Köln | „Munaqabba – über Frauen in Vollverschleierung in Deutschland“ heißt eine Ausstellung im Atelierzentrum Ehrenfeld, die ab 21. Juni gezeigt wird, die von vielen Frauen scharf kritisiert wird und die sich in einem offenen Brief an die Öffentlichkeit und Förderer unter anderem die Stadt Köln und das NRW-Kulturministerium wandten. (report-K.de berichtete >) Die Kritik an der Ausstellung reißt nicht ab. Diese Internetzeitung sandte Fragen an das Atelierzentrum in Ehrenfeld und artrmx und an die Künstlerin Selina Pfrüner. Lesen Sie hier die Antworten und mehr über die anhaltende Kritik.

Selina Pfrüner erläutert Ihre Intention

report-K.de: Die Verfasserinnen des offenen Briefes werfen der Ausstellung vor, dass diese für die Vollverschleierung wirbt und unreflektiert auf diese reagiert. Können Sie diesen Vorwurf nachvollziehen?

Selina Pfrüner: Die Ausstellung dokumentiert eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Phänomen der Vollverschleierung in Deutschland, mit einer versucht unvoreingenommenen und persönlichen Herangehensweise. Es wird hier EIN Aspekt des Phänomens beleuchtet, nämlich das der hier freiwillig in Deutschland in Vollverschleierung lebenden Frauen. Dabei geht es nicht darum für irgendetwas zu werben oder gegen irgendetwas zu propagieren, sondern darum, sich aus einer anderen Perspektive mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und zwar in einer Form, in der nicht nur ÜBER diese Frauen kommuniziert wird, sondern sie auch selbst gehört werden.

Die Ausstellung ist nach wie vor nicht eröffnet und über die Frage der Reflexion kann sich jeder ab dem 21. Juni selbst ein Bild machen.

report-K.de: Die Ausstellung soll die „Vorteile“ der Vollverschleierung propagieren und so vermitteln, dass nicht der Rechtsstaat sondern ein Schleier Frauen schütze. Ist das die Intention der Ausstellung?

Selina Pfrüner: Die Rolle des Rechtsstaates wird in diesem Projekt nicht thematisiert. Wenn mit „Vorteile“ gemeint, ist, dass die Frauen den Schleier als Schutz empfinden, handelt es sich dabei um die Berichte der subjektiven Wahrnehmung einzelner Frauen, mit denen die Künstlerin Kontakt hatte und nicht um ihre persönliche Meinung.

report-K.de: Die Ausstellung fundamentiere das in patriarchalischen islamischen Ländern existierende und angestrebte Frauenbild“ werfen Ihnen die Kritikerinnen vor und helfe nicht den Frauen, auch in diesen Ländern, sich zu emanzipieren. Ist das die Absicht der Ausstellung?

Selina Pfrüner: Das Projekt beschränkt sich nur auf Frauen, die in Deutschland in Vollverschleierung leben. Mit anderen Ländern habe ich nicht in meine Betrachtung mit aufgenommen und kann mich daher nicht dazu äußern.

Prinzipiell kann jede Frau hierzulande frei entscheiden, ob sie den Schleier trägt oder nicht. In den Gesprächen mit den Protagonistinnen wurde stets die Frage nach Selbstbestimmung gestellt. Es gehörte nicht zur Absicht des Projekts, eine Hilfestellung in irgendeine Richtung geben zu wollen. Dies hätte ja wiederum eine Voreingenommenheit in der Wahrnehmung der vollverschleierten Frauen bedeutet.

Dass es Frauen gibt, die sich emanzipieren wollen und dabei Unterstützung brauchen, wird beispielsweise mit der Tatsache Rechnung getragen, dass mit André Taubert von Legato ein Experte der systemischen Ausstiegsberatung zur Podiumsdiskussion anwesend sein wird.

report-k: Besonders kritisch gesehen wird, dass neben der Ausstellung auch Burka, Chador, Niqab, Hijab und andere Arten der Verschleierung ausprobiert werden können. Die Kritikerinnen sagen, dass es genügend Möglichkeiten in Köln gebe diese Kleidung auszuprobieren, da brauche es nicht eine weitere Option. Warum bieten Sie das überhaupt an und was antworten Sie den Kritikerinnen?

Selina Pfrüner: Zur Begriffserklärung: Die Burka ist ein Ganzkörperschleier aus einem meist blauen Stück Stoff, vor den Augen ist eine Art Gitter als Sichtfenster eingearbeitet und kommt hauptsächlich in Teilen Afghanistans und Pakistans vor. De facto gibt es diese in Deutschland nicht.

Was die vollverschleierten Frauen hierzulande tragen, besteht zumeist aus einer Abaya (einem weiten Kleid) in Kombination mit einem Chimar oder Hidschab und einem Gesichtsschleier – Niqab genannt. Dies sind die einzigen islamischen Kleidungsstücke, die in der Ausstellung anprobiert werden können.

Selbstverständlich ist es möglich die angesprochene Kleidung z.B. in einem Laden anzuziehen. Die Ausstellung geht jedoch darüber hinaus. Sie ermöglicht es, den Besucherinnen, die Vollverschleierung mit Hilfe der Protagonistinnen anzuprobieren. Dies schafft eine besondere Art der Begegnung. Und darum geht es. Um eine Begegnung mit den Menschen, die diese Vollverschleierung tragen. Es geht auch darum, Ängste, Vorurteile oder Mitleid vor dem reinen Erscheinungsbild der Vollverschleierung zu hinterfragen, um sich sachlich eine Meinung zum Thema bilden zu können. Und das wird doch am ehesten möglich, wenn man nicht nur die „Außensicht“ kennt.

report-k: Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist, dass die Ausstellung zu sehr auf die Freiwilligkeit der Frauen Vollverschleierung zu tragen, abhebe und nicht deren Haltung und die ihrer Männer zu Grundrechten und Freiheiten in einem demokratischen Staat und einer demokratischen Gesellschaft hinterfragt. Kommt eine solche Reflexion in der Ausstellung nicht vor?

Selina Pfrüner: Diese Frage impliziert, dass jede der Protagonistinnen verheiratet ist. Dies ist nicht der Fall. Neben der Frage zur Freiwilligkeit und vielen anderen Themen, sprach die Künstlerin auch Politisches an. Die geführten Interviews kann sich jeder Besucher in der Ausstellung in voller Länge anhören; zum Teil sind sie schon auf der Projektseite verfügbar. Ich zeige hier einen künstlerischen Einblick in das Thema und wie bereits gesagt wird ein Aspekt des Phänomens betrachtet. Viele weitere Aspekte werden im Rahmenprogramm bei der Podiumsdiskussion und mit den anwesenden Experten diskutiert werden können.

(Die Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet.)

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Iren Tonoian, Sprecherin von artrmx, zeigte sich verwundert darüber, dass eine Ausstellung, die noch niemand gesehen habe auf so massive Kritik stoße. Dies, so Tonoian, zeige die Brisanz des Themas. Sie verweist auf das Rahmenprogramm zur Ausstellung und fordert alle Kritikerinnen und Kritiker auf sich ab dem 21. Juni ein eigenes Bild der Ausstellung zu machen.

Kritik hält an

Kritiker machen darauf aufmerksam, dass die Künstlerin Selina Pfrüner zwar eine anerkannte Fotografin sein kann, wie die Jury feststellte, die sich mit der Arbeit beschäftigte, aber sie fragen, ob Pfrüner auch eine Expertin für Salafismus sei. Auch die Experten und Expertinnen auf dem Podium werden in Zweifel gezogen, etwa Lamya Kaddor. Schüler der Religionspädagogin, so der Vorwurf, sollen sich dem IS angeschlossen haben. Und warum Prof. Dr. Stefan Muckel, Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht berufen sei, als Experte zu dem Thema „Vollverschleierung“ zu sprechen, wird ebenfalls von den Kritikern als Frage aufgeworfen. Zudem steht ein weiterer Konflikt im Raum und Fokus, warum das Kultusministerium die Ausstellung fördert und das Innenministerium den Salafismus bekämpfe.

Autor: Andi Goral
Foto: Die Künstlerin und Fotografin Selina Pfrüner. | Foto: Pressefoto der Künstlerin aufgenommen von Jan Sobierajski