Rheinfelden | Zusätzliche Wasserkraftwerke gefährden nach Einschätzung von Experten die Wiederansiedlung des Lachses im Rhein. Würden in wichtigen Seitengewässern wie Murg, Kinzig, Elz oder Wiese zu den vielen vorhandenen Anlagen neue Wasserkraftwerke gebaut, „dann verschwindet der Lachs wahrscheinlich wieder“, befürchtet Gerhard Bartl, Fischexperte im Freiburger Regierungspräsidium.

Lachs kehrt langsam in den Rhein zurück

Heute ist jeder Lachs, der im Oberrhein oder gar im Hochrhein gesichtet wird, eine kleine Sensation. Früher zogen die Fische zu Aberzehntausenden den Fluss und seine Seitengewässer stromauf und stromab. „Der Rhein war früher das bedeutendste Aufstiegsgewässer in Europa für Lachse und andere Fische“, sagt der Fischexperte im Freiburger Regierungspräsidium, Gerhard Bartl. So kamen auch Meerforellen und Maifische – eine Heringsart – zu vielen Zehntausenden, um sich fortzupflanzen.

Nun könnte der Lachs im Rhein ein Opfer der Energiewende werden. Zusätzliche Wasserkraftwerke bedrohen nach Einschätzung von Experten den Versuch, den „König der Fische“ im Fluss wieder anzusiedeln. Denn die quer in den Strom gestellten Bauwerke sind für viele Wanderfische nicht nur Hindernisse oder tödliche Fallen. Gerade in den Nebenflüssen rauben sie dem Wasser Energie, die auch Barben, Maifische oder Neunaugen zum Überleben brauchen. Der Konflikt zwischen Umwelt- und Naturschutz schwelt.

Dass sich zwei Lachse im Frühjahr flussaufwärts bis nach Rheinfelden in die Nähe von Basel durchgeschlagen haben, gilt als kleine Sensation. Nicht weil sie ein Beweis für eine verbesserte Wasserqualität des Rheins sind. Sondern weil beide Tiere, wenn auch mit Verletzungen, mehrere Staustufen ohne Fischpass – Mauern und Turbinen, Wehre und Schleusen – überwunden haben. Bislang sei es langsam vorangegangen mit dem Programm zur Wiederansiedlung von Wanderfischen, sagt Reinhart Sosat vom Landesfischereiverband in Baden-Württemberg. „Maximal zehn Prozent der Kraftwerke haben derzeit eine Wanderhilfe, viele davon sind aber nicht funktionsfähig.“

Fische werden von Turbinen zerhackt

Insbesondere die Rückkehr ins Meer sei oft unmöglich. „Der europaweit vom Aussterben bedrohte Aal hat für die Turbinen eine unpassende Form“, sagt Sosat. Bei fünf toten Bussarden unter einem Windrad regten sich alle auf. „Aber wie viele Fische von den Turbinen zerhackt werden, das sieht man nicht.“ Dabei würde es oftmals genügen, die Wehrschotts zur Fischwanderung nachts etwas hochzufahren. „Aber es gibt einen fürchterlichen Kampf um jeden Liter Wasser, der der Stromgewinnung verloren geht“, sagt er.

Unter den erneuerbaren Energien nimmt die Wasserkraft in Baden-Württemberg mit einem Anteil an der Bruttostromerzeugung von acht Prozent einen Spitzenplatz ein. Neben 65 Anlagen mit einer Leistung von über einem Megawatt gibt es laut Umweltministerium rund 1.700 kleine Anlagen, die darunter liegen. Auch wenn Minister Franz Untersteller den größten Nachholbedarf bei der Windenergie sieht, habe die Landesregierung „durchaus vor, wo es möglich ist, die Wasserkraft auszubauen“, sagt der Grünen-Politiker.

Aber auch der Lachs und andere Flussfische brauchen die Energie des fließenden Wassers. Es leitet sie mit seiner Strömung flussauf und flussab und versorgt auch die im Kiesbett abgelegten Eier mit Sauerstoff. Gerhard Bartl, Fischexperte im Freiburger Regierungspräsidium, macht einen Zielkonflikt zwischen Umwelt- und Naturschutz aus. „Es gibt hier keine Energiegewinnung zum ökologischen Nulltarif“, sagt er.

Erfolgreiches Artenschutzprogramm könnte scheitern

Würden in wichtigen Seitengewässern wie Murg, Kinzig, Elz oder Wiese zu den vielen vorhandenen Anlagen neue Wasserkraftwerke gebaut, „dann verschwindet der Lachs wahrscheinlich wieder“, befürchtet Bartl. Jede noch so gute Anlage sei mit Einschränkungen verbunden, in der Summe bewirkten sie schließlich das Scheitern eines erfolgreichen Artenschutzprogramms. Auch Sosat sieht die letzten intakten Bereiche in den Zuflüssen des Rheins bedroht. „Wir haben dann kein selbst reinigendes Fließgewässer mehr, sondern eine Kette von Stauseen wie beim Neckar, mit methanhaltigem Schlamm am Grund und erhöhten Temperaturen.“

Axel Mayer vom Bund für Umwelt- und Naturschutz in Freiburg registriert Spannungen quer durch seinen Verband. „Wir freuen uns ungeheuer, dass der Lachs wieder auftaucht“, sagt er. „Aber wir haben hier ein klassisches Dilemma zwischen Umwelt- und Naturschutz. Je mehr Wasser durch die Turbinen fließt, umso mehr umweltfreundliche Energie wird erzeugt.“ Der baden-württembergische Landesverband des Naturschutzbunds Deutschland lehnt neue Kraftwerke ab. Dies sei eine schmerzvoll erarbeitete Position, sagt Sprecher Hannes Huber. „Aber die Kleinkraftwerke produzieren wenig Energie, und der Schaden für die Natur ist im Verhältnis zu groß.“

Das neue Kraftwerk in Rheinfelden sei ein Beispiel dafür, wie ein Nutzen für die Energiegewinnung und die Natur hergestellt werden könne, betont Bartl. Dort, wo im Frühjahr weit flussaufwärts zwei Lachse registriert wurden, hat der Betreiber Energiedienst nicht nur die Stromproduktion im Vergleich zum abgerissenen alten Werk vervierfacht. Es wurden auch vier Millionen Euro in eine vorbildliche „Umgehungsstraße“ für Fische investiert. Insgesamt hat das mehrheitlich zum Energieversorger EnBW gehörende Unternehmen zwölf Millionen Euro in ökologische Ausgleichsmaßnahmen gesteckt.

Ausbau der Wasserkraft durch Modernisierung

„Die ersten Zählergebnisse sind mit durchschnittlich 60 Fischen pro Tag im Juni sehr gut“, sagt Jochen Ulrich, der die Abteilung Ökologie im Unternehmen leitet. „Wir sind hier komplett neue Wege gegangen und haben auf einer Länge von 900 Meter und einer Breite von 60 Metern gemeinsam mit Behörden und Verbänden einen Mittelgebirgsfluss als Ersatzlebensraum simuliert.“ Auch Äschen, Nasen, Felchen und Forellen nähmen den künstlich geschaffenen Flussraum sehr gut an, 27 Arten wurden mittlerweile beim Aufstieg gezählt. Der Lachs gehörte unerwartet dazu.

Die dezentrale Energiegewinnung ist bei den Verfechtern erneuerbarer Energien ein gängiges Schlagwort. Mit der Leistung eines Kleinwagens haben kleine Wasserkraftwerke aber nicht nur für Sosat keinen Sinn. „Es kann doch nicht sein, dass wir dafür unsere letzten Refugien zerstören“, empört er sich und will um jeden Meter Fließgewässer kämpfen. Für Kompromisse sieht er keinen Raum. Da mag es ein Hoffnungsschimmer sein, dass Umweltminister Untersteller eine 30-prozentige Ausbaureserve der Wasserkraft mithilfe von Modernisierungen bestehender Kraftwerke erreichen will.

Autor: Regina Weinrich/ dapd
Foto: Rhein bei Köln