Berlin | Trotz anderslautender Befürchtungen lässt sich eine Zunahme von Gewalt gegen Kinder während des Corona-Lockdowns statistisch bislang nicht belegen. Das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion, über die die „Welt“ (Samstagausgabe) berichtet. Eine Zunahme der Gewalt innerhalb von Familien und Beziehungen sei zwar befürchtet worden, heißt es in der Antwort des Familienministeriums, „insgesamt zeigt sich eine solche Zunahme im Anzeigenaufkommen bislang noch nicht“.

Eine bundesweite Erhebung von Trends bei der Entwicklung der Anzeigenzahlen der Polizeien habe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu Beginn der Beschränkungen eine gleichbleibende Tendenz gezeigt. „Seit Anfang Mai sind die Zahlen kontinuierlich fallend“, heißt es in der Antwort. Da die Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik über die Verdachtsfälle möglicher Kindeswohlgefährdungen bislang nur die Situation vor der Corona-Pandemie abbilden, führe das Familienministerium derzeit eine laufende Zusatzerhebung bei Jugendämtern durch, heißt es in der Antwort weiter.

Demnach hätten die teilnehmenden Jugendämter im Mai dieses Jahres insgesamt etwa gleich viele Gefährdungseinschätzungen durchgeführt wie im zum Vergleich herangezogenen Mai 2018. Im Juni 2020 wurden bisher rund sieben Prozent weniger Gefährdungseinschätzungen gemeldet als im Vergleichsmonat Juni 2018. Der kinder- und jugendpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Matthias Seestern-Pauly, äußerte sich kritisch zu den Zahlen. „Zu viele Angebote der Kinder- und Jugendhilfe waren während des Lockdowns nur sehr eingeschränkt zugänglich. Wenn Kitas und Schulen geschlossen sind, wenn soziale Kontakte und Hilfsangebote eingeschränkt sind, wird Gewalt oft nicht erkannt“, sagte er der „Welt“.

„Mir stellt sich daher die Frage, ob es tatsächlich keinen Anstieg der Gewalt gegen Kinder gab. Ich vermute vielmehr, dass die Statistiken aktuell nicht die Realität wiedergeben.“ Eine Sprecherin des Familienministeriums sagte, es sei davon auszugehen, dass das Dunkelfeld nicht entdeckter Gefährdungen während des Lockdowns tatsächlich gewachsen sei – „insbesondere auch weil für betroffene Kinder und Jugendliche Schutzräume wie Schule, Kita oder Betreuungseinrichtungen weggefallen sind“.

Diese Einschätzung decke sich auch mit dem Befund der Deutschen Jugendinstituts, dass viele Jugendämter es im Rahmen des Lockdowns als große Herausforderung beschrieben hätten, Hilfsbedarf zu erkennen.

Autor: dts