Berlin | Die Ständige Impfkommission (Stiko) will Corona-Impfungen mit Astrazeneca offenbar nur noch für über 60-Jährige empfehlen. Das berichtet die „Augsburger Allgemeine“ unter Berufung auf einen Beschlussentwurf der Stiko zur Aktualisierung der Covid-19-Impfempfehlung. Demnach sollen Impfungen mit dem Mittel für unter 60-Jährige nur noch nach ärztlichem Ermessen möglich bleiben.

„Auf Basis der derzeit verfügbaren, allerdings noch begrenzten Evidenz und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen pandemischen Lage empfiehlt die Stiko, die Covid-19 Vaccine Astrazeneca für Personen im Alter über 60 Jahren zu verwenden“, zitiert das Blatt aus dem Papier vom Mittwoch. Zur zweiten Impfstoffdosis für jüngere Personen, die bereits eine erste Dosis Astrazeneca-Impfstoff erhalten haben, werde man bis Ende April Stellung nehmen, heißt es weiter. Bis dahin sollen Studien ausgewertet werden, ob eine Zweitimpfung auch mit einem mRNA-Impfstoff möglich ist.

Der Erlanger Virologe Klaus Überla, der Mitglied der Ständigen Impfkommission ist, hat die Empfehlung des Gremiums verteidigt, Astrazeneca nicht mehr für Menschen unter 60 Jahre einzusetzen. „Die Entscheidung, Impfungen in dieser Gruppe nicht mehr zu empfehlen, ist richtig“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgabe).

„Denn die Daten sprechen für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung von unter 55-jährigen Frauen mit Astrazeneca und dem Auftreten von Hirnvenen-Thrombosen bei diesen Frauen – auch wenn das seltene Ereignisse sind“, so Überla.

Zugleich müsse man das Risiko dieser Frauen betrachten, schwere Covid-19-Erkrankungen durchzumachen. Es sei, wenn sie keine Vorerkrankungen hätten, moderat. „Insgesamt wäre es deshalb besser, diese Gruppe mit anderen Covid-19-Impfstoffen zu schützen“, sagte der Virologe.

Auch bei Männern gebe es Fälle, in denen nach einer Astrazeneca-Impfung Hirnvenen-Thrombosen aufgetreten seien, das müsse weiter geprüft werden. „In der Gruppe der über 60-Jährigen überwiegt das Covid-19-Risiko bei weitem das Risiko der Hirnvenen-Thrombosen. Das belegen auch Daten aus England“, sagte der Wissenschaftler.

Berlin stoppt Astrazeneca-Impfungen für unter 60-Jährige

In Berlin sollen Personen unter 60 Jahren vorerst nicht mehr mit dem Impfstoff von Astrazeneca geimpft werden. Das kündigte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci am Dienstag an. Als Grund nannte sie, dass weitere Fälle von Hirnvenenthrombosen vor allem bei jüngeren Frauen entdeckt worden seien.

Der Stopp soll für Männer und Frauen gleichermaßen gelten. Kalayci sagte, dass sie zeitnah eine neue bundesweite Impfempfehlung erwarte. Vor der Ankündigung der Senatorin hatten bereits die landeseigenen Krankenhäuser Berlins angekündigt, Impfungen mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca für Frauen unter 55 Jahren aussetzen zu wollen.

Berlins landeseigene Krankenhäuser setzen Impfungen mit dem Corona-Impfstoff von Astrazeneca für Frauen unter 55 Jahren aus. Das berichtete der „Tagesspiegel“ am Dienstag unter Berufung auf Sprecher der Kliniken Charité und Vivantes. Demnach dürften dort demnächst hauptsächlich männliche Mitarbeiter mit Astrazeneca geimpft werden.

Patientenschützer kritisieren Verwirrung um Astrazeneca-Impfstoff

Patientenschützer kritisieren die unklare Lage bei der Verimpfung des Impfstoffs von Astrazeneca. „Die staatlichen Empfehlungen zu Astrazeneca sind wie eine Fahrt mit der Achterbahn“, sagte der Vorstand der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgaben).

Erst sollten nur die unter 65-Jährigen, dann alle und jetzt nur die über 60-Jährigen den Impfstoff bekommen, so Brysch.
„So entsteht der Eindruck, dass nicht alle Fakten auf den Tisch gelegt werden“, fügte er hinzu.

Auch werde der Anschein erweckt, dass allein Stimmung entscheidend für Impfempfehlungen seien. „Genau diese Mischung treibt die Menschen in die Fänge der Verschwörungstheoretiker. Das ist hochgefährlich“, warnte er. Deshalb sei es gut, das sich jetzt die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder der Sache annähmen.

Weltärztepräsident kritisiert Kommunikation zu Astrazeneca

Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hat die Kommunikation zu Astrazeneca kritisiert. „Insgesamt ist das Hin und Her um den Impfstoff gleichwohl ein Kommunikationsdebakel“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgaben). So werde „völlig unnötiger Weise das Vertrauen in die Impfungen insgesamt unterminiert“.

Das konkrete Vorhaben, den Impfstoff nicht mehr an Menschen unter 60 Jahre abzugeben, begrüßte Montgomery: „Die Entscheidung ist klug. Komplikationen sind bisher fast ausschließlich bei Frauen unter 55 aufgetreten“, sagte er. Daher mache es Sinn, nur Menschen über 60 Jahre zu impfen.

Dort sei das Risikospektrum dem der anderen Impfstoffe vergleichbar. „Auch gibt es inzwischen ausreichend Evidenz, dass die Wirksamkeit in den höheren Altersgruppen vorhanden ist“, so Montgomery.

Autor: dts