Köln | Es ist ein bisschen ruhiger geworden um Rosemarie Trockel, die in Köln lebende Künstlerin, die durch ihre großformatigen Strickbilder internationale Bekanntheit erlangte und eine der wenigen Künstlerinnen ist, die sich auf dem internationalen Kunstmarkt durchsetzen konnte. Nach den großen Ausstellungen im New Museum New York (2012/2013) und im Kunsthaus Bregenz (2015) hat es in jüngster Vergangenheit keine großen Einzelausstellungen der Künstlerin mehr gegeben. Doch wie eine „Spurensuche“ zeigt, liefern die Arbeiten der Konzeptkünstlerin weiterin wichtige Denkanstöße in anderen Zusammenhängen.

Basel oder die Entlarvung der Vorliebe für kleine Mädchen

In einer intelligenten Selbstbefragung des eigenen Sammlungsbestands zeigt das Kunstmuseum Basel derzeit unter dem Titel „Kontovers? Ausgewählte Werke der Sammlung“ Bilder, die zum Zeitpunkt ihres Erwerbs umstritten, sogar skandalträchtig waren, oder, noch interesanter, die Jahre und Jahrzehnte mehr oder minder unbemerkt waren und HEUTE umstritten sind.

Das gleichsam inkriminierte Objekt ist eine Radierung des deutschen Expressionisten Ernst-Ludwig Kirchner („Nacktes Melancholisches Mädchen“, 1921), das 1923 als Geschenk des Künstlers in die Sammlung des Kunstmuseums Basel kam. Dem stellt Kuratorin Maja Wismer zwei Arbeiten Rosemarie Trockels an die Seite, die aus dem heute eher harmlos wirkenden expressionistischen Akt ein Problem machen.

Erklärt die Kuratorin: „Rosemarie Trockels Persiflage „Ohne Titel (nach Erst Ludwig Kirchner“ ist die fotokopierte und bearbeitete Reproduktion einer Grafik Kirchners. Seine Obsession für weibliche, oft minderjährige Modelle entblößend, hat Trockel dem im Original dargestellten weiblichen Akt zum Mann umgestaltet, am Haarschnitt möglicherweise erkennbar als Kirchner selbst.“ Es geht noch schlimmer: „Das gleiche Prinzip wandte sie an, um den Maler Balthus in seiner Fixierung auf adoleszente Mädchen in zweideutiger Pose als Bildmotive zu entlarven.“

Über diese beiden Arbeiten hinaus ist Rosemarie Trockel im Kunstmuseum Basel gut vertreten. „Die Zeichnungen der Künstlerin bilden einen Schwerpunkt in der Sammlung des Kupferstichbabinetts“ erklärt Maja Wismer. Diese wurden auch wiederholt größer gezeigt, so 2008 unter dem Titel „Fokus Rosemarie Trockel“ und 2010 als Ausstellung „Rosemarie Trockel. Zeichnung, Collagen und Buchentwürfe“, die anschließend auch im Kunstmuseum Bonn zu sehen war.

Frankfurt oder das Marquis de Sade-Hemd

Noch prominenter ist Rosemarie Trockel gegenwärtig in Frankfurt am Main zu sehen – und das gleichsam stadtweit. Denn eine ihrer Arbeiten ist nicht nur in der Ausstellung „Museum“ des Museums für Moderne Kunst (MMK) vertreten, sondern sie prägt auch das Ausstellungsplaket.

Die Ausstellung „Museum“ ist die mit Spannung erwartete zweite Frankfurter Ausstellung der MMK-Direktorin Susanne Pfeffer, eine der gegenwärtig am höchsten gehandelten Ausstellungsmacher in Deutschland, nach ihrer spektakulären Auftaktausstellung (Cady Noland) als Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst (MMK), die auch mehrere Kölner Kulturmenschen zur Ausstellung des Jahres 2018 kürten.
 
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Dziewior, Direktor Museum Ludwig
Nicola Dietrich, Direktorin, Kölnischer Kunstverein
Quelle: www.report-k.de , 2018/19
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Die Ausstellung ist vor allem – mutig. Susanne Pfeffer hat das gesamte Museum leer räumen lassen und zeigt auf drei Etagen nur 56 Exponate. Manchmal sind das nur ein, zwei Exponate pro Raum; Videos zeigt sie auf 2×3 Meter großen Video-Mauern, die frei im Raum stehen. Und im ersten Raum gibt es gleich gar nichts zu sehen – nur der „unsichtbare Wind“ sei hier zu spüren (!).

 „Ein Museum der Gegenwart muss immer ein anderes sein. Die Ausstellung „Museum“ versucht in einer Zeit des permanenten Wandels und begleitender Ohnmacht andere Räume zu öffnen und zu besetzen“, sagt die Ausstellungsmacherin und MMK-Direktorin Susanne Pfeffer. „Nicht die kritische Hinterfragung der Institution selbst steht im Mittelpunkt, sondern ihre Möglichkeiten.“

Rosemarie Trockel ist in der Ausstellung mit einem Objekt vertreten, das auf auf den ersten Blick nicht mehr ist als ein weißes, fabrikfrisches Hemd. Auch auf den zweiten Blick bleibt es ein weißes, fabrikfrisches Hemd, nur verändert durch ein Etikett mit der Inschrift „Justine Juliette – COLLECTION DESIR“ und einen schwarzen, eingestickten „Fleck“. Das Ganze ist gleichsam nur mit „Beipackzettel“ verständlich, wobei sich hier wieder einmal die Frage stellt, ob der Marquis de Sade, bekannt als Verfasser gewaltpornographischer Romane, wirklich als Vorkämpfer der sexuellen Freiheit der Frauen durchgeht.
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Was ein weißes Hemd bedeuten mag

Gleich einem Blatt Papier liegt es da: Ein fabrikneues,  strahlend weißes Hemd – mit einem kleinen Fleck, der kein Versehen, sondern von Hand mit schwarzem Garn gestickt ist. Seine präzise thematische und zeitliche Verortung bekommt das Hemd nicht im Aussehen, sondern mit dem Etikett. „Justine Juliette“ steht da, und darunter „COLLECTION DESIR“. Wobei Justine und Juliette die Titel von zwei Romanen des Marquis de Sade sind, die in ihrer Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte eine  eigene Geschichte der Dynamik der einzigen bürgerlichen Revolution erzählen, die diesen Namen verdient, nämlich der französischen. Der Marquis wurde im April 1801 als Verfasser der „schändlichen“ Justine und der „noch schrecklicheren“ Juliette zu lebenslanger Haft verurteilt und die Verbreitung des Doppelromans streng verboten. Dabei hatte die Geschichte der Bücher mit einem Erfolg begonnen. Nachdem die Revolutionär_innen 1789 de Sade aus der Haft befreit hatten, veröffentlichte er 1791 anonym Justine oder die Unglücksfälle der Tugend. Sechs Auflagen bis 1801 zeugen vom Erfolg der Geschichte um die erste literarische Personifizierung der schwach geborenen starken Frau. Während man Justine aber noch im Kampf mit und gegen das Sittengesetz, im Kampf um Gut und Böse, erleben konnte, war im Lebensbericht ihrer Schwester Juliette, der 1801 erschien, die Tugend schon besiegt und Ausschweifung folgte auf Ausschweifung – organisiert und in Szene gesetzt von Frauen. Damit war nicht nur für den Marquis, sondern auch für die Frauen Schluss mit lustig. Die Revolutionär_innen hatten begonnen, sich mit der Machtergreifung Napoleons zu konsolidieren, ihr Tugendideal wurde die bürgerliche Kleinfamilie und die Wünsche wurden in der Folge der industriellen Revolution „maschinisiert“, d.h. in ihre industrielle Produktionsform überführt. Die „COLLECTION DESIR“ verweist auf genau diesen Prozess: auf die maschinelle Verfertigung der Wünsche.

Quelle: MMK Frankfurt; Begleittext zur Ausstellung „Museum“, 2019
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Im Übrigen ist auch ein anderer Künstler, der in Köln gelebt und gearbeitet hat, in der Ausstellung vertreten: Marcel Broodthaers. Von dem belgischen Konzeptkünstler, der 1976 in Köln gestorben ist, zeigt das MMK die Arbeit „Musée d’Art moderne à vendre – pour cause de faillite (Museum für Moderne Kunst wegen Konkurs zu verkaufen) (Schutzumschlag für den Katalog des Kölner Kunstmarkt 1970-71).

Rosemarie Trockel jedenfalls bleibt weiterhin in vielen Ausstellungen auf der ganzen Welt vertreten. Ihre Galerie Sprueth Magers (Köln, Berlin, London, Los Angeles, Hong Kong), die viel zur internationalen Präsenz der Kölner Künstlerin beigetragen hat, zeigt dies auf einer fortlaufend aktualisierten Übersicht eindrucksvoll.
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Kunstmuseum Basel
Kontovers? Ausgewählte Werke der Sammlung
Bis 05.01.2020
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Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt
Museum
Bis 16.02.2020

Autor: Von Christoph Mohr
Foto: Screenshot der Website mit der Ankündigung der Ausstellung des Museum für Moderne Kunst (MMK) Frankfurt