Köln | Es ist eines der wichtigsten Werke des Kölner Komponisten Karlheinz Stockhausen (1928-2007) und es ist eines der wichtigsten französischen Kulturfestivals: In diesem Jahr kommen „Inori“ und das Festival d’Automne von Paris zum zweiten Mal zusammen. 44 Jahre nach der Uraufführung zeigt Paris noch einmal ganz groß, was in Köln entstand.

Schon visuell ist „Inori“ ein Hingucker, nicht mehr nur Konzert, aber auch kein Tanztheater: Zwei Tanzmimen performen auf einem Gerüst hoch über einem großen (89 Musiker) oder kleinem (33) Orchester. Musik verbindet sich mit ritualhaften Bewegungsabläufen, Gebetsgesten, die Stockhausen verschiedenen Religionen entlehnte. „Inori“(der japanische Titel bedeutet Gebet, Anrufung o.ä.) ist erkennbar vom Zen-Buddhismus, mit dem sich Stockhausen in den 1970er Jahren beschäftigte, inspiriert, ohne im eigentlichen Sinne religiöse Musik zu sein, auch wenn in diesem Zusammenhang immer wieder Stockhausens irgendwann einmal formuliertes Diktum zitiert wird, dass die neue Funktion der Musik eine religiöse sein müsse.

„Inori“ entstand 1973/74 und wurde am 18. Oktober 1974 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Man könnte es wohl auch Stockhausens Kölner Jahre nennen. In dieser Zeit war er künstlerischer Leiter (1963-1977) des Studios für Elektronische Musik des WDR und Professor für Komposition (1971-77) an der Staatlichen Hochschule für Musik Köln. Zum Zeitpunkt der Uraufführung war „Inori“ nicht nur musikalisch eine Provokation. War in den 1970er Jahren alles irgendwie politisch, präsentierte der Avantgarde-Künstler Stockhausen hier etwas, was dezidiert nicht politisch war. Und setzte, wie das Programmheft des diesjährigen Festival d’Automne zitiert, noch einen drauf: „Inori“ sei eine seiner Kompositionen mit der größten Zukunft.

Stockhausen beim Festival d’Automne

Das Festival d’Automne (Herbstfestival), die französische Antwort auf Festspielwochen in Deutschland und Salzburg, das in diesem Jahr etwa 50 Veranstaltungen umfasst und bis zum Frühjahr 2019 250.000 Besucher anlocken wird, hat seit seiner Gründung im Jahre 1972 dem Werk Stockhausens große Aufmerksamkeit geschenkt. In den 44 Jahren sind in Paris fast 20 Werke Stockhausens zur Aufführung gekommen. Besonders verweist das Festival dabei auf die Aufführungen von „Hymnen“ durch das New York Philharmonic im Jahr 1973, von „Momente“ im Jahr 1998 und „Rotary Qintet“ (2014).

Und dann eben „Inori“. Schon einmal, 1974, wurde das Stockhausen-Werk auf dem Festival d’Automne zur Aufführung gebracht, genau gesagt am 25. Oktober 1974, also nur zwei Wochen nach der Uraufführung, in Palais des Congrès von Paris, gespielt vom Orchester des Südwestfunks Baden-Baden unter Leitung von Karlheinz Stockhausen persönlich und der US-amerikanischen Opernsängerin Gloria Davy als Sopranistin. Das Festival d’Automne wurde damit Teil der (Stockhausen-) Musikgeschichte.

In diesem Jahr wird „Inori“ in der Cité de la Musique/Philharmonie de Paris gezeigt, in einer Neuerarbeitung des Orchestra of the Lucerne Festival Academy unter Leitung von Gergely Madaras. Der dreiunddreißigjährige Ungar, zeitweise Assistent von Pierre Boulez, wird als einer der interessantesten jungen Dirigenten in Europa gehandelt.

Ansonsten steht diese 47. Ausgabe des Festival d’Automne ganz im Zeichen der belgischen Choreographin Anne Teresa de Keersmaeker. Nicht weniger als 12 verschiedene Choreographien der Tanzkünstlerin aus den letzten 35 Jahren werden in den nächsten Monaten in Paris zu sehen sein, darunter Tanztheater-Klassiker wie „Rosas danst Rosas“ aus dem Jahr 1983 oder „Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich“ (1982), so dass man das Festival d’Automne 2018 fast als de Keersmaeker-Retrospektive bezeichnen könnte.

Im Übrigen ist Anne Teresa de Keersmaeker auch in Köln keine Unbekannte. In diesem Jahr war die belgische Compagnie mit „A Love Supreme“ nach dem gleichnamigen Jazz-Album von John Coltrane, das ebenfalls auf dem Pariser Festival d’Automne zur Aufführung kommt, am Schauspiel Köln zu Gast, 2017 am gleichen Ort mit „Verklärte Nacht“. Am 08.12.2018 ist „A Love Supreme“ noch einmal in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen.

Autor: Von Christoph Mohr
Foto: Dies ist die Programminformation zur 1. „Inori“-Aufführung in Paris am 25.10.1974