Köln | Im Keller der ehemaligen Kölner Gestapo-Zentrale warteten nicht selten zehn Personen zusammengepfercht auf wenige Quadratmeter einer stickigen Zelle darauf, von Mitgliedern der Gestapo verhört, gefoltert oder im Innenhof des Gebäudes hingerichtet zu werden. Die 1.800 eindrücklichen Inschriften, die die Häftlinge auf den Zellenwänden hinterließen, erinnern wie kaum an einem anderen Ort sehr unmittelbar und eindringlich an die Schrecken der NS-Herrschaft. „Wände, die sprechen“ – so lautet auch der Titel des Buchs, das der Direktor des NS-Dokumentationszentrums, Dr. Werner Jung, herausgegeben und bearbeitet hat und das neben seinem Wert als historische Quellensammlung auch eine Hommage an die Opfer sein soll.

Das großformatige, drei Kilogramm schwere Buch (28 x 34 Zentimeter) verfügt über mehr als 300 Abbildungen der Inschriften im Maßstab 1:1. Über die Verfasser der Inschriften ist oftmals nichts bekannt, die Aufzeichnungen tragen oft keine Unterschrift. Auch ist über das Schicksal der meisten Verfasser der Inschriften, ein Drittel davon in kyrillischer Schrift, nichts oder nur wenig bekannt. Das bekannte Schicksal einiger weniger Häftlinge wird im Buch ausführlich geschildert und bildet so die Person sowie die Geschichte hinter der Inschrift wieder. So wie die Geschichte von Tola Tuska, die in das Gestapo-Gefängnis kam, weil einer ihrer Freunde, Mitglied einer Widerstandstruppe, ein Foto von ihr bei sich trug. Tuska überlebte den NS-Terror und kehrte 1991 auf Einladung der Stadt Köln in die Zelle 4 zurück, in der sie ihre Inschrift hinterlassen hatte.

Buch zeichnet Schicksale nach

Eine weitere Geschichte im Buch behandelt das Schicksal von Askold Kurow. Als Sechzehnjähriger wurde er im Oktober 1942 mit zahlreichen anderen Jugendlichen in einem Zug mit mehr als 1000 Personen unmittelbar nach Köln verschleppt. Hier war er bei der »Bauhilfe Barackenbau« als Zwangsarbeiter eingesetzt und half beim Bau von Baracken für ausgebombte Kölner. Infolge einer Denunziation wurde Askold Kurow am 24. Dezember 1944 von der Gestapo verhaftet und im Gestapogefängnis EL-DE-Haus inhaftiert. Mitte Februar 1945 gelang ihm auf abenteuerliche Weise die Flucht aus dem EL-DE-Haus: Er war im Tiefkeller eingesetzt, um Akten zu transportieren. Als der wachhabende Gestapobeamte durch das Klingeln des Telefons ins Gefängnis gerufen wurde, konnte Askold Kurow über den Heizungskeller, der sich über beide Stockwerke erstreckt, fliehen, weil an dieser Stelle die Fenster nicht vergittert waren.

In den 1980er Jahren war im Zusammenhang mit der Gründung des NS-Dokumentationszentrums die Inschrift Kurows in einer der Zellen in einer russischen Tageszeitung abgebildet. Kurow erkannte sie, nahm Kontakt mit dem NS-Dok auf und erzählte seine Geschichte. Der Weg, den Kurow nahm, um die Freiheit zu erlangen, ist heute übrigens einer von zwei Fluchtwegen, über die man im Notfall das Museum verlassen kann.

„Wichtige Zeitdokumente“

Die Inschriften im Buch sind nach ihrem Inhalt sortiert, behandeln den Gefängnis-Alltag, beschreiben aber auch Folter, Verhöre; dokumentieren, wie Menschen innerlich zerbrachen und ihre Abschiedsworte in die Kellerwände ritzten. Auch sind oftmals die Täter namentlich benannt, werden in den Inschriften beschimpft. Sie wurden jedoch nicht entfernt oder entfremdet und sind somit, so Jung, zu wichtigen Zeitdokumenten geworden.

Die Tatsache, dass die Inschriften die Zeit bis heute überdauerten, bezeichnet Jung als „doppelte Ironie der Geschichte“. Einerseits weil die schriftlichen Hinterlassenschaften der Gefangenen während der NS-Zeit nicht entfernt wurden und das Gebäude im Bombenkrieg stehenblieb. Andererseits, weil die ehemaligen Zellen, ohne sie baulich in irgendeiner Weise zu verändern, bis Ende der 1970er Jahre als Aufbewahrungsort für Akten diente.

Insgesamt 1.400 Inschriften dokumentiert

Von den 1.800 Inschriften sind laut Jung rund 1.400 so erhalten, dass sie einen Sinn ergeben. Sie sind auf der Grundlage der Edition des Archivars Manfred Huiskes aus dem Jahr 1983 in der Originalsprache und sowie auf Deutsch und Englisch dokumentiert. Das gesamte Buch erscheint als eine zweisprachige Ausgabe auf Deutsch und Englisch.

Die hochauflösenden Gesamtaufnahmen der kompletten Zellenwände stammen von dem Fotografen Frank Rechtmann. Sieben von zehn Zellen bildete er in großformatigen Fotografien ab, die – Altarbildern gleich – ausklappbar sind. Drei weitere Zellen wurden im und nach dem Krieg so verändert, dass dort kaum Inschriften erhalten blieben. Eine Einführung beschreibt die Geschichte des EL-DE-Hauses, die Tätigkeit der Gestapo sowie die Haft- und Lebensbedingungen der Häftlinge im Gefängnis.

[infobox]

Infobox:

Werner Jung (Hg.): „Wände, die sprechen – Walls that talk“. Die Wandinschriften im Kölner Gestapo-Gefängnis im EL-DE Haus.

Köln: Emons Verlag 2013, ISBN 978-3-95451-239-3, Preis: 68 Euro.Gebunden mit Schutzumschlag, 420 Seiten, 28 x 34 cm., rund 300 Abbildungen. Sieben Altarfalze der Zellen zum Ausklappen, Erstauflage: 2000 Exemplare.

[/infobox]

Autor: dd
Foto: Jung mit seinem Buch vor den Zellen mit den Inschriften im Keller des EL-DE Hauses.