Berlin | aktualisiert | Das Berliner Verwaltungsgericht hat die Sperrstunde für die Gastronomie gekippt. Nach der Berliner Infektionsschutzverordnung vom 6. Oktober waren Gaststätten in der Zeit von 23 Uhr bis 6 Uhr des Folgetages zu schließen. Hiergegen setzten sich die Antragsteller, insgesamt elf Gastronomen, in zwei Eilverfahren erfolgreich zur Wehr. Aktuell: Berliner Oberverwaltungsgericht lässt Senatsverwaltung abblitzen: Sperrstunde bleibt für klagende Gastronomen ausgesetzt.

Nach Auffassung des Gerichts verfolge die Maßnahme zwar das legitime Ziel, die Ausbreitungsgeschwindigkeit der übertragbaren Krankheit Covid-19 innerhalb der Bevölkerung zu verringern und damit eine Überlastung des öffentlichen Gesundheitssystems zu vermeiden, bei „summarischer Prüfung sei aber nicht ersichtlich, dass die Maßnahme für eine nennenswerte Bekämpfung des Infektionsgeschehens erforderlich sei“. Nach den vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Daten hätten Gaststätten unter den bislang geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen keinen derart wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen gehabt, dass wegen der nunmehr zu verzeichnenden starken Zunahme von Neuinfektionen eine Sperrstunde als weitere Maßnahme erforderlich sei. Der Antragsgegner habe bereits mildere Mittel in Form von vielfältigen Schutz- und Hygienemaßnahmen und nunmehr auch eines Alkoholausschankverbots ergriffen, die für die Bekämpfung des von Gaststätten ausgehenden Infektionsrisikos „in gleicher Weise geeignet schienen“, so das Gericht.

Nach den Feststellungen des Robert-Koch-Instituts seien aktuelle Fallhäufungen insbesondere im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis sowie u.a. in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Einrichtungen für Asylbewerber und Geflüchtete, Gemeinschaftseinrichtungen, fleischverarbeitenden Betrieben und im Rahmen religiöser Veranstaltungen sowie in Verbindung mit Reisen bzw. Reiserückkehrern beobachtet worden, schreibt das Berliner Verwaltungsgericht. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es infektionsschutzrechtlich gerechtfertigt sein solle, gastronomische Betriebe – die ansonsten geöffnet bleiben dürften – nach 23 Uhr zu schließen. Auch die Gefahr einer alkoholbedingten „Enthemmung“ nach 23 Uhr bestehe nicht, weil die Verordnung nunmehr ein von den Antragstellern nicht angegriffenes Alkoholausschankverbot nach diesem Zeitpunkt enthalte.

Gastwirten könne nicht pauschal unterstellt werden, dass sie diese Vorgaben typischerweise nicht einhielten. Allein die bessere Kontrollmöglichkeit einer Sperrstunde könne daher hier nicht zur Rechtfertigung der Maßnahme herangezogen werden. Schließlich stelle sich die Maßnahme wegen der untergeordneten Bedeutung des Infektionsumfelds „Gaststätte“ als unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit dar.

Gegen die Beschlüsse kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden (Beschlüsse vom 15. Oktober 2020 (VG 14 L 422/20 und VG 14 L 424/20).

Autor: dts