Interview mit dem Frontmann der Domstürmer, Micky Nauber

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Micky Nauber: Ich habe ein eher sonniges Gemüt und auch wenn das Glas aktuell auch zu Dreiviertel leer ist, ist es für mich noch ein Viertel voll. Gut finde ich, dass es in vielen Bereichen noch Solidarität und ein Miteinander gibt. Sorge bereitet mir aber, dass es weltweit gesehen eine Spaltung der Gesellschaft gibt. Dinge wie Respekt und Menschlichkeit verschwinden immer mehr in der Krise und Neid, Gier und Hass verstärken sich. Das gilt auch besonders für die Social-Media-Kanäle, da wird es sehr schnell sehr persönlich. Es ist erschreckend, wie schnell man Dinge zerstören kann und wie lange man braucht, um das wieder aufzubauen. Dabei schaffen wir diese große Herausforderung nur miteinander, wenn wir Gespräche führen sowie wenn wir kompromissbereit und flexibel sind. Bislang ging es nur um schneller, höher und weiter. Das ist für mich die falsche Botschaft. Jetzt haben wir die Chance, in vielen Bereichen umzudenken. Wenn wir zusammenhalten, habe ich die Hoffnung, dass wir gut aus dieser Krise wieder herauskommen. 

Wie geht es zurzeit den Domstürmern als Band?
Nauber: Ich stehe jetzt seit 35 Jahren auf der Bühne, davon 14 Jahre bei den Domstürmern. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man zu Beginn vielleicht nur ein oder zwei Auftritte hat und es dann in Spitzenzeiten bis zu 350 Auftritte werden. Für mich ist das kein klassischer Job, sondern eine Herzensangelegenheit. Jahrelang habe ich noch in meinem normalen Beruf gearbeitet und immer gehofft, mich ganz auf die Musik konzentrieren zu können. Dabei ging es nicht so sehr um die Finanzen, da habe ich selbst nie viel gebraucht. Aber wenn die Band wächst, ist sie wie ein Betrieb, an dem viele Jobs hängen, das darf man nie vergessen. Und wir verbreiten Fröhlichkeit und bringen Menschen zusammen. Mir war es immer egal, ob wir ein Benefizkonzert haben oder gerade für eine große Gage spielen. Es ist auch nicht wichtig, ob viele oder wenige Menschen im Publikum stehen. Wichtiger sind gute Energie und die Leidenschaft. Es ist ein Geschenk auftreten zu dürfen – das Geschenk hat man uns aktuell genommen. 
Wie sah es in diesem Jahr nach der Session mit Auftritten aus?
Nauber: Nach unserer obligatorischen Pause war eigentlich eine Österreich-Tour geplant, doch dann kam der erste Lockdown. Wir haben in diesem Jahr so oft gespielt, wie das möglich war – bevorzugt draußen unter freiem Himmel. Wir wollten für uns und für unsere treue Fangemeinde spielen. Außerdem gab es jeden Samstag mein Micky-Programm als Livestream statt der Bundesliga, die aussetzen musste. Da haben wir bis zu 1500 Kommentare und Fragen für einen Livestream verzeichnet. Das war sehr anstrengend, hat mir aber auch gutgetan, weil etwas zurückgekommen ist. Für mich ist die Interaktion ganz entscheidend. Positives Feedback streichelt die Seele und motiviert dazu, weiterzumachen. 
Sind Sie auch im Autokino aufgetreten?
Nauber: Wir hatten Anfragen dazu, die wir aber abgelehnt haben. Grundsätzlich fand ich die Idee, mit der Brings an den Start gegangen sind, aber sehr gut. Wir selbst haben mehr auf Livestream direkt aus dem Probenraum heraus gesetzt. Da waren wir deutlich aufgeregter als bei einem Bühnenauftritt. Die ersten realen Auftritte draußen haben sich dann anfangs ziemlich verrückt angefühlt. Das ist bei einer Band, die sehr viel spielt und dann gnadenlos herunterfahren muss, nicht ganz einfach. Auch die Kondition hatte unter den Corona-Fressattacken etwas gelitten. 
Die kommende Session wird wohl zum Totalausfall.
Nauber: Das berührt mich sehr. Oft weiß man erst, wie wertvoll Dinge sind, wenn man sie nicht mehr hat. Man lebt zu sehr in der Komfortzone, dabei sind viele Sachen nicht selbstverständlich. Das Leben ist ein Geschenk, auch wenn man aktuell nicht gerade das Gefühl hat, etwas geschenkt zu bekommen. Aber man muss jetzt in der Pandemie konsequent sein und darf nicht um jeden Preis etwas an den Start bringen wollen. Man muss Kompromisse finden – es geht nur miteinander. Wenn Vereine unsere Unterstützung brauchen, stehen wir aber bereit, auch wenn wir nur vor 30 Leuten spielen. Der Karneval ist zu 80 Prozent auf das Ehrenamt gebaut und wenn diese Ehrenamtler ihre Lust und Motivation verlieren, dann fällt der gesamte Kreislauf in sich zusammen. Das wäre fatal, weil sehr viele Jobs am Karneval hängen. Es ist schwer zu beurteilen, ob es einem gut oder schlecht geht, solange Menschen Flaschen sammeln oder im Müll nach Essen suchen müssen. Da darf man nicht nur an sich denken, deshalb unterstützen wir die Tafeln. Mich besorgt zudem, dass jetzt viele Dinge in Vergessenheit geraten wie zum Beispiel das Klima oder Tuberkulose in Afrika. 
Wie sieht Ihr Alltag aus?
Nauber: Im Moment ist er etwas ungeordnet. Meistens starte ich gegen 6.30 Uhr in den Tag. Es gibt viel zu tun, ich habe mit der Band, der kleinen Produktionsfirma und dem Musikverlag drei Betriebe, um die ich mich kümmern muss. Da gibt es Zeiten, in denen man den Bürokram erledigen muss, und Zeiten, in denen man kreativ sein kann. Gut organisiert zu sein, ist da sehr hilfreich. Was die Band betrifft, haben wir wie beim ersten Lockdown den Probenbetrieb heruntergefahren und tauschen uns das Internet aus. Jetzt gibt es noch eine gemeinsame Aufzeichnung, dann ist Schicht. So fühlt sich der Elfte im Elften schon wie Aschermittwoch an – man hat den Blues.

Autor: Von Stephan Eppinger | Foto: Isabel Großer