Erfurt | Die aktuelle Blitzmeldung aus Erfurt lautet: „FDP-Fraktion in Thüringen will Antrag auf Landtagsauflösung stellen“. In politischen Berlin dagegen stellt die SPD die Groko in Frage, der CDU Spitzenpolitiker Bernhard Vogel keinen Tabubruch und Alexander Gauland spricht davon, dass die AfD in Thüringen Neuwahlen nicht fürchte. Die Linke fordert eine sofortige Beendigung des „unwürdigen Spektakels“.

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Thüringer FDP-Fraktion will Neuwahlen

Der neue FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich will sein Amt aufgeben und eine Neuwahl herbeiführen. Die FDP-Fraktion habe „beschlossen, zu diesem Zweck die Auflösung des Thüringer Landtags zu beantragen“, hieß es in einer Mitteilung. Damit sollten Neuwahlen herbeigeführt werden.

„Kemmerich will damit den Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt des Ministerpräsidenten nehmen“, hieß es in einer Mitteilung. „Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten, die sich offensichtlich in diesem Landtag nicht herstellen lassen“, sagte Kemmerich kurz nach Versand der Mitteilung am Donnerstagmittag in Erfurt. Sein Rücktritt sei unumgänglich.

Die AfD habe mit einem „perfiden Trick“ versucht, die Demokratie zu beschädigen, so Kemmerich. Die Frage von Kandidaturen bei anstehenden Wahlen stelle sich heute jedoch noch nicht. Am Vormittag war FDP-Chef Christian Lindner nach Erfurt gekommen, um mit Kemmerich persönlich zu sprechen.

Bei der Ministerpräsidenten-Wahl im Thüringer Landtag hatte die AfD-Fraktion am Mittwoch ihren eigenen Kandidaten im dritten Wahlgang fallengelassen und zusammen mit der CDU dem FDP-Kandidaten Kemmerich überraschend zur Mehrheit verholfen. Die FDP war bei der Thüringer Landtagswahl nur knapp auf 5 Prozent gekommen. Der bisherige Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) hatte keine eigene Mehrheit im Parlament und wollte eine Minderheitsregierung bilden.

Walter-Borjans: CDU muss „immensen Schaden“ in Thüringen beheben

Die Krise in Thüringen im Zusammenhang mit der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mithilfe von CDU und AfD wird für die Große Koalition in Berlin zur Zerreißprobe. Die CDU müsse jetzt „ohne jede Verzögerung dafür sorgen, dass der schon eingetretene immense Schaden behoben und unserer Zusammenarbeit nicht die wichtigste Basis entzogen wird – die gemeinsame Verteidigung der Demokratie in Deutschland“, sagte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagsausgaben). Deshalb müsse „die Strohmann-Affäre Kemmerich schnellstmöglich beendet werden“, so der SPD-Politiker weiter.

Das Ausmaß des Schadens, den CDU und FDP im Freistaat angerichtet hätten, gehe nicht nur weit über Thüringen hinaus, er beschädige auch das Ansehen Deutschlands. „Deshalb dürfen sich die Berliner Parteizentralen von CDU und FDP nicht aus der Verantwortung stehlen. Das Ergebnis von gestern darf keinen Bestand haben“, forderte Walter-Borjans.

Die SPD sei in ihrer gesamten Geschichte zu jeder Zeit das verlässliche Bollwerk gegen Rechts gewesen. Es gebe über alle Strömungen in seiner Partei hinweg keinen Zweifel, „dass wir auch jetzt den Anfängen wehren müssen“, so der SPD-Chef.

Bernhard Vogel sieht in Thüringen-Wahl keinen Tabubruch

Der ehemalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Thüringen Bernhard Vogel (CDU) sieht in der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Regierungschef keinen Tabubruch. „Dass man einen Mann der Mitte wählt, ist doch als solches noch kein Tabubruch. Ein Tabubruch würde daraus, wenn es tatsächlich zu einer Zusammenarbeit kommt, und die schließe ich selbstverständlich nach wie vor aus“, sagte er am Donnerstag dem Deutschlandfunk.

Die AfD sei dafür anzuklagen, dass sie ihren eigenen Kandidaten mit keiner Stimme unterstützt habe. „Die Führung der CDU will mit der AfD nichts zu tun haben und wird auch jetzt – da bin ich ganz sicher – Herrn Kemmerich gegenüber äußern, eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit ihm kommt nur in Frage, wenn eine klare Trennungslinie zur AfD gezogen ist.“ Neuwahlen hält Vogel nur für sinnvoll, wenn es dabei Hoffnung auf ein anderes Ergebnis gebe. „Deswegen kann man das nicht in den nächsten Wochen machen. Außerdem braucht man dafür eine Mehrheit.“

Gauland verteidigt Ministerpräsidentenwahl in Thüringen

Der Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, hat die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen verteidigt. „Das ist sogar sehr ernsthafter Parlamentarismus. Denn unser Ziel war, eine Regierung Ramelow zu verhindern“, sagte Gauland der RTL/n-tv-Redaktion auf die Frage, ob das Wahlmanöver der AfD in Thüringen noch etwas mit ernsthaftem Parlamentarismus zu tun habe.

Es sei „völlig klar“ gewesen, dass der AfD-Kandidat keine Mehrheit bekomme. „Aber es gab eine Chance, die sich ja auch realisiert hat, dass ein anderer Kandidat Ramelow verhindern kann. Also war es das Ziel der AfD, diesem Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. Das hat sehr viel mit Demokratie zu tun und wenig mit Tricks“, so der AfD-Politiker weiter. Die AfD-Bundesspitze sei in diese Planungen jedoch nicht involviert gewesen. „Wir telefonieren regelmäßig, auch mit Björn Höcke, aber wir waren weder eingeweiht noch haben wir den mitgeplant, weil es kein Coup war. Es war völlig klar, dass nur mit der Wahl von Herrn Kemmerich das Ziel, die Regierung Ramelow zu verhindern, erreicht werden kann. Und das haben die Thüringer Freunde völlig richtig und klug, selbst entschieden“, so der AfD-Fraktionschef. Auf mögliche Neuwahlen blickt er entspannt: „Wir fürchten uns vor Neuwahlen nicht. Wenn die anderen Neuwahlen wollen, dann bitteschön. Ich fürchte nur, das wird eine böse Überraschung für die anderen Parteien“, sagte Gauland der RTL/n-tv-Redaktion. Stimmenverluste erwarte er nicht. „Das kann man jetzt nicht voraussagen, aber ich glaube nicht, dass wir Stimmen verlieren. Und man muss sehen, welche Mehrheiten dann entstehen“, so der AfD-Politiker.

Kipping: CDU und FDP müssen „unwürdiges Spektakel sofort beenden“

Linken-Chefin Katja Kipping hat die Bundesparteien von CDU und FDP mit scharfen Worten dazu aufgerufen, das „unwürdige Spektakel“ nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen zu beenden. „Wenn Spitzen aus der Union und auch einzelne Stimmen aus der FDP den Sündenfall von Erfurt kritisieren, ist das gut“, sagte Kipping den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitagsausgaben). Verantwortliche Politik messe sich aber an den Taten.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und FDP-Chef Christian Lindner müssten „dieses unwürdige Spektakel sofort beenden. Jeder Tag länger, den diese schmierige Farce andauert, beschädigt die Demokratie in Deutschland und verhöhnt die Opfer faschistischer Gewalt“, so die Linken-Politikerin weiter. Solange der FDP-Landeschef Thomas Kemmerich Ministerpräsident sei, legitimiere das die „Paktiererei der CDU und FDP mit dem Faschisten Höcke, für dessen Partei der Mörder von Walter Lübke Wahlkampf machte“, sagte Kipping den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Autor: dts
Foto: Bleibt Thomas Kemmerich Ministerpräsident in Thüringen oder gibt es bald Neuwahlen?