Köln | Berichte über rechte Straftaten in Nordrhein-Westfalen häufen sich. Ist das einwohnerstärkste Bundesland zu einer Neonazihochburg geworden? Die nun veröffentlichte Statistik zeigt deutlich, dass es im Land Städte und Regionen gibt, in denen sich neonazistische Straftaten häufen. Aber auch abseits der immer wieder genannten Regionen um die Städte Wuppertal, Aachen und Dortmund kam es zu teils schweren Straftaten: In Hopsten (Kreis Steinfurt) wurde bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus im April 2012 nur durch Zufall niemand ernsthaft verletzt, ein weiteres Branddelikt fand in Neuss (Niederrhein) statt. Körperverletzungsdelikte wurden auch im Münsterland, am Niederrhein und in der Eifel registriert. Die Zusammenstellung rechter Straftaten zeigt zudem, dass es flächendeckend immer wieder zu „kleineren“ Vorfällen kommt: Propagandadelikte, Volksverhetzung oder Sachbeschädigungen bilden die sichtbaren, aber oftmals wenig beachteten Ausläufer des „rechtsextremen Alltagsterrors“.

Statistiken zeigen nur die „Spitze des Eisbergs“

Die alltäglichen Dimensionen und Auswirkungen rechter Gewalt können von Kriminalstatistiken nur unzureichend dargestellt werden. Organisierter Neonazismus, Rechtspopulismus, Rassismus und Antisemitismus sind in unterschiedlichen Ausprägungen auch zwischen Rhein und Weser verbreitet. Diese Beobachtung mag jene, die in den Weltbildern und in der Propaganda der extremen Rechten zu „Feinden“ erklärt werden, kaum überraschen. Sie müssen sich ständig mit Anfeindungen, Drohungen, vielfach auch mit gewalttätigen Übergriffen auseinandersetzen. In der öffentlichen und politischen Wahrnehmung kommen diese Perspektiven jedoch oftmals nur unzureichend an. Hier dominiert nicht selten die Ansicht, dass es sich bei der extremen Rechten in NRW gewissermaßen um einen gesellschaftlichen Bodensatz handelt. Bisweilen wird das kontinuierlich hohen Niveau extrem rechter Straftaten mit dem Hinweis zu relativeren versucht, dass es sich beim überwiegenden Teil der registrierten Fälle, „nur“ um Propagandadelikte wie beispielsweise Graffitis und Parolen mit rechtsextremen Inhalten handeln würde. Doch auch Hakenkreuzschmierereien auf Parkbänken, Häuserwänden oder Schultoiletten können dazu beitragen unter potentiell Betroffenen rechter Gewalt ein Klima der Verunsicherung und der Angst zu schüren.

Neben Täter und Opfern sollte auch Zivilgesellschaft in den Blick

Die Debatte über mögliche Lösungen wird aber hauptsächlich entlang der Einsatzfelder von Polizei und Verfassungsschutz geführt. Die „Doppelstrategie“ von Innenminister Ralf Jäger (SPD), der mit verstärkter Repression und einem aktiveren Ausstiegsprogramm auf die rechte Szene reagiert, ist sicherlich nicht der falsche Weg Dieses „täterorientierte“ Vorgehen ist aber weder eine dauerhafte oder gar erschöpfende Lösung noch der einzige Ansatz, wie in Nordrhein-Westfalen mit Rassismus und der extremen Rechten umgegangen werden sollte. Neben der Unterstützung der Opfer rechter und rassistischer Gewalt, die seit Kurzem durch die Beratungsstellen Back Up für Westfalen mit Sitz in Dortmund und der Opferberatung Rheinland in Düsseldorf geleistet wird, ist es unerlässlich, eine gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung zu führen, die über „Sonntagsreden“ und Resolutionen hinausgeht. Dabei gilt es vor allem, die aktiven und engagierten Menschen vor Ort in Bündnissen, Initiativen, Verwaltungen und Schulen zu unterstützen, die sich teilweise schon seit Jahren für ein friedliches Zusammenleben und eine demokratischere Gesellschaft einsetzen.

Fehlende Wertschätzung und mangelnde Unterstützung

Viele Aktive fühlen sich hier zu wenig unterstützt, oft fehlen konkrete Ansprechpartnerinnen und – partner in den Kommunen. Das Anliegen, etwas „gegen Nazis“ oder „für Toleranz“ tun zu wollen, wird zwar immer wieder als wichtig und ehrenhaft gelobt – im konkreten Fall ist die Arbeit vor Ortaber oft von fehlender Wertschätzung, finanziellen Problemen, bürokratischen Hürden oder gar Kriminalisierungsversuchen geprägt. In Wuppertal – mittlerweile ein Schwerpunkt der polizeilichen Strategie gegen rechts – äußerte ein Beamter der Vohwinkeler Wache im Herbst 2011 öffentlich, es gäbe im Stadtteil kein Problem mit Rechtsextremen – wohl aber mit Linken. Solche Aussagen von Vertreterinnen und Vertretern aus Verwaltung, Behörden, oder der Politik, seien sie auch vereinzelt und nicht repräsentativ, müssen für diejenigen, die in ihrem Umfeld im Wortsinne „Gesicht zeigen“ als blanker Hohn erscheinen. Oftmals sind es besonders die vor Ort Engagierten, die zur Zielscheibe extrem rechter Drohungen und Propaganda, bisweilen sogar zu Opfern gewaltsamer Übergriffe werden. Im Hinblick auf die Entwicklung in Wuppertal-Vohwinkel urteilt Marat Trusov von der Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz rückblickend: „Bei vielen Menschen herrschte ein großes Maß an Verunsicherung vor. Wer sich öffentlich gegen die extreme Rechte positionierte, lief Gefahr, zu deren Zielscheibe zu werden. Die Angst ging mitunter soweit, dass Opfer und Zeug/innen von Gewalttaten sich nicht trauten, Strafanzeigen zu stellen.“

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus hilft Engagierten

Seit Oktober 2008 gibt es in Nordrhein-Westfalen mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus verlässliche Ansprechpartner für alle, die sich aktiv mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus auseinandersetzen wollen oder vor konkreten Herausforderungen stehen. Die fünf Beratungsstellen in Köln, Münster, Schwerte, Vlotho und Wuppertal unterstützen Engagierte aus Vereinen und Verbänden, Migrantenselbstorganisationen, Parteien und Gewerkschaften, Initiativen und Bündnissen sowie aus Unternehmen und der Wirtschaft im Themenfeld Rechtsextremismus. Zudem dokumentieren sie extrem rechte Vorfälle sowie zivilgesellschaftliche Gegenstrategien und vernetzen sich mit Akteuren vor Ort, aber auch landes- und bundesweit. In den vergangenen vier Jahren ist der hohe und kontinuierliche Bedarf an Mobiler Beratung gegen Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen sehr deutlich geworden. Die fünf regionalen Ansprechpartner haben in diesem Zeitraum insgesamt über 400 Beratungsanfragen bearbeitet. Das Spektrum der Problemlagen, in denen die Mobile Beratung tätig wurde, ist dabei sehr breit. Es reichte von Handlungsunsicherheiten im Umgang mit ausgrenzenden und diskriminierenden Äußerungen im Unterricht, über die Sensibilisierung von Jugendleitern in Sportvereinen und in der Freiwilligen Feuerwehr, der Moderation von „Runden Tischen“ bis hin zur Beratung von Behörden und Kommunalverwaltungen, die sich mit rechtsextremen Vorkommnissen in ihren Zuständigkeitsbereichen konfrontiert sehen.

Autor: hh
Foto: Symbolfoto