Köln | Die Diskussion um die Begrifflichkeit „Hetzjagd“ und das Video, dass zeigt wie zwei junge Männer von anderen in Chemnitz gejagt werden, bestimmt die Schlagzeilen.  Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zweifelte in der „Bild“-Zeitung die Echtheit des Videos an und teilte mit, dass er auch den Begriff „Hetzjagd“ nicht teile. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert, hatten die Szenen so interpretiert. Seibert stellte fest, dass Maaßen sich nicht mit der Bundeskanzlerin austauschte. Die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden hält das Video für echt. Der Verfassungsschutz erklärte sich heute und relativierte selbst die Aussagen seines Chefs.

Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält Video für echt

In der Diskussion um ein Video aus Chemnitz, das Übergriffe auf Menschen aus einer rechten Demonstration heraus zeigt, hat die Generalstaatsanwaltschaft Dresden dem Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen widersprochen. Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein sagte „Zeit-Online“: „Wir haben keine Anhaltspunkte dafür, dass das Video ein Fake sein könnte.“ Daher werde es für die Ermittlungen genutzt.
Man habe keinen Kontakt zu Maaßen und wisse daher auch nicht, aufgrund welcher Informationen er zu seinen Schlussfolgerungen gekommen sein könnte. Maaßen hatte zuvor Zweifel an der Echtheit des Videos geäußert. „Zeit-Online“ und der „Zeit“ liegt nach eigenen Angaben ein weiteres Video vor, das offenbar die Situation vor dem Übergriff zeigt.

Auf dem Video, das bislang unveröffentlicht ist, sind teilweise die gleichen Männer zu sehen, wie auf dem Video, dessen Echtheit Maaßen als zweifelhaft bezeichnet hatte. „Zeit-Online“ und „Die Zeit“ haben die Standortdaten des Videos direkt auf dem Handy ausgelesen. Sie zeigen, dass es auf der Bahnhofstraße in Chemnitz aufgenommen worden sein soll, der Zeitstempel gibt an, dass es vom 26. August 2018 stammen soll, dem fraglichen Sonntag.

Aufgenommen wurde das Video nach eigenen Angaben von dem Afghanen Alihassan S., der wenig später selber mutmaßlich zum Opfer wurde.

Verfassungsschutz will weiter prüfen

Am Abend teilte der Verfassungsschutz mit: „In Chemnitz gab es eine hohe Emotionalisierung und schnelle Mobilisierung, die sich auch Rechtsextremisten zu Eigen gemacht haben. Die sozialen Medien spielten auch hier für die Mobilisierung und die individuelle Meinungsbildung eine große Rolle. Gerade dort finden sich aber immer wieder Fake-News und Versuche der Desinformation. Das BfV prüft alle zugänglichen Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, um zu einer belastbaren Einschätzung der Ereignisse zu kommen. Die Prüfung insbesondere hinsichtlich möglicher „Hetzjagden“ von Rechtsextremisten gegen Migranten wird weiter andauern.“

Nahles: SPD-Abgeordneter war Augenzeuge von „Hetzjagden“

Der Chemnitzer SPD-Bundestagsabgeordnete Detlef Müller war nach den Worten von SPD-Chefin Andrea Nahles persönlich Augenzeuge von „Hetzjagden“ in Chemnitz. Er habe darüber in der Fraktion berichtet, sagte Nahles am Freitag nach einer Klausursitzung der SPD-Bundestagsfraktion in Berlin. „Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen von Herrn Maßen für uns nicht nachvollziehbar“, sagte die SPD-Chefin.
Ihre Fraktion werde deswegen nächste Woche das Parlamentarische Kontrollgremium anrufen, damit Maaßen seine Behauptungen belegen könne. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz hatte in der „Bild“ Zweifel geäußert, dass es während der Demonstrationen in Chemnitz zu „Hetzjagden“ gekommen sei. „Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt“, sagte er der Zeitung.

Linken-Chefin fordert Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident

Linken-Chefin Katja Kipping fordert den Rücktritt von Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. „Das Versagen und die Ignoranz der politisch Verantwortlichen und der zuständigen Behörden bezüglich der rechten Ausschreitungen in Chemnitz gehen weit über Sachsen hinaus“, sagte Kipping am Freitag. Anstatt die Verfassung zu verteidigen gebe Maaßen den „AfD-Versteher“ und missbrauche die Autorität seines Amtes um jenen eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ auszustellen, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten und zum Töten von Menschen aufriefen, so Kipping.

„Er betreibt damit das Geschäft der rechtsradikalen Verfassungsfeinde und gibt ihren systematischen Fake-News-Kampagnen, es hätte keine rechte Gewalt und Straftaten gegeben, Unterstützung von offizieller Seite“, so die Linken-Chefin. Auch die Innenminister von Bund und Ländern kritisierte sie. Diese seien „qua Amt“ zuständig für Demokratie und Sicherheit, doch davon habe man bislang wenig gemerkt.

„Deshalb sollten die Unionsinnenminister und Horst Seehofer nach ihrem Treffen in Wiesbaden heute Nachmittag geschlossen nach Chemnitz fahren, um als Gegendemonstration den Teilnehmern von Pro Chemnitz eine Lektion in Sachen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Weltoffenheit zu erteilen“, sagte Kipping.

„Hetzjagd“-Streit jetzt auch innerhalb der Unionsfraktion

Auf der zweitägigen Klausur des Vorstands der Unionsfraktion in Berlin wurde Regierungssprecher Steffen Seibert scharf kritisiert. Am Donnerstag sagte laut eines Berichts der „Bild“ (Samstagausgabe) unter Berufung auf Teilnehmerkreise ein hochrangiger Teilnehmer, es gehe gar nicht, dass Seibert als Regierungssprecher Vokabeln wie „Hetzjagd“ verwende ohne sich vorher mit den Tatsachen vertraut gemacht zu haben. Auch Kanzlerin Angela Merkel habe falsche auf die Ereignisse in Chemnitz reagiert.
Weiter wurde kritisiert, dass Seibert im Gegenzug aber keine Kritik über das Konzert in Chemnitz am Montagabend geäußert habe, bei dem unter anderem die Berliner Hip-Hopper K.I.Z. aufgetreten waren. Die sind für ihre provokanten Texte bekannt, die oft als „gewaltverherrlichend“ beschrieben werden.

Autor: dts