Der kölsche Reggaestar Gentleman spricht im Interview über die Folgen für die Kulturszene und über den Ausfall des Summerjam in diesem Jahr.

Welche Eindrücke hinterlässt bei Ihnen die aktuelle Krise?

Gentleman: Gerade wurde der Summerjam abgesagt, was wir schon vermutet hatten. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass eine sehr einseitige Debatte zulasten der Kultur geführt wird. Kultur wird da als etwas dargestellt, das nicht wichtig und das verzichtbar ist. Ich kann viele Entscheidungen, die jetzt von der Politik gut nachvollziehen und halte mich auch daran. Was mir fehlt, ist aber die Debatte. Da werden Grundrechte aufgegeben und das wird als ganz selbstverständlich angesehen. Da würde ich mir mehr Diskussionen wünschen. Es geht auch Fragen, was an Maßnahmen verhältnismäßig ist und was nur einseitig einzelne Bereiche trifft.

 

Wie trifft es Sie als Musiker?

Gentleman: Ich wollte mit meiner Band unser neues Album veröffentlichen, unser erstes deutschsprachiges Album. Es war eine gemeinsame Stadiontour mit Fanta 4 geplant, um die 30 Festivals wie beim Summerjam in Köln und dazu noch eine eigene Tour zum neuen Album. Darauf hatten wir uns sehr gefreut und das ist jetzt alles auf einen Schlag weg. In absehbarer Zeit wird es keine Konzerte geben. Es ist nicht vorstellbar, mit 4000 Fans gemeinsam ein Konzert im Palladium zu machen oder mit noch mehr Leuten beim Summerjam. Aktuell laufen bei mir im Studio noch die letzten Arbeiten für das Album. Der Austausch mit den anderen Beteiligten erfolgt online.

 

Wie erleben Sie die Krise?

Gentleman: Es ist eine Krise, die weltweit alle betrifft, und uns geht es hier in Deutschland noch ganz gut. Die Unsicherheit ist global und die Menschen kämpfen ganz unterschiedlich mit den Folgen. Ich habe Kontakt zu einer befreundeten Band, die in einem Township in Südafrika lebt. Die leben mit neun Leuten auf nur wenigen Quadratmetern. Da herrscht große Angst vor Corona. Und auch aus Jamaika erreichen mich besorgniserregenden Nachrichten. Da kämpfen die Menschen in der Krise um ihr Überleben. Aber auch bei uns haben Menschen große Schwierigkeiten – mein Bruder betreibt ein Restaurant und steht jetzt vor der Insolvenz. Natürlich geht es um die Gesundheit, aber Fragen müssen trotzdem erlaubt sein. Es geht auch darum, wie wir künftig mit Corona umgehen werden. Wir haben da noch eine lange Zeit vor uns.

 

Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Kulturszene?

Gentleman: Social Media bekommt einen ganz anderen Stellenwert. Ich stehe so als jemand, der sonst eher offline unterwegs ist, mit meinen Fans in Kontakt und kann mich mit ihnen austauschen. Da gibt es dann auch ein direktes Feedback auf neue Songs, was sehr spannend ist. So könnten neue Möglichkeit für uns Künstler entstehen. Vom Streaming bin ich kein besonders großer Fan, aber so Musik zu verbreiten, ist in der aktuellen Situation besser als nichts. Und gerade in so einer Krise ist Musik für die Menschen doch extrem wichtig.

 

Was passiert mit der Klubszene in Städten wie Köln?

Gentleman: Es gibt aktuell keine Signale, wann es wieder losgeht. In absehbarer Zeit werden wohl in den Clubs keine Menschen zusammenkommen können. Das bedeutet für kleine Klubs die Insolvenz und das, obwohl ihre Betreiber sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Ich hoffe sehr, dass in einem Jahr wieder alles vorbei ist und das eine Explosion der Lebensfreude auch die Kulturszene wieder voranbringt. Aber vielleicht ist es ja auch gut, wenn wie Jogi Löw gesagt hat, die Menschheit ein kollektives Burnout hat und mal Pause macht. So erholt sich der Erdball. In Venedig schwimmen wieder die Fische in den Lagunen und bei mir kommen die Füchse in den Garten.

 

Was fühlen Sie nach der Absage des Summerjams?

Gentleman: Da blutet mir das Herz, das tut echt weh. Es war optimal, als Headliner am Samstag mit dem neuen Album auf der Bühne zu stehen. Das ist ein echter Schock. Aber ich habe natürlich auch Verständnis, dass das im Moment so nicht stattfinden kann.

 

Das war für Sie immer ein Heimspiel.

Gentleman: Manche haben schon von meinem Wohnzimmer geredet. Ich bin wohl auch der Rekordhalter bei den Auftritten. Und das passiert an einem Ort meiner Kindheit. Am Fühlinger See haben wir früher Fußball gespielt und sind im See geschwommen. Dann kam das Festival auf einmal von der Loreley nach Köln. Für micht ist das immer ein Ort des intensiven Austauschs mit Kollegen aus aller Welt. Da sind auch schon mal Songs entstanden. Das wird mir sehr fehlen.

 

Was macht Ihnen derzeit Hoffnung und was Sorgen?

Gentleman: Man wird Dinge, die lange eine Selbstverständlichkeit waren, künftig wieder mehr zu schätzen wissen. Das ist die Freiheit, sich mit Menschen treffen zu können, gemeinsam ins Kino oder ins Café zu gehen und ein Konzert zu besuchen. Auch die populistische Hetze ist weniger geworden, da es ja in der Krise keinen Feind gibt, den man ausmachen kann. Und die Krise ist Ansporn, kreativ zu werden und neue Wege zu suchen. Angst macht mir die Fremdbestimmtheit, in der wir gerade leben. Mit Überwachungsdrohnen und Corona-Apps kommen wir dem Überwachungsstaat näher. Aber ich bin überzeugt, wir werden das überstehen und kommen aus der Krise wieder raus.

 

Welche Tipps haben Sie für die Corona-Zwangspause?

Gentleman: Man tut jetzt Dinge, die man sonst nie getan hätte. So lerne ich mit meiner Tochter gerade über ein Youtube-Tutorial das Zeichnen von Gesichtern und werde immer besser darin. So lange war ich noch nie am Stück in Köln und bei meiner Familie. Die Koffer haben erst einmal ihre Funktion verloren.

Autor: Von Stephan Eppinger