Köln | Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer sind die Mächtigsten im Kunstland? Für die einen ist es amüsanter gehobener Unsinn, für die anderen ein Must, auf das jeder schaut, der in der internationalen Kunstwelt etwas auf sich hält: Die ArtReview Power 100, die Liste der angeblich 100 einflussreichsten Leute der Kunstszene weltweit, die das in London erscheinende Magazin für zeitgenössische Kunst alljährlich zusammen stellt.

EXKLUSIV: Interview mit dem Kölner Galeristen Daniel Buchholz, der zum ersten Mal in der ArtReview Power 100 Liste geführt wird >

Die Liste (am Fuß des Artikels zu finden), von einer geheimgehaltenen Jury zusammen gestellt, von der man nicht einmal sicher wissen kann, dass es sie überhaupt gibt, folgt keinen objektiven Kriterien. Aber sie spiegelt offenkundig wider, wen Insider für einflußreich in der internationalen Kunstwelt halten und zeigt, wer als Ausstellungsmacher, Museumschef oder Galerist Künstler groß machen kann und auf welche Künstler aus welchen Gründen auch immer geschaut wird.

Wenig erstaunlich und ein bisschen banal wird die diesjährige Liste von Carolyn Christov-Bakargiev angeführt, der Chefin der documenta 13 in Kassel. Das Faktum selbst ist weniger aussagekräftig als der Vergleich: Wenn die documenta-Chefin die weltweit einflussreichste Person der Kunstwelt ist, weit vor den Leitern konkurrierender Veranstaltungen wie der Biennale von Venedig (Massimiliano Gioni; 19) São Paulo oder der Whitney Biennial in New York, dann zeigt das eben auch, dass die alle fünf Jahre stattfindende documenta noch immer die weltweit wichtigste Ausstellung für zeitgenössische Kunst ist.

Das Argument zieht dann allerdings auch im Vergleich der Art Cologne zu den anderen Kunstmessen der Welt: Während Annette Schönholzer, Marc Spiegler und Magnus Renfrew, die Macher der Art Basel gemeinsam Platz 16 belegen und Matthew Slotover und Amana Sharp, die Leute hinter der Frieze Art in London und New York Platz 23 taucht Daniel Hug, der Chef der Art Cologne auf der Liste nicht auf!

Auf Platz 2 findet sich bereits ein Galerist (Larry Gagosian), ebenso auf den Plätzen 4 (Iwan Wirth) und 5 (David Zwirner). Sie alle haben eines gemein: Sie haben nicht mehr nur eine Galerie in einer der bekannten Kulturmetropolen wie Paris, London oder New York; sie sind mit mit eigenen Galerien in immer mehr Städten auf mehreren Kontinenten vertreten: Der „Mega-Galerist“ Gagosian in New York (3 Galerien), Beverly Hills, London, Paris, Rom, Athen, Genf und Hong Kong, Iwan Wirth mit seiner Galerie Hauser & Wirth in Zürich, London und New York, Ivan Wirths Ex-Partner David Zwirner in New York und London. Und ihre Galerien werden immer größer, so dass sie mittlerweile Ausstellungen von Museumsrang organisieren können, wie die Picasso-Ausstellung der Gagosian Gallery in New York im Frühjahr dieses Jahres.

Auf den folgenden Plätzen sieht die ArtReview Power 100 dann mit der Deutschen Beatrix Ruf (Platz 7), Leiterin der Kunsthalle Zürich und Nicholas Serota (Platz 8), Chef der Tate in London Museumschefs. Auch hier ist erst der Vergleich aufschlussreich: Das Museum of Modern Art (MoMa) in New York, das landläufig als das einflussreichste Museum für zeitgenössische Kunst der Welt gilt, liegt mit seinem Chef Glenn D. Lowry (9) und seinem deutschen Chefkurator Klaus Biesenbach (22) hinter der Tate in London; das Pariser Centre Pompidou mit seinen Leitern Alain Seban und Alfred Pacquement auf Platz 14. Deutschland ist nur mit Udo Kittelmann, dem ehemaligen Leiter des Kölner Kunstvereins und heutigem Direktor der Nationalgalerie in Berlin vertreten, es fehlen die Museumschefs in München oder Frankfurt wie Max Hollein (Ein Portrait Max Holleins finden Sie hier in der Online-Ausgabe des Handelsblatts oder Susanne Gaensheimer die auch den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig verantwortet.
Auch der scheidende Museum Ludwig-Chef Kasper König, der im letzten Jahr auf der Liste vertreten war, fehlt heute. Sozusagen die Familienehre rettet wenigsten Kasper Königst Sohn Johann (99) mit seiner Galerie in Berlin.

Köln ist dennoch auf der ArtReview Power 100 sehr gut vertreten.

Der Kölner Starkünstler Gerhard Richter, für den ArtReview auch in der Vergangenheit ein Faible hatte, belegt Platz 6. Warum Richter allerdings so einflussreich sein soll, bleibt im Unklaren: Natürlich steht die Bedeutung seines künsterischen Schaffens außer Frage, das ja gerade im Jahr seines 80. Geburtstags durch Ausstellungen in London, Berlin und Paris auch noch einmal zur Geltung gebracht wurde, und auch sein Millionen-Erfolg auf dem Kunstmarkt steigt von Rekord zu Rekord, doch welchen Einfluss hat er gegenwärtig auf andere Künstler oder – wie der Chinese Ai Weiwei (Platz 3) – auf die allgemeine Diskussion von Zeitfragen?

Und dann gibt es zwei, deren Bedeutung zumindest indirekt mit Gerhard Richter zusammen hängt: Marian Goodman (18), die New Yorker Galeristin, die Richter weltweit exklusiv vertritt, und Cheyenne Westphal (75), die Europa-Chefin Zeitgenössische Kunst von Sotheby’s in London, die seit Jahren Preisrekorde für Richter-Arbeiten organisiert.

Mit Rosemarie Trockel (42) ist auch eine zweite in Köln lebende Künstlerin auf der Liste vertreten. Ihre „L’arc de triomphe“ genannte Arbeit ist übrigens dauerhaft im Skulpturenpark Köln zu sehe; der WDR widmete der Arbeit ein eigenes Feature. Derzeit hat Trockel ihre erste große Ausstellung in den USA im New Museum in New York. Einen Köln-Bezug hat auch die arabische Künstlerin Sheikha Hoor Al-Qasimi (84), die  ihr künstlerisches Coming-Out in der Kölner Galerie Brigitte Schenk hatte; Wobei ihr Erscheinen auf dieser Liste aber sicherlich weniger ihrer Bedeutung als Künstlerin denn als Präsidentin der Sharjah Art Foundation zu tun hat. Überraschend hingegen ist vor allem das gute Abschneiden der Kölner Galeristen Daniel Buchholz (50) und Gisela Capitain (89). Daniel Buchholz,  der seit einiger Zeit auch über ein zweites Standbein in Berlin verfügt, vertritt bekannte Künstler wie Cosima von Bonin, Isa Genzken und Wolfgang Tillmans.

Gisela Capitain vertritt seit vielen Jahren mit ihrer kleinen Galerie in der Kölner Sankt Apern-Straße deutsche und US-amerikanische Künstler, darüberhinaus den Nachlass von Martin Kippenberger, dessen Stern am Kunsthimmel jedes Jahr ein bisschen höher zu stehen scheint.
Hinzu rechnen mag man noch mit David Zwirner, einen verlorenen Sohn der Stadt: Der 1964 in Köln geborene Sohn des legendären Kölner Galeristen und Art Cologne-Begründers Rudolf Zwirner ist heute selbst Galerist in New York Und steht auf der Liste ganz weit oben.
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1. Carolyn Christov-Bakargiev
2. Larry Gagosian
3. Ai Weiwei
4. Iwan Wirth
5. David Zwirner
6. Gerhard Richter
7. Beatrix Ruf
8. Nicholas Serota
9. Glenn D. Lowry
10. Hans Ulrich Obrist & Julia Peyton-Jones 11. Sheikha Al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani 12. Anton Vidokle, Julieta Aranda & Brian Kuan Wood (e-flux) 13. Cindy Sherman 14. Alain Seban & Alfred Pacquement 15. Adam D. Weinberg 16. Annette Schönholzer, Marc Spiegler & Magnus Renfrew 17. Marc Glimcher 18. Marian Goodman 19. Massimiliano Gioni 20. Jay Jopling 21. François Pinault 22. Klaus Biesenbach 23. Matthew Slotover & Amanda Sharp 24. Barbara Gladstone 25. RoseLee Goldberg 26. Eli & Edythe Broad 27. Patricia Phelps de Cisneros 28. Bernard Arnault 29. Nicholas Logsdail 30. Liam Gillick 31. Ann Philbin 32. Victor Pinchuk 33. Maja Hoffmann 34. Tim Blum & Jeff Poe 35. Marina Abramović 36. Dakis Joannou 37. Udo Kittelmann 38. Monika Sprüth & Philomene Magers 39. Matthew Marks 40. Gavin Brown 41. Damien Hirst 42. Rosemarie Trockel 43. Wolfgang Tillmans 44. Agnes Gund 45. Chus Martínez 46. Isa Genzken 47. Iwona Blazwick 48. Anne Pasternak 49. Sadie Coles 50. Daniel Buchholz 51. Toby Webster 52. Adam Szymczyk 53. James Lingwood & Michael Morris 54. William Wells & Yasser Gerab 55. Michael Ringier 56. Theaster Gates 57. Pussy Riot 58. Jeff Koons 59. Steve McQueen 60. Takashi Murakami 61. Boris Groys 62. Emmanuel Perrotin 63. Richard Chang 64. Tim Neuger & Burkhard Riemschneider 65. Slavoj Zizek 66. Thaddaeus Ropac 67. Chang Tsong-zung 68. Elena Filipovic 69. Tino Sehgal 70. Christian Boros & Karen Lohmann 71. Luisa Strina 72. Claire Hsu 73. José Kuri & Mónica Manzutto 74. Brett Gorvy & Amy Cappellazzo 75. Tobias Meyer & Cheyenne Westphal 76. Budi Tek 77. Walid Raad 78. Cuauhtémoc Medina 79. Massimo De Carlo 80. Bernardo Paz 81. Christine Tohme 82. Mario Cristiani, Lorenzo Fiaschi & Maurizio Rigillo 83. John Baldessari 84. Sheikha Hoor Al-Qasimi 85. Dasha Zhukova 86. Vasif Kortun 87. Anita & Poju Zabludowicz 88. Candida Gertler 89. Gisela Capitain 90. Carol Greene 91. Franco Noero & Pierpaolo Falone 92. Jacques Rancière 93. Miuccia Prada 94. Maureen Paley 95. Don, Mera, Jason & Jennifer Rubell 96. Paul Chan 97. Victoria Miro 98. Adriano Pedrosa 99. Johann König 100. Gregor Podnar
Quelle: The ArtReview, November 2012
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Autor: Christoph Mohr
Foto: Der Kölner Künstler und Ehrenbürger Gerhard Richter