Köln | 2008 wurde in der Kölner Philharmonie die „Rhapsodie für Trompete und Orchester“ uraufgeführt, geschrieben von dem großen griechischen Komponisten Mikis Theodorakis für den deutschen Trompeter Otto Sauter. Soeben ist Theodorakis, Komponist, politischer Held und der wohl populärste Künstler Griechenlands, im Alter von 96 Jahren in Athen gestorben. Fragen an Otto Sauter über den Griechen, dessen ganz eigene musikalische Sprache ein Millionenpublikum in Griechenland und der ganzen Welt verstand und der immer ein Rhapsode, ein Sänger und Dichter der Freiheit war.

2008 haben Sie in Köln und danach in Berlin die „Rhapsodie für Trompete und Orchester“ zur Uraufführung gebracht. Welche Erinnerungen haben Sie an das Konzert in der Kölner Philharmonie?

Nachdem ich die Komposition in ihrer fertigen Form zum ersten Mal in der ersten Orchesterprobe gehört habe, war ich natürlich gespannt darauf, ob das Publikum meine Begeisterung teilen würde. Dies war der Fall sowohl bei dem anwesenden griechischen, türkischen als auch deutschen Publikum. Die Welt-Ringuraufführung des Trompetenkonzertes fand im Rahmen des Ehrenkonzertes des griechisch/türkischen Künstlerduos Mikis Theodorakis/Zülfü Livaneli statt, die 21 Jahre zuvor genau am gleichen Ort ihre seither bestehende Initiative zur Unterstützung der Friedensarbeit auf kultureller und politischer Ebene ins Leben gerufen hatten. Das Konzert war den Friedensbemühungen auf europäisch-türkisch-griechischer Ebene gewidmet und ein in seiner personellen und künstlerischen Zusammensetzung einmaliges Projekt in Anwesenheit des türkischen Komponisten, Schriftstellers und UNESCO-Friedensbotschafter Zülfü Livaneli.

Die „Rhapsodie für Trompete und Orchester“ hat Theodorakis für Sie geschrieben. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Anlässliches unseres Festivals „Musica Sacra a Roma“ 2006 in Rom und im Vatikan, hatte ich ein Konzert im Petersdom geplant, zu dem ich den Lichtdesigner Gert Hof eingeladen hatte. Sein Manager, der in Deutschland lebende Grieche Asteris Koutoulas, erzählte mir von seiner Freundschaft und künstlerischen Partnerschaft mit Mikis Theodorakis. Eine Woche später machte ich mich auf den Weg nach Athen, wo Asteris mich mit Mikis Theodorakis bekannt machte. Am Tag unseres Treffens fühlte Mikis sich nicht gut und so war unser Treffen nur für eine halbe Stunde geplant. Letztendlich saßen wir fünf Stunden zusammen, redeten über Musik und seine Vergangenheit und ich hatte das große Glück, ihn für meine Idee begeistern zu können, ein Werk für Piccolotrompete und Sinfonieorchester zu erschaffen.

Für jemanden, der dieses Stück nicht kennt, was ist das für ein Werk?

In erster Linie ist es ein Werk für Piccolotrompete und großes Sinfonieorchester. In der Trompetenliteratur gibt es davon nur sehr wenige Werke.

Es ist eine Rhapsodie, ein Begriff, der bewusst gewählt wurde, weil es nicht nur ein Werk ist, das dem Genre der ernsten Musik zuzuordnen ist, sondern viele Themen und Motive aus Mikis traditioneller griechischer Musik aufweist. Sagen wir es so: Wenn ich sein Werk spiele, atme ich den Duft der Zypressen, höre ich das Rauschen der Ägäis, spüre ich in jeder einzelnen Note Mikis Theodorakis.

Vor allem ist es für mich aber faszinierende Musik, die auf einem sehr hohen Niveau geschrieben wurde und für die Solotrompete sehr anspruchsvoll ist, jedoch trotzdem für ein sehr breites Publikum zugänglich ist. Genau das fasziniert mich auch an diesem Werk, denn mir ist es wichtig, Musik zu spielen, die die Menschen fasziniert und ihre Herzen berührt.

Und was bedeutet es für Sie persönlich?

Ein Werk von einem Komponisten zu spielen, der mich menschlich, persönlich so sehr berührt hat, ist eine ganz besondere Ehre und verbindet mich noch einmal viel tiefer mit diesem Menschen, auch über den Tod hinaus. Als wir damals auf seinem Balkon in Athen standen, sagte er zu mir:„Ich werde in Köln und Berlin bei der Ringuraufführung leider nicht dabei sein können.“ Dann zeigte er mit dem Finger auf die Akropolis und sagte: „Eines Tages wirst Du es hier auch spielen, und ich werde es hören, auch wenn ich nicht mehr da sein werde.“

Selten hat ein Mensch mich so fasziniert. Mikis, der Mensch, dem so viel Unheil widerfahren ist, dessen Lebens- und Schaffenskraft jedoch ungebrochen sind. Mikis, der Musiker, der Komponist, dessen Musik Millionen berührt, begeistert, glücklich macht und in ihren Bann zieht – ihn unsterblich macht.

Im Internet findet sich ein Video, in dem Sie zu sehen sind, wie Sie Auszüge aus dem Werk auch noch einmal im Sommer letzten Jahres zum 95. Geburtstag im Haus Theodorakis in Athen gespielt haben; kurz sieht man auch einen zigarrerauchenden, sichtlich bewegten Theodorakis. Welche Erinnerung haben Sie an diesen Moment?

Wegen Corona mußten große Feierlichkeiten zu seinem 95. Geburtstag ausfallen. Es war für mich daher eine große Ehre, dass ich an Mikis Geburtstag in seinem Studio, sein Trompetenkonzert mit Klavierbegleitung von István Dénés, den ich 2008 auch als Dirigenten eingeladen hatte, nur für ihn spielen konnte. Auszüge habe ich dann auf dem großen Balkon seines Hauses mit unverbautem Blick auf die Akropolis noch einmal alleine für ihn gespielt. Ich war überglücklich ihm dieses Geschenk persönlich zu seinem 95. Geburtstag bereiten zu können.

Man kann über Theodorakis nicht sprechen, ohne über „Alexis Sorbas“ („Zorba the Greek“) zu sprechen, den Film aus dem Jahr 1965 mit Anthony Quinn in der Titelrolle nach dem gleichnamigen Roman von Nikos Kazantzakis. Seitdem glaubte die halbe Welt, dass die Griechen Sirtaki tanzen – obwohl es eine musikalische Erfindung von Theodorakis ist.

Dieser Sirtaki „Zorba’s Dance“, auch die Titelmusik des Films, ist zweifellos Theodorakis‘ bekannteste Komposition; der Film machte ihn weltberühmt. Ist es auch seine beste?

Es ist nicht an mir zu beurteilen, ob es seine beste Komposition war, aber auf jeden Fall ist sie weltweit bekannt, versprüht griechische Lebensfreude und Charme und schreibt Geschichte. Alleine dies macht sie zu einem herausragenden Werk.

Sie kannten Theodorakis persönlich. War er stolz auf diesen Welterfolg oder hat er es gehasst, sein Leben lang mit dieser großartigen Filmmusik assoziiert zu werden, die sein gesamtes übriges musikalisches Schaffen überstrahlt hat?

Er erzählte mir bei einem unserer Treffen, dass er einen Kompositionsauftrag hatte, für Covent Garden in London eine Oper zu schreiben. Als er sich am Ende der Premiere vor dem Publikum verneigte und in die Augen der Publikum sah, fragte er sich: „Was machst Du hier?“ Als ich ihn fragte:„Wie meinst Du das?“ sagte er: „Otto, jeder Komponist hat eine Farbe. Meine Farbe ist blau. Mit dieser Opernkomposition habe ich ein Glas Wasser blau gefärbt. Das war mir zu wenig. Dann habe ich meinen Kompositionsstil verändert. Plötzlich hatte ich eine Badewanne voller Wasser blau gefärbt, danach einen See und am Ende die ganz Ägäis.“

Theodorakis ist in seinem Leben mehrfach inhaftiert worden, schwer gefoltert auch, er war Widerstandskämpfer, politischer Held, auch Politiker. Ist es richtig, ihn als Komponisten der Freiheit zu bezeichnen, als politischen Künstler par excellence?

Als ich ihn 2006 kennenlernte, war er bereits ein betagter Mann. Im Laufe unserer Treffen hat er mir vieles aus seiner Lebensgeschichte erzählt. Er berichtete nicht nur von der Musik, sondern auch aus der Zeit der Konzentrationslager und der Folter. Es verging kein Treffen, bei dem mir nicht die Tränen in die Augen schossen. Wenn man darüber nachdenkt, welches Leid dieser Mensch ertragen musste, dann aber gesehen hat, welches Strahlen in seinen Augen lag, wenn er über Musik sprach, dann denke ich, dass die Musik ihn immer auch ein Stück am Leben gehalten hat. Einmal erzählte er mir von einer Folter, bei der eine Garnison seinen ganzer Körper eingegraben hatte, bis auf seinen Kopf. Es geschahen dann furchtbare Dinge, die ich hier nicht beschreiben möchte und zum Schluss wurde der Befehl gegeben, mit einer Schaufel auf seinen Kopf einzuschlagen. Ein mutiger Soldat erhob daraufhin seine Stimme und sagte: „Machen Sie das nicht, in diesem Kopf ist so viel wunderbare Musik drin“. Daraufhin ließ man von ihm ab und er überlebte.

Theodorakis war und ist in Griechenland unglaublich populär, ein politischer Held fast. Aber populär ist eben auch seine Musik. Woher kommt das?

Zum einen hatte er sich als Komponist entschieden, Musik zu schreiben, die nicht nur für eine kleine Minderheit bestimmt war. Zum anderen machte ihn sein großes politisches und gesellschaftliches Engagement zu einem Mann, der Beachtung in seinem Land fand, selbst bei denen, die nicht seiner politischen Meinung waren.

Theodorakis war ein griechischer Komponist und wollte es sein, auch wenn er in Paris bei dem Avantgardisten Olivier Messiaen studiert hat. Was ist griechisch an seiner Musik?

Mikis trat zum Beispiel durch das Lied mit der breiten Masse seiner Landsleute in Verbindung und ließ dort die großen Lyriker Griechenlands wie Odysseas Elytis oder Giorgos Seferis von unbekannten Talenten und nicht nur von anerkannten Sängern präsentieren. Maria Farantouri, die auch in unseren Konzerten in Köln und Berlin gesungen hat, wurde zu einer seiner bekanntesten Stimmen. Nicht nur akustisch, sondern auch inhaltlich war seine Musik dadurch mit der griechischen Geschichte verbunden.

Theodorakis soll im Laufe seines Lebens sagenhafte 1000 Musikstücke geschrieben haben. In Deutschland ist eher wenig bekannt, dass er auch Kammermusik und Orchesterwerke, Oratorien, Opern, Ballette und vieles mehr geschrieben hat. Was davon wird bleiben?

Mir ist besonders sein CANTO GENERAL im Kopf, sein Oratorium für Mezzosopran, Bariton, Chor und Orchester, worin er Teile von Pablo Neruda’s Werk vertonte, den er in Paris kennengelernt hatte, als Neruda dort chilenischer Botschafter war und Mikis im Exil in Paris lebte. Darüberhinaus stechen für mich seine Opern über Frauen der griechischen Sagenwelt heraus wie die Antigone, Elektra und Medea, aber auch sein Oratorium Áxion Estí, das auch mehrfach in Deutschland aufgeführt und eingespielt worden ist.

Autor: Interview: Christoph Mohr
Foto: Mikis Theodorakis und Otto Sauter in Athen. | Foto: Privat