Helsinki | Wegen einer zunehmenden Zahl von gewalttätigen Übergriffen durch Rechtsextremisten hat die finnische EU-Ratspräsidentschaft einen fehlenden Überblick über die aktuellen europaweiten Entwicklungen in diesem Feld kritisiert und „die Notwendigkeit eines umfassenden Lageüberblicks“ in der Europäischen Union angemahnt.

Das berichtet die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf einen internen Vermerk von EU-Diplomaten zu einer „Orientierungsaussprache über gewaltbereiten Rechtsextremismus“ der EU-Innenminister, der dem Blatt nach eigenen Angaben vorliegt. Es bestehe Einigkeit unter den EU-Staaten, dass das rechtsextremistische Bedrohungspotential wachse und eine Gefahr für Demokratie und Gesellschaft darstelle, heißt es in dem Vermerk weiter.

Umstritten ist, wie konsequent man das Phänomen des gewalttätigen Rechtsextremismus anpacken will. Ein Vorschlag einzelner Mitgliedsländer, rechtsextremistische Gruppierungen europaweit zu registrieren, fand keine Mehrheit. Mehrere EU-Länder sowie die Europäische Kommission bemängeln laut Vermerk zudem, „dass es bislang noch keine einheitliche Definition für gewalttätigen Extremismus gäbe“.

Der Anti-Terrorismus-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove, sagte der „Welt am Sonntag“: „Gewalttätiger Rechtsextremismus und -terrorismus stellen eine große Bedrohung in Europa dar.“ Die Bürger in Europa müssten vor jeder Art von Terrorismus geschützt werden. „Gewalttätiger Rechtsextremismus und – terrorismus entwickeln sich über die Ländergrenzen hinweg, und der Kampf dagegen erfordert darum eine länderübergreifende Kooperation“, erklärte de Kerchove.

Diese Auffassung vertreten vor allem auch Deutschland und die skandinavischen Länder. De Kerchove kündigte konkrete Maßnahmen an: „Wir werden neue Initiativen starten und uns verstärkt darum kümmern, einen besseren Überblick über Rechtsextremismus – und -terrorismus auf unserem Kontinent zu erhalten und bewährte Methoden über Prävention und Aussteigerprogramme auszutauschen. Wir werden auch stärker zusammenarbeiten mit Drittstaaten um die Bedrohung zu reduzieren.“

Bundesinnenmisterium will Rechtsextremismus bekämpfen

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte, die Bekämpfung des Rechtsextremismus habe für das Ministerium „hohe Priorität“. Man habe es dabei mit einer EU-weiten Herausforderung zu tun. Armin Schuster (CDU), Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sprach von einer „zunehmend gefährlichen politischen Haltung“, dass man das internationale Agieren im Bereich des Rechtsterrorismus, Islamismus, der Organisierten Kriminalität oder der Cyberbedrohung „immer noch vorwiegend national bekämpfe“. Schuster schlug europäische Ermittlergruppen zur Bekämpfung der Kriminalität und Terrorismus vor – ähnlich wie bereits bei der Grenzpolizei und Asylbehörde. Kritik an der Bundesregierung kommt aus der Opposition: „Die vernetzten Strukturen rechtsextremistischer Kräfte und die von ihnen ausgehenden Gefahren wurden jahrelang von Bundesregierung und Sicherheitsbehörden verkannt“, kritisiert der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz. „Wir brauchen ein EU-weit abgestimmtes Vorgehen und gemeinsame Strategien, Rechtsextremismus und Antisemitismus gesamteuropäisch zu begegnen.“

Auch Benjamin Strasser, Innenexperte der FDP-Bundestagsfraktion, kritisiert: „Es ist völlig naiv, wenn einige EU-Staaten vor dieser Gefahr die Augen verschließen und so tun, als gäbe es kein Problem.“ Er nannte es „fatal“, dass einige Länder nicht mal den ersten Schritt gehen wollten und rechtsextreme Gruppierungen gemeinsam zu definieren und zu erfassen. Das Ausmaß der rechtsextremen Gewalt in Europa belegt ein vertraulicher Bericht von Europol, den die finnische Ratspräsidentschaft in Auftrag gegeben hatte. Die Experten vom Europäischen Anti-Terror-Zentrum schreiben darin, dass die zunehmende internationale Vernetzung rechter Organisationen Probleme bereite. Gruppen wie die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachteten „Hammerskins“, „Combat 18“ oder das offiziell bereits verbotene „Blood & Honour“ besitzen demnach Zweige und Kooperationspartner in verschiedenen EU-Ländern und auch außerhalb, etwa in den USA.

Autor: dts