Köln |Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ jüngst vernehmen: „Das Internet ist für uns alle Neuland“. Grund genug, vor der Bundestagswahl 2013 die Netzpolitik der Parteien einmal unter die Lupe zu nehmen. Report-k.de befragte dazu CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke und die Piraten in Interviews. Nicht alle haben sich dazu bis heute geäußert, diese Interviews werden nachgeliefert. Jimmy Schulz, Mitglied der FDP-Bundetagsfraktion und Mitglied der der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, erklärt im Interview, warum er ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage ablehnt, das Urheberrecht neu geregelt werden muss und warum die Demokratie durch das Internet bereichert wird.

Report-k.de:  SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück hat Gesche Joost als Expertin für Netzpolitik und vernetzte Gesellschaft in das Wahlkampfteam berufen. Wollen auch Sie einen derartigen Posten einführen? Wäre ein Ministerium für Internet und Netzpolitik denkbar?

Jimmy Schulz: Die FDP hat bereits seit Jahren eine Reihe von Experten für Netzpolitik in ihren Reihen. Diese sind in Fachausschüssen und in der Bundestagsfraktion in der AG IT und Netzpolitik organisiert. Das Herausheben einer Person, die bisher zum Thema wenig (nicht) in Erscheinung getreten ist, halten wir nicht für nachahmenswert. Ich habe bereits vor über drei Jahren einen festen Platz für das Thema Netzpolitik im Parlament gefordert. Ebenso empfiehlt die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ einen ständigen Ausschuss für Netzpolitik im Deutschen Bundestag einzurichten. Dies hat höchste Priorität. Eine Verankerung des Themas in der Regierung erscheint sehr sinnvoll. Wie dies zu gestalten ist, ist jedoch eher zweitrangig. Denkbar wäre ein eigenes Ministerium, ebenso wie ein koordinierender Staatssekretär in einem der beteiligten Ministerien oder ein Staatsminister im Kanzleramt.

Beschreiben Sie Ihre Vision einer vernetzten Gesellschaft?

Jeder soll die Chance bekommen an den Möglichkeiten der vernetzten Gesellschaft teilzuhaben. Dazu gehören kompetente, aufgeklärte Nutzer, die eigenverantwortlich handeln können. Gleichzeitig soll es so wenig wie möglich Regulierung geben, denn nur so kann das Internet sich so erfolgreich wie bisher weiterentwickeln.

Was sollte Ihrer Meinung nach im Internet bevorzugt gefördert und gesichert werden: Unternehmerisches Interesse oder die Freiheit im Netz?
Man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen und diese beiden Punkte sind auch keine Gegensätze. Man muss auf der einen Seite die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und insbesondere auch Start-Ups schaffen, da sich die IT-Branche in den letzten Jahren zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor und Jobmarkt entwickelt hat. Unser Wirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler hat in den letzten Jahren viel dafür getan. Aber auch die Freiheit im Netz muss weiter erhalten bleiben, es darf keine Totalüberwachung oder Speicherung, Netzsperren oder Sonstiges dieser Art geben. Hier ist unsere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die beste Verteidigerin der Freiheit im Netz. Die FDP ist die Partei der digitalen Aufklärung.

Nennen Sie drei Ziele, die Ihre Partei im Bereich der Netzpolitik bevorzugt umsetzen will

Zur Zeit steht die Verhinderung von kompletter und anlassloser Überwachung ganz oben auf der Agenda. Dazu gehört für mich nicht nur, dass Staaten Bürger nicht überwachen dürfen und jeden ihrer Schritte speichern. Dazu gehört es für mich auch dafür zu sorgen, dass die Light-Version von PRISM und TEMPORA – die EU-Richtlinie für die Vorratsdatenspeicherung – in Deutschland nicht umgesetzt wird und auch in Brüssel endlich begraben werden muss. Weiterhin muss der Erhalt der Freiheit im Internet im Rahmen der Netzneutralität gewahrt bleiben. Die jetzt geplante Verordnung ist dafür sicherlich nur der erste Schritt.

Schließlich fände ich eine echte Reform des Urheberrechts sehr wichtig. Das Urheberrecht ist deshalb so wichtig, da es das geistige Eigentum der Kreativen schützt. Es muss aber auch an die geänderten Bedingungen der digitalen Gesellschaft angepasst werden. Dies wird in den nächsten Jahren unsere Aufgabe sein.

Wie stehen Sie zur geplanten DSL-Drosselung der Telekom? Droht eine digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Von der Telekom wurden zwei unterschiedliche Maßnahmen angekündigt, die auch unterschiedlich zu bewerten sind. Einmal möchte die Telekom eine Volumenbegrenzung einführen, sodass das Datenvolumen (Down- und Upload) je nach Tarif begrenzt ist. Bei dieser Maßnahme handelt es sich jedoch um eine Frage der Tarifstruktur und das wiederum ist eine rein unternehmerische Entscheidung. Die Telekom muss selber entscheiden, welche Tarife sie anbietet und die Kunden können dann entscheiden, ob sie diese annehmen wollen oder zu einem anderen Anbieter wechseln. Wichtig ist dabei nur, dass die Tarife möglichst transparent gestaltet sind und begrifflich klar gemacht wird, worum es sich handelt. Denn nur wo wirklich Flatrate drin ist, darf auch Flatrate drauf stehen.

Als zweite Maßnahme möchte die Telekom einzelne Services priorisieren, indem sie sie aus der Volumenbegrenzung herausnimmt. Hierzu sollen dann der eigene Dienst der Telekom „T-Entertain“ und weitere gelten, mit denen die Telekom Verträge dafür abschließen möchte. Dies ist die problematische Maßnahme, da die unterschiedliche Behandlung einzelner Services innerhalb einer Dienstklasse ein echter Verstoß gegen die Netzneutralität ist.

Wie beurteilen Sie das Leistungsschutzrecht?

Ich lehne ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage ab. Frei erreichbare Inhalte müssen im Internet frei verlinkbar sein, auch mit einer kurzen Beschreibung. Ein Restaurantführer zahlt auch nicht dafür, dass er Restaurants empfehlen darf. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers überkommene Geschäftsmodelle staatlich zu schützen, oder gar neue zu entwickeln. Es ist in einem solchen Fall vielmehr Aufgabe des Staates die Möglichkeit für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zu eröffnen.

Was muss Deutschland im Bereich der digitalen Gründungspolitik noch lernen?

Die Gründerszene muss in Deutschland noch mehr unterstützt und gefördert werden. Vor allem aber brauchen wir ein kulturelles und gesellschaftliches Umdenken in Deutschland. In einem Umfeld, in dem die Risikoanalyse Kernpunkt eines jeden Geschäftsmodells ist, werden junge, mutige Firmengründer oft nicht honoriert. Die bisherigen Initiativen unseres Bundeswirtschaftsministers Dr. Philipp Rösler, wie zum Beispiel die Reise nach Silicon Valley, sind wichtige Schritte nach vorne.

In NRW will Staatssekretär Marc Jan Eumann eine Stiftung für Lokal-Journalismus gründen. Wäre etwas Ähnliches auch vom Bund denkbar? Wie wollen Sie künftig Online-Medien stärker fördern?

Das Schöne am Internet ist, dass jeder zum „Medium“ werden kann. Jeder kann seinen eigenen Blog veröffentlichen, dazu bedarf es keiner Lizenz oder Genehmigung. Gerade das macht die Vielfalt der Online-Medien aus. Klassische Online-Angebote werden durch Blogs und Foren ergänzt und tragen zur Meinungsbildung bei. Das Internet ist zudem global. Menschen tauschen ihre Meinungen weltweit aus. Wir fördern die Online-Medien dadurch, dass wir das Recht auf freie Meinungsäußerung stets schützen und verdeutlichen, dass dies auch im Internet und vor allem dort auch anonym gilt. Zudem setze ich mich für ein freies Internet ein. Das heißt auch, die Freiheit des Internets international zu vertreten, das mache ich bereits, z.B. im Rahmen des Internet Governance Forums.

Was kann die Demokratie vom Internet lernen?

Dank des Internets können wir uns besser über politische Entscheidungen informieren, diskutieren und auch abstimmen. Die Demokratie wird also durch das Internet bereichert. Beispielsweise können alle Bürgerinnen und Bürger auf der Webseite des Deutschen Bundestages live Plenarsitzungen und einzelne Anhörungen verfolgen. Demokratie ist somit transparenter als früher. Aber wir wollen noch mehr: In der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft habe ich mich dafür eingesetzt, dass alle öffentlichen Sitzungen des Bundestages online verfügbar gemacht werden. Ein weiteres Beispiel stammt ebenfalls aus der Enquete-Kommission: Wir haben die Online-Beteiligungsplattform www.demokratie.de in die Arbeit der Enquete einbezogen und die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger, die online eingegangen sind, in den Sitzungen debattiert und abgestimmt. Auf diese Weise unterstützt das Internet unsere Demokratie.

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Thomas Hegenbarth (Piraten) – „Das Internet ist für die Demokratie Herausforderung und Chance zugleich“>>>

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Jetzt schon notieren: 22. September 2012 ab 17 Uhr report-k.de Live-Ticker zur Bundestagswahl mit starkem Blick und Fokus auf Köln und in Echtzeit allen Daten, Fakten und Stimmen aus Deutschland und NRW.

Autor: Frida Baumgarten | Foto: Christine Olma
Foto: Jimmy Schulz, Mitglied der FDP-Bundetagsfraktion und Mitglied der der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft