Witten | Ausflug-Tipp für die Sommerferien: Riesige Zechen und Kokereien, dazwischen hoch aufgetürmte Halden, auf denen heute nicht selten Skulpturen stehen: Diese Bilder hat man im Kopf, wenn man an den Steinkohlebergbau im Ruhrgebiet denkt. Doch der Weg hin zu dieser gigantischen Schwerindustrie begann klein und beschaulich. Im idyllischen Muttental bei Witten kann man den Spuren der frühen Kohleförderung auf einer gut neun Kilometer langen, etwa dreistündigen Rundwanderung nachspüren.

Dort, wo sich heute eine malerische Naturlandschaft mit Wiesen, Wäldern und Feldern auftut, nahm der Bergbau an der Ruhr vor fast 500 Jahren seinen Anfang. Der Legende nach soll ein Schweinehirte im Mittelalter die Kohle entdeckt haben, als seine Feuerstelle morgens noch glühte. Der Mann hatte unbemerkt Kohle beigemischt, denn viele Kohleflöze im Muttental reichten einstmals bis an die Oberfläche. Wer sich daher vom Parkplatz der Zeche Nachtigall ins Muttental auf den gut markierten Rundweg aufmacht, unternimmt eine Zeitreise durch die Bergbautechnik der Jahrhunderte. Denn während das 1832 eröffnete Bergwerk, das heute ein Museum und einen Besucherschacht beherbergt, die erste Tiefbauzeche südlich der Ruhr war, liegen im Tal des Muttenbachs die Spuren des frühen Bergbaus offen zu Tage.

Erste Förderung schon 1525

Die Bauern und Kötter, die den Bergbau nur als Nebengeschäft betrieben, gruben die Kohle einfach aus dem Boden. Zahlreiche Pingen, trichterförmige Bodenvertiefungen als Folge von eingesackten Schächten, sind an vielen Stellen im Tal zu finden und zeugen von der schon 1525 erstmals urkundlich erwähnten Kohlegewinnung – Hinweisschilder machen auf die geologische Besonderheit aufmerksam. Erst mit dem wachsendem Bedarf an Kohle etwa für die Eisenverhüttung und die Schmieden trieb man Stollen in die Hänge sowie Schächte in die Tiefe, um auch an schwerer zugängliche Flöze zu kommen. Schon kurz hinter der bronzenen Figur eines Bergmanns mit Grubenlampe, der den Weg ins Muttental weist, findet sich der Stollen „Turteltaube“. Von dort wurde die Kohle mit einrädrigen Schiebekarren bis an die Ruhr zur Verschiffung transportiert.

Eine Kuriosität ist auch das Bethaus aus dem Jahr 1830 – das einzige seiner Art im Ruhrbergbau. Die Bergleute trafen sich hier zum Arbeitsbeginn zu einem Gottesdienst. In der im Erdgeschoss gelegenen Schmiede konnten sie zugleich ihre Meißel und Keilhauen schärfen. Eine kleine Ausstellung informiert über Arbeit und Leben der Kumpel vor der Zeit des maschinellen Kohleabbaus.

Mehr als 60 Kleinzechen gab es im Muttental während des frühen Bergbaus. Durch eine leichte Neigung der Stollen konnte das Grubenwasser von selbst abfließen oder wurde in sogenannten Erbstollen gesammelt – größere Fördertiefen waren deshalb in vormaschineller Zeit nicht erreichbar. Erst mit der Erfindung der Dampfmaschine konnten auch unterhalb des Ruhrwasserspiegels gelegene Flöze erschlossen und entwässert werden.

Wege nicht verlassen

Ein Teil der – inzwischen vergitterten – Stollen- und Schachteingänge wird nun vom Förderverein Bergbauhistorischer Stätten Ruhrrevier für die Nachwelt erhalten. Doch tiefer als sechs Meter geht es in keinen der Tunnel mehr hinein. „Es sind höchstens 5,99 Meter, denn ab 6 Meter Tiefe müsste man den Stollen bewettern“, erläutert Vereinsmitglied Karl Ackermann, der selbst mehr als 30 Jahre Bergmann war. Bewettern heißt in der Bergmannssprache: Frischluft durch einen zweiten Eingang in den Schacht fließen lassen.

Ackermann kennt die Gegend wie seine Westentasche. Mit sicherem Blick zeigt er hinter dem Zechenhaus Herberholz auf den Verlauf eines einstmals Hunderte Meter langen Kohleflözes unter einem Acker. Oft seien Schächte auch mitten in die Felder getrieben worden. Auf der neben dem Haus gelegenen Abraumhalde wachsen inzwischen wieder meterhohe Bäume und Sträucher. Das Zechenhaus selbst stellt auf dem Hof Geräte aus der Welt des Bergbaus vor.

So idyllisch das Muttental heute wieder ist: Noch bis in die 1950er Jahre wurde hier nicht zuletzt auch wegen der Kohleknappheit nach Ende des Zweiten Weltkriegs „Nachlesebergbau“ betrieben und alte Flöze wurden ausgekohlt. Warnschilder weisen deshalb an vielen Stellen darauf hin, dass es sich um ein „Bergschädengebiet“ handelt, dessen Wege man wegen bestehender Einsturzgefahr nicht verlassen darf. „Da sollte man sich dran halten“, empfiehlt auch Ackermann.

Autor: Frank Bretschneider/ dapd | Foto: Patrick Sinke/ dapd