Berlin | Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche scharf kritisiert. „Was Herr Marx gemeinsam mit seinen Kollegen für die Forschung getan hat, ist aus meiner Sicht die organisierte Verantwortungslosigkeit“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Die Studie sei vorbildlich und exzellent aufgearbeitet, aber das Entscheidende fehle: „Wir wissen nicht, wer die Verantwortlichen sind“, so Pfeiffer.

„Und wenn der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, erklärt, Bischof-Bashing könnten wir nicht gebrauchen, dann ist das der Rückzug in die Verantwortungslosigkeit“, so Pfeiffer. Wenn die Kirche das Vertrauen der Gläubigen wieder zurückgewinnen wolle, müsse sie offenlegen, wo sie Fehler begangen hat und müsse auch personelle Konsequenzen ziehen. „Diese ganze verbale Erschütterungsrhetorik, die wir heute zu hören bekommen, überzeugt mich nicht, solange die Kirche nicht konsequent ist und die Dinge nicht wirklich offenlegt“, so der Kriminologe.

Die große Mehrheit der Diözesen verstecke sich aber. Im Ausland werde auch wesentlich mehr Geld an Opfer gezahlt. „Bei uns sind die Entschädigungssummen – im Durchschnitt 3.000 Euro – lächerlich. Das muss mindestens verzehnfacht werden“, so Pfeiffer. Er geht davon aus, dass es bei den Missbrauchsfällen eine sehr hohe Dunkelziffer gibt: „Wir wissen, dass in den 1960er bis 1980er Jahren nur etwa zehn Prozent der Fälle angezeigt wurden. Seit den 1990er Jahren wird etwa jeder dritte Missbrauch angezeigt. Die meisten Taten bleiben weiterhin im Dunkelfeld.“ Es sei skandalös, dass in der Hälfte der Fälle noch nicht einmal ein kirchliches Strafverfahren eingeleitet worden sei, so der Kriminologe.

Kardinal Marx entschuldigt sich für Missbrauchsskandal

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, hat wegen des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche um Entschuldigung gebeten. „Allzu lange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden. Für alles Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung“, sagte Marx am Dienstag bei der Herbst-Vollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda.

Er schäme sich für das Vertrauen, was zerstört worden sei und für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan worden seien. „Ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben.“ Das gelte auch für ihn, sagte er bei der Vorstellung der Studie mit dem Titel „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“.

Man habe den Opfern nicht zugehört. „All das darf nicht folgenlos bleiben“, fügte der Kardinal hinzu. Die Betroffenen hätten Anspruch auf Gerechtigkeit.

„Wir haben zu lange weggeschaut, um der Institution willen und des Schutzes von uns Bischöfen und Priestern willen.“ Er frage sich, ob die Maßnahmen, die ergriffen worden seien, „um eine bedingungslose Orientierung an den Opfern zur ersten Priorität zu machen und weitere Opfer zu verhindern“, ausreichten, sagte Marx. Er versprach, dass man nicht mehr an den Betroffenen vorbei sexuellen Missbrauch in der Kirche bekämpfen wolle: „Wir spüren, dass es dringend notwendig ist, auf die Betroffenen zuzugehen und zuzuhören, um zu verstehen.“

Die Ergebnisse der Studie waren schon in den vergangenen Wochen von mehreren Medien verbreitet worden. Demnach wurden zwischen 1946 und 2014 insgesamt 3.677 Kinder und Jugendliche Opfer sexueller Vergehen durch Kleriker. Die von sexuellem Missbrauch Betroffenen waren zu 62,8 Prozent männlich und zu 34,9 Prozent weiblich. Bei 2,3 Prozent fehlten Angaben zum Geschlecht, so die Forscher. Bei 1.670 Geistlichen wurden Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger gefunden. Das waren 4,4 Prozent aller Kleriker aus den Jahren 1946 bis 2014, von denen Personalakten und weitere Dokumente in den Diözesen durchgesehen wurden. Diese Zahl stellt allerdings nur eine untere Schätzgröße dar, die Forscher gehen von einer höheren Dunkelziffer aus.

Autor: dts