Neunkirchen-Seelscheid | RWE – der größte Stromnetzbetreiber in Deutschland – rüstet derzeit mit Hochdruck Mittelspannungsleitungen um, auch im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis. Vögel sollen so vor Stromschlägen geschützt werden. Allein in NRW muss der Versorger eigenen Angaben zufolge 62.000 Masten umbauen, was mehrere Millionen Euro kostet. Eile ist geboten, denn nach dem Bundesnaturschutzgesetz endet am 31. Dezember die Frist für die Umrüstung.

Fünkler löst in zehn Metern Höhe einen Isolator von der Stromleitung. Vorsichtig lässt er das braune Porzellan von einer Hebebühne fallen. „Wir fliegen alle Masten ab und entscheiden, wo der Vogelschutz notwendig ist“, erklärt der Leiter für den Netzbetrieb am Standort Siegburg, Thomas Niemann. Welche Maßnahmen an den verschiedenen Masten erforderlich seien, richte sich nach einer Norm, die gemeinsam mit Naturschutzverbänden erarbeitet worden sei. „Bei dem Stahlmast hier brauchen wir einen Mindestabstand von 60 Zentimetern zwischen der leitenden Traverse und dem Seil“, weiß der Fachmann und deutet auf einen Querträger des Mastes.
Anwohner entdeckt toten Uhu neben Strommast.

Möglichkeiten für ein vogelsicheres Stromnetz gibt es viele. „Hier bauen wir sechs Langstabisolatoren ein“, schildert Niemann, während Fünkler die besagten 60 Zentimeter langen Kunststoffstäbe montiert. Damit größere Vögel wie Störche, Uhus und Reiher nicht mit ihren Flügeln leitende Teile überbrückten, könnten auch Hauben, Sitzstangen oder sogenannte Büschelabweiser angebracht werden, fügt der Netzleiter hinzu. Die Büschel bestehen aus acht elastischen Ästen aus Glasfieber oder Kunststoff, die die Vögel vom Stahl fernhalten sollen. „Wenn es für den Steiger zu eng wird, gehen wir auf Leitern hoch und setzen Abdeckhauben auf die Masten“, erklärt der Mann in der neongelben Sicherheitsweste.

Anwohner Gerd Knözinger beobachtet die Arbeiten erleichtert. Der 71-Jährige ist mit Kaffee zur Baustelle gekommen. Er erinnert sich noch an jenen Morgen Anfang Juli, an dem er einen toten Uhu neben dem Stahlmast fand. „Das war besonders schlimm, der hatte vorher eine Ratte gefangen und die hatte er noch in der Kralle“, berichtet er. Schon zuvor habe er regelmäßig tote Vögel neben dem Mast gefunden – meist Krähen und Tauben. „Ich mochte irgendwann schon gar nicht mehr hierher gehen“, sagt Knözinger und fügt hinzu: „Lieber habe ich eine halbe Stunde am Tag keinen Strom, als schon wieder einen toten Vogel auf der Wiese zu finden.“
Umrüstung kommt „auf den letzten Drücker“

Dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Rhein-Sieg-Kreis ist der Stahlmast schon lange ein Dorn im Auge. „Dieser Mast ist besonders gefährlich“, schimpft Vorstandsmitglied Achim Baumgartner mit finsterer Miene. Große Vögel ließen sich in den Nischen des Querträgers nieder und bekämen einen Stromschlag. „Die Traverse hätte man bei der letzten Montage schon abnehmen können, dann wäre der Uhu wahrscheinlich nicht verunglückt“, vermutet er. Das Gesetz zur Umrüstung sei bereits 2009 ausgefertigt worden. „Der Netzbetreiber macht die Arbeiten also auf den letzten Drücker“, sagt der Naturschützer.

Der Energieversorger weist den Vorwurf zurück. Als das Gesetz im März 2010 in Kraft getreten sei, habe es noch keine konkreten Bauvorschriften für die Umrüstung gegeben. „Es macht keinen Sinn, etwas zu montieren und danach kommt eine Norm raus, nach der die ganze Arbeit falsch ist. Das wäre eine Verschwendung von Geld und Mitteln“, gibt Niemann zu bedenken. „Ich gebe Ihnen insoweit recht, dass die Traverse an dem Stahlmast in Seelscheid nicht optimal ist“, räumt der Leiter des Regionalzentrums Sieg, Frank Schwermer, ein. Manchmal könnten Masten jedoch nicht früher umgerüstet werden, weil auch die Stromversorgung sichergestellt sein müsse.

Den Stahlmast, an dem der Uhu verendete, hat Fünkler inzwischen fast vollständig umgerüstet. Hellblaue Kunststoffstangen glänzen im Sonnenlicht. Zumindest dieser Streitpunkt zwischen dem Energieriesen und den Naturschützern dürfte damit beseitigt sein.

Autor: dapd