Köln | Der Molekularbiologe Emanuel Wyler hat wegen der weltweiten Corona-Krise zu großer Vorsicht aufgerufen. „Wir haben eine nicht kontrollierbare Situation. Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagte er am Donnerstag dem Nachrichtensender n-tv.

Es sei jetzt wirklich angebracht „eher zu vorsichtig zu sein als zu wenig vorsichtig, entsprechend dann auch sich diszipliniert zu verhalten“ und Geburtstagspartys zu verschieben und sich virtuell zu treffen. Das Wichtigste, um das Virus einzudämmen, ist laut Wyler nun „Disziplin von allen“. Der Biologe, der im Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin-Buch arbeitet, warnte eindringlich davor, sich absichtlich anstecken zu lassen.

„Das ist ein Experiment, das ethisch völlig nicht verantwortbar ist und das vor allem Folgen hat, die wir überhaupt nicht abschätzen können und die Millionen von Menschen betreffen werden. Da werden Leute sterben, schwer krank werden.“ Das sei ein Experiment mit so einem unsicheren Ausgang und möglichen dramatischen Folgen, dass für Wyler klar ist: „Das darf man einfach nicht.“

Isabella Heuser-Collier, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie/Psychotherapie an der Charité Berlin, sprach sich für Ausgangssperren in Deutschland aus. Sie sei „entsetzt“ gewesen, als sie am Mittwoch auf dem Tempelhofer Feld gesehen habe, wie Leute in großen Gruppen eng beieinander saßen und grillten. „Solange es so etwas gibt, kann man wahrscheinlich nichts anderes machen als Ausgangssperren“, sagte sie n-tv.

Jetzt sei die Solidarität aller notwendig, um die Anstiegsgeschwindigkeit von Infektionen zu begrenzen. Als Grund für die Treffen in der Öffentlichkeit nannte Heuser-Collier „ein großes Maß an Phantasielosigkeit“. Diese Leute wüssten nicht, dass es gefährlich ist. „Das haben die einfach nicht kapiert.“ Zugleich räumte Heuser-Collier ein, dass Isolation immer schwierig sei. Es sei schwer zu ertragen, Menschen andere Menschen und die Interaktion zu entziehen. „Aber“, fügte sie hinzu, „das ist ja heute nicht mehr so“. Heute könne man telefonieren, skypen und facetimen. Zugleich rief sie dazu auf, Großeltern oder Alleinstehende häufiger anzurufen. „Denn wir können soziale Distanz durchaus technisch überwinden. Für eine gewisse Zeit ist das gut erträglich.“

Auf die finanziell problematische Situation für Kleingewerbetreibende wies der Rechtsanwalt Niko Härting hin, der kostenlose Erst-Beratungen für Betriebe und Freelancer anbietet. Diese hätten es „besonders schwer“ und würden „nach jahrelanger Arbeit mit einem Federstreich auf einmal ohne Arbeit dastehen und ohne Einkommen“. Als „wirklich gute Nachricht“ begrüßte Härting die jüngste Maßnahme von Finanzminister Olaf Scholz, dass Kleinselbstständige aus Bundesmitteln im Haushalt nächste Woche insgesamt 10 Milliarden Euro Soforthilfe bekommen sollen. „Zurzeit haben die Leute nur ganz existenzielle Sorgen – nämlich wie sie ihre nächste Miete bezahlen können.“ Mit Krediten sei ihnen überhaupt nicht geholfen. Härting verglich die Situation mit der Zeit nach den Terroranschlägen in New York im Jahr 2001. Man bewege sich in einer Abwägung von Freiheit und Sicherheit. Dies sei nicht neu und „gar nicht so furchtbar viel anders wie in der Zeit nach dem 11. September. Wir wägen ab: Freiheit gegen Sicherheit. Wenn wir absolute Sicherheit haben wollen, dann müssen wir uns alle einsperren lassen und dann muss auch noch viel, viel mehr zumachen als derzeit“. Zugleich betonte Härting, dass es „bereits jetzt sehr, sehr gravierende Eingriffe“ in die Bürgerrechte gebe, etwa wenn den Leuten die Einnahmen und das Geschäft komplett kaputt gemacht oder gar Ausgangssperren verhängt würden. „Das sollten wir jetzt nicht übersehen. Und da sollten wir auch nicht voreilig Beifall klatschen.“ Der Anwalt rief dazu auf, dies aufmerksam zu beobachten und von der Politik zu erwarten, „dass die Gründe wohl erwogen sind und das nicht einfach nur gemacht wird, weil das immer das Sicherste ist“.

Autor: dts