Ahlen | Die Tomatensauce klebt ihm noch in den Mundwinkeln. Joshua genießt den ersten Restaurantbesuch seit langer Zeit sichtlich. Für das Pfannengemüse hat der kräftige Elfjährige mit der Silberkette schon keinen Platz mehr im Magen. „Die Tomatensauce zu den Nudeln war so lecker. Ich habe soviel davon gegessen, dass ich jetzt total satt bin“, sagt er. Auch wenn seine Mutter ihn bei der Eröffnung des „Lunch Club“ noch begleitete, will er an den kommenden Samstagen lieber alleine kommen. Denn bezahlen brauchen Kinder in dem Restaurant für bedürftige Kinder im westfälischen Ahlen nicht.

„Besonders in dieser Gegend im Osten Ahlens leben viele Kinder unter der Armutsgrenze“, sagt der Gründer des „Lunch Club“, Markus Möhl. Den evangelischen Pfarrer schockiert, dass in der 50.000-Einwohner-Stadt 4.000 Kinder in Armut leben. „Ein solches Kind hat etwa 3 Euro pro Tag für Essen zur Verfügung“, rechnet der 48-Jährige vor. „Davon kann man sich nicht vernünftig ernähren.“ Deshalb sei er vor zwei Jahren auf die Idee gekommen, einmal in der Woche Kinder aus armen Familien mit gesundem Essen und gutem Service zu bedienen. Die warmen Mahlzeiten dafür spenden bislang vier Ahlener Restaurants im Wechsel. Ehrenamtliche arbeiten als Kellner.

„Chill-Out-Lounge“ mit vielen bunten Sitzkissen

In der ersten Etage eines evangelischen Gemeindehauses fand Möhl die passenden Räume. Während im Erdgeschoss die Gemeinderäume und die Neustadtkirche erhalten wurden, ließ er die Wände aus dem kleinteiligen Obergeschoss, wo früher der Konfirmandenunterricht stattfand, abreißen. Auf der einen Seite des großen lichtdurchfluteten Raumes richtete er mit ehrenamtlichen Mitarbeitern eine „Chill-Out-Lounge“ mit vielen bunten Sitzkissen ein. Auf der anderen Seite befindet sich das Restaurant.

Als am Samstag um 11.30 Uhr die ersten 20 Gäste hereinströmen, stürzen sie sich sofort auf die Sitzkissen. „So einen großen Raum haben sie zu Hause nicht“, sagt Möhl. „Hier können sie die mangelnde Bewegungsfreiheit kompensieren.“ Er lacht, als ihn eines der Kinder von sechs bis 14 Jahren auf einem Sitzkissen rutschend fast von den Beinen holt. Noch sei das Restaurant nicht perfekt, denn eigentlich solle eine Wand die Lounge noch vom gegenüberliegenden Essbereich trennen, „aber erst einmal war wichtig, dass es losgeht“.

Von der Idee bis zur Eröffnung dauerte es zwei Jahre. Am Ende konnte der Pfarrer, der mit seinem blau-weiß-karierten Hemd und dem hellblauen Schal selbst eher wie der Betreiber eines hippen Szene-Restaurants aussieht, es gar nicht mehr erwarten. In der ersten Schulwoche nach den Ferien wurde für den „Lunch Club“ in dem Stadtteil, in dem etwa jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund hat, auf Deutsch und auf Türkisch geworben.

Offizielle Einweihung mit Ministerpräsidentin im November

Damit sich die kleinen Gäste bald noch wohler fühlen, soll es künftig im Treppenaufgang noch einen Empfang geben. „Dort werden die Gäste in die Lounge gewiesen, wie man es aus den Nobelrestaurants kennt“, sagt Möhl. Zugleich erleichtere es den Ablauf. Denn wenn die von ihm erhofften 120 Gäste an jedem Samstag von 11.30 Uhr bis 14 Uhr in seinem „Lunch Club“ essen, dann muss das in vier Schichten geschehen, weil das Restaurant nur 30 Gästen Platz bietet.

„Bis zur offiziellen Einweihung im November, zu der auch die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eingeladen ist, wird der Lunch Club voll ausgelastet sein“, ist sich Möhl sicher. Bis dahin soll das kostenlose Kinderrestaurant eine feste Institution im sozialen Brennpunkt sein. Danach seien auch weitere Projekte denkbar. Wenn erst der Block als Insel im Zentrum der geräumigen Küche geliefert werde, sollen Kochkurse für Eltern und Kinder angeboten werden. „Und wenn sich der ‚Lunch Club‘ erst etabliert hat, dann stelle ich das Projekt gerne auch als Modell für andere Kommunen vor“, sagt er.

Den elfjährigen Joshua interessiert diese Zukunftsmusik gar nicht. Für ihn ist wichtig: „Es ist lecker und macht satt.“ An den kommenden Samstagen werde er bestimmt wiederkommen. „Restaurantbesuche können wir uns sonst nur selten leisten“, sagt er.

Autor: Jean-Charles Fays, dapd | Foto: Foto66/fotolia