Halle (Saale) | aktualisiert | Der Attentäter von Halle hat nach derzeitigen Erkenntnissen die Synagoge in der Stadt gezielt für seinen Anschlag ausgewählt. Das berichtet die „Welt“ (Donnerstagausgabe) unter Berufung auf Sicherheitskreise. Demnach habe sich der Mann nach seiner Festnahme bereits zum Tatgeschehen eingelassen.

Dabei habe er den Ermittlern unter anderem erklärt, dass er in das Gotteshaus eindringen wollte. Auf dieselbe Absicht verweist ein zehnseitiger Plan aus dem Internet, der auf den Täter hindeutet. Darin werden zunächst Waffen gezeigt und beschrieben.

Später macht sich der Verfasser dann Gedanken über die bauliche Eigenschaft der Synagoge und wie man sie am besten angreifen könne. Dort steht auch der Satz: „Der beste Tag zum Zuschlagen sollte Jom Kippur sein, da an diesem Datum selbst `nicht-religiöse` Juden oft die Synagoge besuchen.“ Zunächst hätte er einen Angriff auf eine Moschee oder ein Zentrum der Antifa vorgehabt, da diese weniger gesichert seien. Er habe sich dann aber umentschieden.

Halles Oberbürgermeister: Stadt weiter im „Schockzustand“

Nach den Worten des Oberbürgermeisters von Halle (Saale), Bernd Wiegand (parteilos), befindet sich die Stadt auch einen Tag nach dem Anschlag auf eine Synagoge in einem „Schockzustand“. Man versuche, nach und nach wieder in die Normalität zurückzukommen, sagte Wiegand am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin. „Die Straßen sind ruhig, alles wartet.“

Der Oberbürgermeister machte deutlich, dass Halle kein „rechtsextremes Zentrum“ sei. „Die Stadt Halle ist bunt und vielfältig“, sagte er. Man gehe konsequent gegen rechts vor.

Zu Vorwürfen, dass die Synagoge nicht ausreichend durch die Polizei geschützt worden sei, wollte sich Wiegand nicht äußern. Das sei Aufgabe der Polizei, er könne das nicht beurteilen, sagte der parteilose Politiker. Bei dem Anschlag hatte ein Attentäter am Mittwochmittag versucht, in die Synagoge in Halle (Saale) einzudringen, war dabei aber gescheitert.

Stattdessen erschoss er vor der Synagoge eine zufällig vorbeilaufende Frau, die ihn angeschnauzt hatte, sowie später in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss einen Mann. Danach flüchtete er und wurde schließlich von der Polizei festgenommen. Bei dem Täter soll es sich um den 27-jährigen Stephan B. handeln.

Unterdessen geht die Aufarbeitung der Tat weiter. Am Donnerstagmittag will Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Synagoge besuchen. Kurz darauf will sich auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ein Bild von der Lage machen. Anschließend will der CSU-Politiker auf eine Pressekonferenz weitere Details nennen.

Offiziell: Nach Tat in Halle Festgenommener heißt Stephan B.

Der nach der Tat in Halle Festgenommene heißt Stephan B. Das bestätigte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof am Donnerstag, nachdem es zuvor bereits umfangreiche Berichterstattung dazu gegeben hatte. Die Bundesanwaltschaft werde am Donnerstag beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen den deutschen Staatsangehörigen stellen, hieß es. Die Bundesanwaltschaft hatte zuvor das bei der Staatsanwaltschaft Halle (Saale) geführte Ermittlungsverfahren an sich gezogen.

Justizministerin Christine Lambrecht und Generalbundesanwalt Peter Frank wollen am frühen Nachmittag eine Erklärung zu dem Fall abgeben.

Steinmeier legt Blumen am Tatort in Halle nieder

Einen Tag nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Tatort aufgesucht und ein Blumengesteck niedergelegt. Begleitet wurde der Bundespräsident unter anderem vom israelischen Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, von Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand sowie vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Steinmeier besuchte anschließend die Synagoge und sprach dort mit Mitgliedern der Gemeinde sowie dem Vorsitzenden Max Privorozki.

Später am Nachmittag wird Bundesinnenminister Horst Seehofer am Tatort erwartet. Am Mittwoch hatte ein 27-Jähriger versucht, mit Waffengewalt in die vollbesetzte Synagoge einzudringen. Weil er an der Tür scheiterte, erschoss er in unmittelbarer Umgebung zwei Menschen.

Parlamentarisches Kontrollgremium plant Sondersitzung wegen Halle

Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages (PKGr) wird wegen des Anschlags auf die Synagoge in Halle (Saale) am Montag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Das teilte dessen Vorsitzender Armin Schuster (CDU) dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Freitagausgaben) mit. Das PKGr ist für die Kontrolle der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Nachrichtendienste, zuständig.

Schuster sagte dem RND, es sei zu früh, die Ereignisse abschließend zu bewerten. Damit sei es auch „zu früh“, von Stephan B. „als einem Einzeltäter zu sprechen“. Die Sondersitzung war von den Grünen beantragt worden.

Bundesanwaltschaft konkretisiert Tatvorwurf nach Halle-Anschlag

Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle (Saale) hat die Bundesanwaltschaft den Tatvorwurf gegenüber dem festgenommenen Stephan B. konkretisiert. Man ermittele wegen zweifachen Mordes und neunfachen Mordversuches, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank am Donnerstagmittag in Karlsruhe. „Das war Terror“, sagte Frank.

Nach bisherigen Erkenntnissen habe Stephan B. eine „weltweite Wirkung“ hervorrufen wollen. Noch am Nachmittag soll Stephan B. in Karlsruhe dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. Er war am Vortag in der Nähe von Halle (Saale) festgenommen worden.

Justizministerin will „Netzwerkbetreiber“ in die Pflicht nehmen

Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle (Saale) mit zwei Todesopfern hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) angekündigt, „Netzwerkbetreiber“ stärker in die Verantwortung zu nehmen. „Insbesondere im Internet erleben wir eine zunehmende Verrohung: Hass und Hetze nehmen zu“, sagte Lambrecht am Donnerstag bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Den Worten würden oft Taten folgen.

Wenn Morddrohungen und Volksverhetzungen im Internet ausgesprochen werden, müssten Internetanbieter verpflichtet sein, entsprechende Informationen an die Ermittlungsbehörden weiter zu geben. „Ich werde Vorschläge vorlegen“, sagte die Justizministerin dazu.

Gemeindemitglieder: Sicherheitsvorkehrungen in Halle gering

Die Sicherheitsvorkehrungen an der Synagoge in Halle (Saale), die am Mittwoch angegriffen wurde, waren nach Aussagen mehrerer Gemeindemitglieder nicht ausreichend. „Ich bin mit dem Sicherheitsmann zum Monitor gelaufen, von wo aus wir alles, was vor der Tür geschah, beobachten konnten“, sagte eines der Gemeindemitglieder dem Magazin „Stern“. Die beiden Männer hätten via Monitor gesehen, wie der Attentäter eine Frau erschoss, drei Molotow-Cocktails über die Mauern warf und versuchte, in das Gebäude einzudringen.

Immer wieder habe der Angreifer auf die verriegelte Holztür gefeuert. Dass die Tür dem Angriff standhielt, verwundert das Gemeindemitglied. „Die Tür habe ich selbst gebaut“, erzählte der Mann, der ursprünglich aus der Ukraine kommt und seit 30 Jahren in Deutschland lebt.

„Die ist geschützt, allerdings nur denkmalgeschützt, nichts Besonderes. Dieser Attentäter war offensichtlich einfach dumm, dass er die nicht überwinden konnte.“ Dass die Tür überhaupt abgeschlossen war, sei reiner Zufall gewesen.

Sachsen-Anhalts Innenminister: Polizei kam nach 8 Minuten

Nach dem ersten Notruf aus der Synagoge in Halle (Saale) war die Polizei nach Angaben von Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) innerhalb von acht Minuten am Tatort. Um 12:03 Uhr sei der Notruf am Donnerstag vom Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde abgesetzt worden, um 12:04 Uhr sei die Meldung an die Einsatzkräfte weitergeleitet worden, um 12:11 Uhr sei die Polizei dann an der Synagoge eingetroffen, sagte Stahlknecht am Freitag in Halle (Saale). Zu diesem Zeitpunkt sei der Täter schon nicht mehr vor Ort gewesen.

Eine spätere Auswertung der Helmkamera des Täters habe gezeigt, dass dieser sieben Minuten vor der Synagoge zugange war, sowie weitere sechs Minuten lang vor dem Döner-Imbiss. Dort kam es zu einem Schusswechsel mit der Polizei, bei dem der Tätet am Hals verletzt wurde. Die Polizisten seien dabei unverletzt geblieben, sagte Stahlknecht.

Trotzdem sei der Täter bei der anschließenden Verfolgungsjagd zunächst außer Sicht geraden. Aus Wiedersdorf bei Halle sei dann gegen 13 Uhr die Meldung gekommen, dass der Täter auf Anwohner schieße. Zwei Personen wurden dabei verletzt.

Erst nachdem der Täter das Fahrzeug wechselte und ein Taxi kaperte, und dann gegen 13:35 Uhr auf der B 91 einen Unfall baute und das Fahrzeug verließ, gelang der Polizei die Festnahme, so die Darstellung von Sachsen-Anhalts Innenminister.

Seehofer will Sicherheitsbehörden „massiv aufstocken“

Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle (Saale) hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angekündigt, die Sicherheitsbehörden „massiv“ aufzustocken. Außerdem werde es beim Bundesverfassungsschutz und beim Bundeskriminalamt „einige Hundert zusätzliche Planstellen“ geben, sagte Seehofer am Donnerstag in Halle (Saale). Gerade die Verfolgung von Straftaten im Internet sei sehr personalintensiv.

Das Land habe vor der Welt einen Schwur mit den Worten „Nie wieder“ abgeben, so Seehofer. „Diese Bundesregierung wird alles tun, dass die Juden in unserem Lande ohne Bedrohung, ohne Angst leben können“. Die Tat am Mittwoch sei „eine Schande für unser ganzes Land“, sagte der Bundesinnenminister.

Leutheusser-Schnarrenberger will Reform von Sicherheitsarchitektur

Nach dem Anschlag auf die Synagoge von Halle (Saale) hat die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine Reform des deutschen Sicherheitsapparates gefordert. „17 Verfassungsschutzämter, das Bundeskriminalamt und der militärische Abschirmdienst machen aus der staatlichen Sicherheitsarchitektur einen löchrigen Flickenteppich“, schreibt Leutheusser-Schnarrenberger in einem Gastbeitrag für die „Welt“ (Freitagsausgabe). Eine Reduzierung auf „wenige Schwerpunktbehörden“ müsse „endlich“ den Informationsaustausch untereinander verbessern.

Es sei außerdem „grotesk“, dass zuletzt zivilgesellschaftlichen Projekten gegen rechts „mehrere Millionen Euro aus der bundesweiten Finanzierung“ gekürzt werden sollten, so die FDP-Politikerin weiter. Projekte wie das Aussteigerprogramm für Rechtsextreme Exit-Deutschland oder die Amadeu-Antonio-Stiftung hätten so „erhebliche finanzielle Schwierigkeiten. Wenn Teile der Gesellschaft ins Rechtsextreme abdriften, ist die Arbeit privater zivilgesellschaftlicher Initiativen unerlässlich“, schreibt Leutheusser-Schnarrenberger, die seit November 2018 die erste Antisemitismusbeauftragte von Nordrhein-Westfalen ist, in dem Gastbeitrag für die „Welt“.

Von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 war sie Bundesjustizministerin.

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Lesen Sie hier die aktuelle Berichterstattung vom gestrigen Tag zum Anschlag in Halle >

Autor: dts