Köln | Im Herbst 2012 präsentiert Rezitator Lutz Görner ein Festival mit fünf verschiedenen Programmen in Köln. Zu sehen sein wird Görder vom 26. September bis zum 21. Oktober 2012 im Belgischen Haus. In einem Interview mit report-k.de verriet er vorab, wie sich sein Humor in den vergangenen 50 Jahren verändert hat, dass Köln ein „Mittelding“ ist und welches seiner Programm für welchen Humor am besten geeignet ist.

Report-k.de: Herr Görner, Sie haben eine bewegte Karriere auf und hinter der Bühne erlebt – vom Statisten, über das Ballett und die Schauspielerei bis hin zum Rezitator. Wieso haben Sie sich letztlich für diese Kunst entschieden?
Lutz Görner: Ich bin kein Teamplayer. Als Rezitator konnte ich meine eigenen Fehler machen.

In diesem Jahr stehen Sie nun schon seit 50 Jahren auf der Bühne. Hat sich Ihr Humor und der der Gesellschaft seitdem verändert?
Mein Humor ist vielleicht etwas altersweiser geworden. Der der Gesellschaft vielleicht demokratischer. Was nicht unbedingt als Lob zu verstehen ist.

Zahlreiche Stationen in Ihrem Leben zogen Sie immer wieder nach Köln. Sie haben hier studiert und an verschiedenen Bühnen gearbeitet. Was verbindet Sie heute mit der Domstadt?
Spaß an der Freud. Ein Mittelding zwischen Berlin, Hamburg und München, von allem was. Natürlich der wunderschöne Rhein und ganz viele Erinnerungen.

In Köln präsentieren Sie im Rahmen eines Festivals gleich fünf Programme. Geben Sie unseren Lesern eine Entscheidungshilfe: Für wen ist welches Programm geeignet?
Heine ist für politisch Interessierte, die gerne lachen. Goethe für Menschen, die die Liebe als höchstes menschliches Gut erachten. Ich lache nie! Für alle diejenigen, die sich niveauvoll ins Wochenende lachen wollen. Chopin! mit der Biografie von Franz Liszt und der wundervollen Elena Nesterenko am Flügel ist geeignet für Menschen, denen romantische Träume und Musik etwas bedeuten. Und der Sonntagmorgen mit dem Kinderprogramm ist eine Mehr-Generationen-Angelegenheit und eine große Freude.

Mit welchem Programm fühlen Sie sich persönlich denn auf der Bühne am wohlsten?
Mit dem Wintermärchen.

In Ihrem Festival präsentieren Sie vor allem historische Stoffe wie Heine und Goethe oder auch Chopin. Warum dieser Fokus und haben Sie auch neuere Texte im Programm?
Ich bin seit 38 Jahren für das „Kulturerbe“ zuständig. Die neuen Texte müssen die Autoren selber lesen, denn nur durch Lesungen verdienen Dichter heute noch etwas. Von den Tantiemen der Bücher kann keiner existieren.

Gibt es für Sie auch „unrezitierbare“ Texte?
Ja. All die Texte, die mein Publikum nicht beim einmaligen Zuhören verstehen kann.

Nun zu Ihren einzelnen Programm: Mittwochs rezitieren Sie Heines Wintermärchen. Was fasziniert Sie auch nach Jahren an diesem Text? Und warum eignet er sich auch heute noch für die Bühne?
Vielleicht zu den einzelnen Programmen ein Textbeispiel, von dem ich glaube, dass mein Publikum es versteht:

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.

Und das hoffnungsvoll endet:

Das alte Geschlecht der Heuchelei
Verschwindet, Gott sei Dank, heut,
Es sinkt allmählich ins Grab, es stirbt
An seiner Lügenkrankheit.

Es wächst heran ein neues Geschlecht,
Ganz ohne Schminke und Sünden,
Mit freien Gedanken, mit freier Lust –
Dem werde ich alles verkünden.

Donnerstags steht Goethe auf dem Programm. Auf welche Texte des großen Dichters dürfen sich die Besucher freuen? Wird hier „schwere Kost“ geboten?
Wahrer Genuss

Umsonst dass du, ein Herz zu lenken,
Des Mädchens Schoß mit Golde füllst.
Der Liebe Freuden lass dir schenken,
Wenn du sie ganz empfinden willst.
Gold kauft die Stimme großer Haufen,
Kein einzig Herz erwirbt es dir.
Doch willst du dir ein Mädchen kaufen,
So geh und gib dich selbst dafür!

Ich bin genügsam und genieße
Schon da, wenn sie mir zärtlich lacht,
Wenn sie bei Tisch sich meine Füße
Zum Schemel ihrer Füße macht,
Den Apfel, den sie angebissen,
Das Glas, woraus sie trank, mir reicht,
Und mir bei halbgeraubten Küssen
Den sonst verdeckten Busen zeigt.

Freitags stehen Sie mit dem Programm „Ich lache nie“ auf der Bühne. Darf an diesem Abend trotzdem gelacht werden?
Der Mensch von Kurt Tucholsky
Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: Eine, wenns ihm gut geht und eine wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion. Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird. Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle… (Freuen Sie sich auf den Rest…!)

Samstags steht Chopin auf dem Programm. Wie passt der Musiker in Ihr Konzept? Wird es neben Texten hier auch Musik selbst zu hören geben?
Franz Liszt schreibt:
Frédéric Chopin lebte an den Ufern des Traumlandes, wo das wirkliche Leben wie ein Nebelbild all denen erscheint, die von Kindheit an die Zaubermuscheln kennen, die zu den glücklichen Inseln geleiten, wo alle schön und jung sind. Wo Männer und Frauen mit langen, herabwallenden Haaren Blumenkränze tragen und süß klingende Harfen in der Hand halten. Wo sie in Stimmen und Gesängen reden, die nicht von dieser Welt sind und alle die gleiche, himmlische Liebe erfüllt. Wo silberne Becken die duftenden Wasserstrahlen auffangen, in chinesischen Vasen blaue Rosen wachsen. Wo zauberische Fernsichten winken. Wo man nackten Fußes auf samtenen Moosteppichen wandelt und sich im balsamischen Grün des Hains verliert.

Sonntags rezitieren Sie schließlich Balladen für Kinder – erstmals bieten Sie damit nach 15 Jahren wieder ein Programm für Kinder an. Wie kam es dazu und warum haben Sie sich für Balladen entschieden? Kennen Kinder diese heute noch?
Ein schönes Beispiel für ein Gedicht, über dessen Geschichte die Kinder lachen und wir Erwachsenen vielleicht ein Tränchen verdrücken ist:
Der Kirschbaum und Frau Könes

Der Kirschbaum steht im Garten.
Der Garten ist sehr klein.
Die klugen Kinder warten.
Dann ist die Luft mal rein.

Sie klettern auf die Mauer.
Sie springen auf das Gras.
Die Kirschen schmecken sauer.
Die Kinder lieben das.

Frau Könes steht am Fenster.
Frau Könes schreit heraus:
Zu Hilfe! Diebe! Gangster!
Die Kinder reißen aus.

Frau Könes steht noch lange
Und lacht in sich hinein,
Und denkt: ohne den Kirschbaum
Wär ich doch sehr allein.
— — —
Vielen Dank für das Gespräch

Autor: Cornelia Schlösser | Foto: PR
Foto: Lutz Görner