Köln | Gastbeitrag | Es ist ein Geräusch, als würde man einen Glascontainer ausleeren. Doch an dem leuchtend blauen Hebearm hängt an diesem Sonntag kein Container, sondern ein metallener Korb, in dem zwei orangene Gestalten langsam durch die Luft schweben. In ihren Händen lange Stangen mit gebogenen Sägen an den Enden, mit denen sie die letzten Reste eines Baumhauses von den Ästen der mächtigen Eiche aus dem Hambacher Forst schneiden. Ein Gabelstapler ist bereits zur Stelle.  Ein Gastbeitrag von Leonie Groß.

Ihre orangenen Kollegen kümmern sich derweil schon um das Nachbarhaus. Es ist auf etwa acht Metern Höhe rund um den Stamm einer noch größeren Eiche gebaut. „Oaktown, wie die Besetzer diesen Teil des Waldes getauft haben, hat seinen Namen nicht von ungefähr. Hier scheint man allerdings noch unschlüssig. Zweimal fährt die Hebebühne die Arbeiter hinauf und wieder hinunter, bevor sie zögerlich erste Decken von der Außenwand schneiden. Ob dort noch jemand drin ist?

„Ehrlich gesagt, wissen wir das gar nicht“, erklärt einer der anwesenden Polizei-Pressesprecher. „Ganz oben war einer“, sagt er und weist auf eine kleine Plattform aus Europaletten, einige Meter über dem Baumhaus, „Der hatte sich festgekettet. Den haben wir heute Morgen runtergeholt. Aber im Haus drin… naja, es wird sich da wohl kaum einer hinter ‘ner Planke versteckt haben, nich?“, lacht er jovial. Die Suche nach Personen vor der Räumung sei Sache der Feuerwehr. Als hoch oben die Arbeiter später den Boden eines Seitenteils wegstemmen, sind es tatsächlich nur Bücher, die mit flatternden Seiten dem Waldboden entgegen segeln.

Die Polizei hat zu diesem Zeitpunkt schon geschlossen das Feld geräumt. Nur die Mitarbeiter des Industrie- und Werkschutzes Mundt bleiben in ihren gelben Warnwesten zurück und die einzig nicht-uniformierten, die noch in Oaktown zu sehen sind: Journalisten. Die sollen aber bitte hinter dem Absperrband bleiben. Dieses ist nicht nur entlang des Zufahrtswegs, sondern auch in einem etwa 10m breiten Streifen dahinter kreuz und quer von Baum zu Baum gespannt, wie ein Spinnennetz, sodass „hinter dem Band“ relativ wird. Dabei ist Sicherheit „ein Grundbedürfnis von Menschen und Unternehmen“, wie die GmbH auf ihrer Website betont.

Etwa 150 Meter Luftlinie, einen Wasserwerfer und zwei gepanzerte Räumfahrzeuge entfernt von dem Baumhaus, aus dem gerade ein gusseiserner Ofen dumpf auf den Waldboden aufprallt, gefolgt von einem Schweif aus Ruß und Asche, betonen etwa 7000 Demonstranten ganz andere Grundbedürfnisse. „Hambi bleibt!“, steht auf den Transparenten und „Systemchange not Climatchange!“ Es ist Nachmittag geworden und die Polizeikette steht einer Sitzdemonstration gegenüber. Im Laufe des Tages haben etwa 200 Personen die Reihe der Polizisten durchbrochen. Die übrigen singen, tanzen, ein junger Mann mit dunklen Locken aus dem Nachbarort erklärt einem Polizisten eindringlich, warum die Rodung seiner Meinung nach nicht legitim sei. Weiter vorne hat eine Gruppe Menschen begonnen mit Gartenschaufeln kleine Löcher auszuheben, unmittelbar vor den Polizisten, in die andere junge Setzlinge pflanzen. Ganz am Schluss geht ein junger Mann mit einer großen grünen Gießkanne und wässert die von der Sonne schon angesengten Bäumchen. Die beiden Polizistinnen, zu deren Füßen er gerade gießt werfen sich über den Rand ihrer Sturmhauben einen vielsagenden Blick zu.

Im Vergleich zu den symbolischen Pflanzungen unter dem Motto „Aufbäumen!“ hier draußen am Feldrand, stellen sich im „Kleingartenverein“ im Wald gerade ganz andere Probleme. „Helga? Habt ihr noch Poly? Gallien braucht Poly!“, schallt es den „Jelka“ getauften Baum hinauf. Es folgt ein kurzer Wortwechsel mit einer der Besetzerinnen, die sich von oben über den Rand der Plattform aus dem Baumhaus lehnt. Kurz darauf darauf schwebt das gesuchte Material an einem Seil herunter. Später klettert sie auch selbst hinab und setzt sich zu den Besuchern ins Stroh, das unter dem Baumhaus als Schlafplatz für Nachzügler aufgeschüttet wurde. Helm und Klettergurt behält sie dabei stets an. Sobald durch die Bäume hindurch eine Uniform auf dem Waldweg zu sehen ist, ist sie wieder am Seil, pendelt innerhalb von Sekunden drei Meter hoch über den Köpfen der Übrigen und stemmt die Beine in die am Seil festgeknoteten Fußschlaufen.

Auch die anderen haben Vorkehrungen getroffen. Auf vielen Unterarmen sind in großen Edding-Ziffern Telefonnummern notiert. Vorgestern habe man Kettensägengeräusche vom Band gehört, berichtet jemand. Der Polizeisprecher habe solche Praktiken zwar bestritten, gleichzeitig aber eingeräumt, er könne nicht in jedes Polizeiauto gucken.

Dennoch herrscht in der Gruppe keine Bürgerkriegsstimmung. Im Gegenteil: das knappe Dutzend Menschen, die meisten unter 30, sitzt entspannt in lockeren Grüppchen zusammen. Manche berichten den frisch Eingetroffenen von den letzten Tagen, ein Rest Curry wird herumgereicht, auf einer umgedrehten Obstkiste liegt neben Flyern und Karten etwas Schokolade. Trotz der schweren Waldmaschinen drinnen und der Demo draußen, über die sich alle hier im Klaren sind, gibt es immer wieder Momente der Stille, der Ruhe. Das muss wohl am Wald liegen.

Autor: Ein Gastbeitrag von Leonie Groß | Foto: Marko Petrikat
Foto: Aktiuvisten im Hambacher Wald | Foto: Marko Petrikat