauen Reiter ohne van Gogh nicht gäbe?

Ja, ich glaube, dass die Ausstellung dies sehr deutlich zeigt. Ohne van Gogh gäbe es keinen deutschen Expressionismus. Dies war für mich von Anfang an die Grundthese des Projekts. Man kann sagen, dass erst mit van Gogh die leuchtende Farbigkeit und auch der vom Gegenstand losgelöste Farbauftrag in Deutschland zur Anwendung kam.

Die Selbstidentifikation, vielleicht auch die Selbststilisierung, einiger deutscher Künstler ging so weit, dass sie sich in van Gogh-Pose darstellten.

Die zahlreichen Selbstbildnisse van Goghs inspirierten viele deutsche Künstler, sich in einer ähnlichen Form zu präsentieren, so etwa auch Max Beckmann oder Heinrich Nauen (einem bedeutenden Vertreter des „Rheinischen Expressionismus). Von Nauen ist sein „Selbstbildnis mit Hut“ aus den Kunstmuseen Krefeld in Frankfurt zu sehen. Die verschiedenen der Malweisen zeigen, dass es zum Teil weniger van Goghs Stil als seine Persönlichkeit war, die ihn als Vorbild interessant machte.


Heinrich Nauens Selbstbildnis. Foto: Kunstmuseen Krefeld

Lassen Sie uns zum Abschluss noch über das Entstehen Ihrer van Gogh-Ausstellung sprechen, sozusagen das The Making of…  The Making of.

Blockbuster-Ausstellungen, die über 100.000 Besucher anziehen, seien in Deutschland kaum noch möglich, hört man. Das Museum Ludwig in Köln oder das Museum Folkwang in Essen scheinen sich ganz aus diesem Wettbewerb verabschiedet zu haben; dafür spielt das Museum Barberini in Potsdam mit angeblich viel Geld im Hintergrund mit.

Teilen Sie, nunmehr auch selbst Museumschef in Düsseldorf, diese allgemeine Einschätzung?

Das sehe ich nicht so. Sowohl Köln als auch Essen zeigen momentan sehr aufwendige und gut gemachte Ausstellungen. „Rembrandt“ (im Wallraf-Richartz-Museum in Köln) und „Der montierte Mensch“ (im Museum Folkwang in Essen) lohnen unbedingt einen Besuch. Wie viele Besucher die jeweiligen Projekte am Ende haben werden, wird man sehen. Jedes Haus hat ganz spezifische Herausforderungen, wobei Besucherzahlen immer nur einen Aspekt darstellen, um den Erfolg einer Ausstellung zu beurteilen.

Und in Frankfurt war eine solche Ausstellung möglich, weil Franfurt einfach viel Geld hat oder mobilisieren kann?

Natürlich kostet so eine Ausstellung viel Geld. Das Städel ist als private Stiftung beweglicher als andere Institutionen und auch das Engagement der Bürger kann man nicht hoch genug loben. Genauso wichtig sind aber das Konzept und eine langfristige Planung. Als ich vor fünf Jahren mit der Vorbereitung der Ausstellung begann und die ersten Reisen machte, um potentielle Leihgeber für die Projektidee zu begeistern, ging es nicht um Geld. Wenn die Idee und das Konzept gut genug sind, dann bekommt man ein Projekt auch finanziert, unabhängig vom Ort.

Geben sie uns doch einmal eine Hausnummer. Wieviel kostet eine solche Blockbuster-Ausstellung heute?

Das Ziel eines solchen Projektes ist es, dass man am Schluss nicht mit einem Minus dasteht. Wie viel die Ausstellung dann am Anfang gekostet hat, spielt also nicht wirklich eine Rolle.

Es fällt auf, dass bei Ihrer Ausstellung in Frankfurt die Sponsorennamen fehlen. Wie konnten Sie die Ausstellung trotzdem finanzieren?

Möglich wurde die Ausstellung durch die großartige Unterstützung der Franz Dieter und Michaela Kaldewei Kulturstiftung sowie durch den Städelschen Museums-Verein (unter Leitung von Sylvia von Metzler). Es stimmt aber, dass es immer schwieriger wird, private Unternehmen als Sponsoren zu gewinnen.

Ist nun (ausstellungsmäßig) alles zu van Gogh gesagt?

Davon ist kaum auszugehen, wobei ich nicht glaube, dass wir in Deutschland in den nächsten Jahren eine ähnlich umfangreiche van Gogh-Präsentation erleben werden. Bei dem Konzept war mir vor allem wichtig, deutlich zu machen, welche zentrale Rolle der Künstler für die Kunst hierzulande gespielt hat. Ich denke, in den vielen, vielen Reaktionen  zeigt sich: das ist gelungen.

Und was dürfen wir als nächstes von Ihnen erwarten?

Mein Job ist jetzt ein anderer. Als Direktor kuratiere ich momentan nicht, sondern kümmere mich um den Kunstpalast in Düsseldorf, ein Museum mit einem riesigen Potential und einer tollen Sammlung. Dabei wird es in der nächsten Zeit verstärkt darum gehen, das Museum noch deutlicher als bisher in die Mitte der Gesellschaft zu führen, auch mit ungewöhnlichen Themen und Mitteln. Dafür bieten Düsseldorf und der Kunstpalast ausgezeichnete Möglichkeiten, die wir nutzen wollen. Wir zeigen nun die Sonderausstellungen Angelika Kauffmann und Peter Lindbergh, was die Vielfalt unserer Sammlung wunderbar widerspiegelt und hoffentlich ein breites Publikum anspricht.

 

Das Interview führte Christoph Mohr

 

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Ausstellung „Making van Gogh“

Städel-Museum Frankfurt

Bis 16.02.2020

Der Katalog zur Ausstellung ist im Hirmer-Verlag erschienen (49,90€)

 

Dr. Felix Krämer ist seit Oktober 2017 Generaldirektor und künstlerischer Leiter der Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Zuvor leitete er von 2008 bis 2017 die Sammlung Kunst der Moderne am Städel-Museum in Frnkfurt. Hier entwickelte er die Idee und das Konzept zur Ausstellung „Making van Gogh“.

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Autor: Von Christoph Mohr
Foto: Eine Besucherin vor einem Selbstporträt von Vincent van Gogh im Frankfurter Städel Museum, Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz