Köln | Henriette Reker lieh 44 Monate lang von Januar 2016 bis August 2019 ihre Social Media Accounts unentgeltlich der Stadt Köln. Nebeneffekt: Die Stadt Köln zahlte für die Erstellung von Inhalten und Pflege der Accounts. Wie viel die Stadt dafür bezahlte bleibt ein Geheimnis. Einen schriftlichen Vertrag gibt es nicht und der Rat als Kontrollgremium wurde nicht involviert. Jetzt nutzt die parteilose Bewerberin diese ausgeliehenen Accounts wieder für Ihren Wahlkampf. Begründet wird die Leihe mit einer Neuaufstellung der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln.

Seiteninhaberin blieb immer Henriette Reker

Wer einen Social Media Account betreibt wird Seiteninhaber. Die technische Plattform gehört dem Unternehmen, die diese zur Verfügung stellt, also etwa Facebook oder Twitter. Für die Inhalte auf der technischen Plattform ist der Seiteninhaber verantwortlich, für deren Pflege und alle Kosten, die damit einhergehen. Henriette Reker meldete anlässlich ihrer ersten Kandidatur zur Kölner Oberbürgermeisterin im Frühjahr 2015 Accounts bei Facebook, Instagram und Twitter an. Sie wurde also Seiteninhaberin. Diese ließ Reker bis Ende 2015 auf eigene Kosten pflegen. Im Januar 2016 wurde sie Oberbürgermeisterin. Ab dann lieh sie der Stadt Köln ihre Accounts. Zur Frage nach der Seiteninhaberschaft ab Januar 2016 schreibt die Stadt Köln: „Ein Wechsel der Seiteninhaberschaft wurde nicht vorgenommen. Vielmehr wurde der Account durch Frau Reker der Stadt Köln geliehen, d.h. der Stadt Köln insoweit – unentgeltlich – ein einfaches, zeitlich begrenztes Recht zur Nutzung eingeräumt, so dass die Stadt Köln innerhalb des entsprechend festgelegten Zeitraums (bis zum Ablauf der Amtszeit bzw. gegebenenfalls bis zur Bekanntgabe einer neuen Kandidatur) mit Einverständnis aller Beteiligten die Verfügungsgewalt über den Account erhielt. Die geschah vor dem bereits dargestellten Hintergrund der Neuaufstellung der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln in Bezug auf Soziale Medien.“

Der Rat der Stadt Köln wurde nicht einbezogen – die Accounts öffentlich gewidmet

In der Gemeindeordnung NRW ist festgelegt, dass Rechtsgeschäfte zwischen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und ihrer Gemeinde unter bestimmten Bedingungen dem Rat vorzulegen sind und dieser eine Entscheidung trifft, ob dies Rechtsgeschäft rechtmäßig ist. Die Stadt Köln stellt fest: „Eine Änderung der Seiteninhaberschaft wurde nicht vorgenommen. Auch ein „Rechtsübergang“ fand daher nicht statt. Wie dargestellt, wurde der Stadt Köln insoweit lediglich ein einfaches, zeitlich begrenztes Recht zur Nutzung des Accounts eingeräumt. Dies bedurfte keiner Ratsentscheidung.“ Weiter heißt es: „Nachdem die Stadt Köln durch die Vereinbarung mit Frau Reker die – befristete – Verfügungsgewalt über den Account erlangte, wurde die Eigenschaft des Facebook-Accounts durch Widmung als öffentliche Sache begründet und zugleich die Zweckbestimmung als Medium zur Öffentlichkeitsarbeit der Stadt festgelegt. Diese Widmung – die im Übrigen an keine Formvorschrift gebunden ist – erfolgte, wie dies auch regelmäßig üblich ist, durch schlüssiges Verhalten, in concreto durch Aufnahme der Arbeit durch das Presseamt und die Änderung der Seitenbeschreibung und des Impressums.“ Hier ist festzustellen, dass das städtische Presseamt nicht den vollständigen Zeitraum über eingebunden war, sondern zuvor die Pflege der Accounts aus dem Büro der Oberbürgermeisterin erfolgte. Zudem schreibt die Stadt, dass einer Rechtsgrundlage für die Widmung nicht bedurfte, weil die Bürger nicht belastet worden seien. Aber es entstanden der Stadt Kosten.

Die Verwaltung und die Oberbürgermeisterin als Chefin der Verwaltung hielten es nicht für nötig, den Rat der Stadt Köln über das Rechtsgeschäft der Leihe und die sich daraus ergebenden Kosten zu informieren. Zudem stellt die Verwaltung und die OB fest, dass keine Zurechnung der Inhalte und Nutzungsrechte, die zweifellos durch die vorhandenen Inhalte und Abonnenten gegeben waren, zum Vermögen der Stadt Köln erfolgte.

Am 1. September 2019 beendete die parteilose Kandidatin die Ausleihe

Die Stadt Köln übernahm die Kosten für die Pflege der Inhalte der Accounts ab Januar 2016 bis August 2019. Dafür beschäftigte die Oberbürgermeisterin zunächst in ihrem OB-Büro und später das städtische Presseamt den freien Mitarbeiter Frederik Schorn, der sie schon bei Ihrem Wahlkampf 2015 und jetzt als Wahlkampfmanager der Kampagne 2020 unterstützt. Auch für die Übernahme gibt es keinen Vertrag und auch hier wurde der Rat nicht in die Entscheidung eingebunden. Die Stadt Köln führt aus: „Dazu bedurfte es keiner Entscheidung. Wie bereits dargestellt, wurde der Account durch Frau Reker der Stadt Köln lediglich geliehen, d.h. der Stadt Köln insoweit ein einfaches, zeitlich begrenztes Recht zur Nutzung eingeräumt, wonach die Stadt Köln innerhalb des entsprechend festgelegten Zeitraums (bis zum Ablauf der Amtszeit bzw. gegebenenfalls bis zur Bekanntgabe einer neuen Kandidatur) mit Einverständnis aller Beteiligten die Verfügungsgewalt über den Account erhielt. Mit der Bekanntgabe der erneuten Kandidatur durch Frau Reker endete das der Stadt Köln eingeräumte Nutzungsrecht hinsichtlich des Accounts.“

Auch in diesem Fall negiert die Stadt Köln die Frage nach einem Vermögensübergang von öffentlichem Vermögen in den Besitz der Privatperson und Politikerin Henriette Reker. So schreibt die Stadt Köln dazu: „Unabhängig davon, dass ebenso wie auch bei der Aufnahme der Nutzung des Accounts durch die Stadt Köln nicht von „Werten“ auszugehen gewesen ist, sind solche auch nicht bei der erneuten Aufnahme der Nutzung durch Frau Reker feststellbar gewesen, so dass mithin schon insoweit nicht von einem Vermögensübergang auszugehen ist.  Dabei gilt es zudem insbesondere auch zu beachten, dass während der Dauer der Widmungeine öffentlich-rechtliche „Sachherrschaft“ an dem Facebook-Account entstand und infolgedessen dann nicht nur Nutzungsrechte, sondern auch öffentlich-rechtliche Unterhaltspflichten. Die Erstellung von Beiträgen, sonstigen Inhalten und die Abonnentenverwaltung stellen typischerweise  einen solchen Unterhalt („Pflege“) des Accounts dar.

Wie teuer war die Pflege der Accounts der Seiteninhaberin für die Stadt Köln?

Hier schweigt die Stadt Köln und stellt lediglich fest: „Eine Wertfeststellung erübrigte sich. Wie bereits dargelegt, ging die Erstellung von Inhalten vielmehr mit der öffentlich-rechtlichen Unterhaltungspflicht einher, die der Stadt Köln für die Dauer der Leihe oblag.“ Und der Account wurde wiederum ohne Ratsbeschluss entwidmet: „Aufgrund des zuvor festgelegten Zeitablaufs der Nutzungsrechte erfolgte am 01.09.2019 die Entwidmung mit der Wiedererlangung der „Sachherrschaft“ am Account durch Frau Reker.“ Und die Stadt sagt auch dazu bedurfte es keiner Entscheidung: „Der Rat der Stadt Köln wurde in den Vorgang nicht involviert. Vor den hier im Einzelnen aufgezeigten Hintergründen, d.h. insbesondere einer unentgeltlichen und lediglich zeitlich befristeten Überlassung des Accounts an die Stadt Köln und entsprechender Widmung, war eine solche Involvierung des Rates weder erforderlich, noch angezeigt. Es handelte sich vielmehr um ein sog. Geschäft der laufenden Verwaltung, bei dem eine Involvierung des Rates grds. nicht erfolgt.“

Und weiter: „Die genannten Media-Accounts wurden der Stadt Köln von Frau Reker 2015 im Wege der Leihe überlassen. Ohne schriftliche Fixierung wurde vereinbart, dass der Stadt Köln hinsichtlich der Accounts – unentgeltlich – ein einfaches, zeitlich begrenztes Recht zur Nutzung eingeräumt wurde. Innerhalb eines entsprechend festgelegten Zeitraums (bis zum Ablauf der Amtszeit bzw. gegebenenfalls bis zur Bekanntgabe einer neuen Kandidatur) erhielt die Stadt Köln mit Einverständnis aller Beteiligten die Verfügungsgewalt über die Accounts. Frau Reker blieb jedoch „Eigentümerin“ der Accounts. Dies geschah vor dem bereits bekannten Hintergrund der Neuaufstellung der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Köln in Bezug auf Soziale Medien.“

Wer hat hier mit wem vertraglich gehandelt?

Aus rechtlicher Sicht dürfte die rechtliche Wirksamkeit eines solchen Leihvertrags, auch wenn es für den Abschluss des Vertrags keines Ratsbeschlusses bedurft hätte, zumindest zweifelhaft sein.

Wie die Pressestelle schreibt waren an dem Abschluss des Leihvertrags Frau Reker auf der einen Seite und die Stadt Köln auf der anderen Seite beteiligt. Nur wer hat für die Stadt Köln den Vertrag geschlossen? Die Stadt Köln ist eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts und damit eine juristische Person. Juristische Personen sind jedoch fiktive Rechtsgebilde, die – anders als natürliche Personen – nicht selbst, sondern nur durch ihre Organe handeln können. Das gilt für die Stadt Köln als Gebietskörperschaft genauso wie für eine gewöhnliche privatrechtliche GmbH (vertreten durch ihren Geschäftsführer). Um den Unterschied zu verdeutlichen: Sie, liebe/r Leser/in können beim Bäcker ihre Brötchen kaufen und schließen in eigener Person einen Kaufvertrag mit der Bäckerei über 10 Brötchen. Die Stadt Köln kann, würde sie – hypothetisch angenommen – ihre MitarbeiterInnen jeden Morgen mit frischen Brötchen versorgen, nicht selbst mit dem Bäcker einen Vertrag abschließen. Die Stadt Köln muss sich als juristische Person, durch ihren gesetzlichen Vertreter bei Abschluss des Kaufvertrags über die Brötchen vertreten lassen.

Die Gebietskörperschaft Stadt Köln wird kraft Gemeindeordnung NRW durch ihre gesetzliche Vertreterin die Oberbürgermeisterin, Henriette Reker, vertreten. Nur so konnte es überhaupt zu einem Abschluss des Leihvertrags kommen. Henriette Reker hat als Privatperson einerseits mit sich selbst als gesetzliche Vertreterin der Gebietskörperschaft Stadt Köln den Leihvertrag über diesen Account abgeschlossen.

Gerade dies ist aber von Gesetzes wegen, soweit keine anderweitige Regelung in der Hauptsatzung getroffen wurde oder ein entsprechender Ratsbeschluss gefällt wurde, nach § 181 BGB ein unzulässiges Insichgeschäft: „Ein Vertreter (hier OB Reker als Vertreterin der Gemeinde) kann […] im Namen des Vertretenen (die Stadt Köln) mit sich im eigenen Namen (Frau Reker als private Seiteninhaberin) ein Rechtsgeschäft nicht vornehmen […].“ Diese Vorschrift beschränkt die Fähigkeit der Oberbürgermeisterin als Vertreterin der Stadt Köln mit sich selbst als Privatperson Verträge abzuschließen. Die Folge, die sich aus dieser Beschränkung der Fähigkeit von OB Reker ergibt, die Stadt Köln zu vertreten, wird juristisch als schwebende Unwirksamkeit bezeichnet. Der Leihvertrag wäre dann unwirksam. Nur schwebend unwirksam ist er deshalb, weil er noch genehmigt werden kann. Gerade dies wird, folgt man den Ausführungen der Stadt Köln, aller Voraussicht nach nicht erfolgt sein. Schließlich ging man, nach eigener Aussage, von der Wirksamkeit eines solchen Leihvertrags aus. Daraus würde letztlich folgen, dass die Stadt Köln nie ein leihweises Nutzungsrecht an dem privaten Facebook-Account von OB Reker erwerben konnte. Ein Thema, dessen sich der Rat als Kontrollorgan der Verwaltung annehmen müsste.

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Autor: Andi Goral