Köln | In einer aktuellen Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen starker Reaktion auf Alkohol und Schlafmangel festgestellt. Die Erkenntnis könnte bei der Unfallprävention helfen.

In der Studie haben das Kölner DLR und das Forschungszentrum Jülich zusammengearbeitet. Im Schlaflabor des DLR mussten knapp 50 Probanden 38 Stunden Schlafentzug hinter sich bringen. Danach führten sie einen zehnminütigen Reaktionstest durch. An einem anderen Tag nahmen sie eine individuell berechnete Menge Wodka zu sich. Und wieder wurde ihre Reaktionszeit ermittelt.

„Wer unter Alkoholeinfluss beim Reaktionstest gut abgeschnitten hatte, dem konnte auch der Schlafentzug nichts anhaben. Umgekehrt machte denjenigen Probanden der Schlafmangel zu schaffen, die mit langen Reaktionszeiten auf den Wodka reagiert hatten“, berichtet Eva-Maria Elmenhorst, DLR. Ein Versuch, bei dem die Probanden über fünf Tage hinweg einer verkürzten Nachtruhe ausgesetzt wurden, konnte diese Ergebnisse bestätigen.

Biochemie als Schlüssel zum Verständnis

Die Forscher vermuten nun einen biochemischen Mechanismus, der sowohl die Reaktionsfähigkeit unter Alkohol als auch für Schlafentzug steuert, erläuterte David Elmenhorst vom Forschungszentrum Jülich. Wie der im Detail aussieht, sei im Moment noch nicht eindeutig zu beantworten. Eine Schlüsselfunktion dürfte aber wohl dem körpereigenen Botenstoff Adenosin zukommen, vermutet der Neurowissenschaftler.

Die Substanz spielt eine zentrale Rolle für den Energiehaushalt des Organismus. Je länger ein Mensch wach bleibt, umso mehr Adenosin sammelt sich in seinem Gehirn an. Der Stoff dockt an der Oberfläche von Nervenzellen an und betätigt dort eine bestimmte Art von molekularen Schaltern, die Adenosin-Rezeptoren. Diese wirken ähnlich wie ein elektrischer Dimmer und schalten die Neuronen von „wach“ auf „müde“ um. Dadurch steigt der Drang zum Einschlafen über den Tag hinweg kontinuierlich an.

Wie das Adenosin-System unter Einfluss von Alkohol reagiert, untersuchten die Forscher am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Dieses Verfahren der molekularen Bildgebung kann frei verfügbare Adenosin-Rezeptoren sichtbar machen. An sieben Probanden konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich die Menge der nicht belegten Rezeptoren im Gehirn schon kurze Zeit nach Alkoholgenuss deutlich erhöht. Die Nervenzellen stellen offenbar mehr Rezeptoren auf ihrer Oberfläche zur Verfügung und damit auch mehr molekulare Schalter, um auf „müde“ zu dimmen.

Der Alkohol verstärkt auf diesem Weg die ermüdende Wirkung des Adenosins.“ Das bestätigt unsere Annahme, dass die Anfälligkeit für Schlafmangel und Alkohol von Unterschieden im Adenosin-System abhängen“, erläutert der Jülicher Schlafexperte. Die individuellen Unterschiede seien im Erbgut jedes einzelnen Menschen angelegt.

Praktischer Nutzen

Wie die Wissenschaftler nun in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift PNAS ausführten, haben die Erkenntnisse durchaus praktischen Nutzen, beispielsweise für Personen, die aufgrund ihres Berufs besonders aufmerksam agieren müssen, notfalls auch über längere Zeiten. So könnte eine Erkenntnis darin liegen, die Empfehlungen für Dienst- und Ruhezeiten von Pilioten und Zugführern zu optimieren.

„Zusammen mit Partnern aus Boston arbeiten wir an Computermodellen, die zum Beispiel für ein verbessertes Fatigue-Risk-Management verwendet werden können, in die auch die aktuellen Daten einfließen. So können wir die Modelle weiter verfeinern und auch den Einfluss von Alkoholkonsum auf die Leistungsfähigkeit einzelner Personen berücksichtigen“, so Elmenhorst weiter.

Allerdings gibt es zwischen den Menschen eine große Bandbreite, wie man persönlich mit den Folgen von Schlafentzug umgehe. So gebe es auch Personen, denen selbst ein 48-stündiger Schlafentzug wenig anhaben könne. Gleiches gilt für die Reaktionszeit unter Einfluss von Alkohol, auch hier gibt es große Variationen unter den Menschen. Allerdings dürfte dieses Teilergebnis kaum dazu führen, die derzeitigen Regeln für den Genuss von Alkohol am Steuer zu lockern.

Autor: bfl
Foto: Probanden beim Reaktionstest. Der wurde sowohl nach dem Genuss von Alkohol als auch nach Schlafentzug durchgeführt. Bild: DLR