Bottrop |  Verwundert blickt Nadja Mbani auf das ungewöhnliche Geschehen: Handtaschen wirbeln durch die Luft, bunt kostümierte Menschen aller Nationen feiern, singen und kreischen. „Was ist denn hier los?“, fragt die 27-Jährige. „Hier findet die HTWWWM statt“, antwortet ein Ordner des Bottroper Freizeitparks. Hinter dem Abkürzungs-Wirrwarr verbirgt sich die HandTaschenWeitWurf-WeltMeisterschaft.

Zum ersten Mal überhaupt wird dieser Wettbewerb am Samstag im Ruhrgebiet ausgetragen. Der Zuschauer-Andrang ist riesig. Viele wollen sehen, wie dieser „Sport“ aussieht und welche Verrückten um den Titel kämpfen. „Die Teilnehmer kommen aus allen Schichten und Altersklassen“, erzählt Organisator André Puchta. „Vom Arzt über den Anwalt bis zur Hebamme ist alles vertreten, die älteste Werferin ist 72 Jahre alt.“ Die Idee zu der Spaßveranstaltung sei in einer Kneipe entstanden. „Frauen haben eine fast sentimentale Beziehung zu ihrem Lieblings-Accessoire, wir wollen diese Verbindung heute durchbrechen“, sagt Puchta und lacht.

Auch Ausdruck ist entscheidend

Insgesamt zwölf vermeintliche Nationalmannschaften treten gegeneinander an, bestehend aus jeweils vier Personen. Nur die absolute Bestweite eines Werfers entscheidet über das Weiterkommen des gesamten Teams. Neben der Weite werden aber auch der Stil, Kreativität und Ausdruck bewertet. Es gibt Würfe in mannigfaltiger Ausprägung zu sehen. Mal um die eigene Achse wie beim Diskus, mit Schwung durch die Beine oder rotierend aus dem Arm, was sich als erfolgreichste Variante entpuppt. Nur bei gleicher Weite entscheidet die abgelieferte Show über den Sieg. Ginge es allein um den Unterhaltungswert, wären die Amerikaner konkurrenzlos gewesen. Ihre Posen nach dem Vorbild des jamaikanischen Sprinters Usain Bolt sind der Hingucker des Tages.

Schon die Vorstellung der Teams gleicht dem Einmarsch der Gladiatoren. Zu „Eye of the Tiger“ ziehen die Teilnehmer, angeführt von einer Gruppe Cheerleadern, ein. Fahnen werden geschwenkt, es herrscht Volksfeststimmung. Dass unter den Nationaltrikots nur selten tatsächliche Vertreter des entsprechenden Landes stecken, scheint niemanden zu stören. „Es gab im Vorfeld ein Bewerbungsverfahren“, erklärt Thomas Huhn, der mit einem Baguette unter dem Arm für Frankreich ins Rennen geht. „Später wurde dann entschieden, für welches Team wir antreten dürfen. Ich mag Frankreich, deswegen stört es mich nicht.“ Im normalen Leben habe er einen ziemlich eintönigen Bürojob. Heute wolle er einfach richtig Spaß haben.

Handtaschen der Frau beim Training verschlissen

Und den hat nicht nur er. Immer wieder geht ein Raunen durch die Zuschauermenge. Manchmal wegen eines Handtaschenflugs, der jenseits der 20 Metermarke endet, oft aber auch weil eine Handtasche nicht dort landet, wo sie landen soll. Frenetischer Applaus brandet immer dann auf, wenn einer der zahlreichen Fotografen eine mit zwei Kilo Sand gefüllte Handtasche auf den Kopf bekommt. „Das ist das Risiko“, sagt Puchta.

Und obwohl der Spaß bei fast allen im Vordergrund steht, ist zumindest bei den Deutschen der Ehrgeiz geweckt. „Ich will das Ding hier gewinnen“, sagt Lastwagenfahrer und Teamkapitän Joachim Mans nach seinem Wurf von 21,60 Meter. „Ich habe beim Training neun Handtaschen meiner Frau zerschlissen, das soll ja nicht umsonst gewesen sein.“

Und Mans Frau wird sich freuen, denn ihre Opferbereitschaft hat sich gelohnt. Um 17.45 Uhr stand fest: Deutschland ist der erste HTWW-Weltmeister! Ganz ohne Schiebung, wie Puchta mehrfach beteuert. Im Finale gewinnt die deutsche Auswahl im Klassiker gegen England mit zwölf Metern Unterschied. Mans freut sich nun nicht nur über den Titel, sondern auch über den besten Wurf des Turniers mit einer Weite von 22 Metern.

Autor: David Kordes, dapd | Foto: Mark Keppler/dapd
Foto: Jurymitglied „Melanie Chanel“ posiert am Samstag (11.08.12) im Movie Park Deutschland in Bottrop Kirchhellen während der ersten Handtaschen-Weitwurf-Weltmeisterschaft mit dem Siegerpokal in Form einer Handtasche. Bei der Veranstaltung treten Teilnehmer verschiedener Nationen in Team- und Einzelwertungen gegeneinander an und versuchen eine Frauenhandtasche so weit wie möglich zu werfen.