Berlin | Die FDP hat die Sondierungsverhandlungen über eine Jamaika-Koalition platzen lassen. „Am heutigen Tag wurde keine Bewegung erreicht, sondern es wurden Rückschritte gemacht“, sagte FDP-Chef Christian Lindner umgeben von den FDP-Unterhändlern vor der Landesvertretung von Baden-Württemberg in Berlin, wo die Verhandlungen am Sonntag stattgefunden hatten. Die vier Gesprächspartner hätten keine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft des Landes – „und auch keine Vertrauensbasis“, so Lindner.

„Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte der FDP-Chef. „Er wählt seine Art von populistischer Agitation statt staatspolitischer Verantwortung“, kommentierte Grünen-Unterhändler Reinhard Bütikofer die Worte Lindners. „Sehr schade“, sagte CSU-Unterhändlerin Dorothee Bär.

Nach Sondierungs-Aus: Union und Grüne fallen über FDP her

Nach dem Aus der Sondierungsverhandlungen fallen Union und Grüne über die FDP her. „FDP wollte eigentlich schon heute morgen abbrechen, suchte dafür Schulterschluss mit Union“, twitterte Grünen-Unterhändler Reinhard Bütikofer in der Nacht auf Montag. Als die Union nicht mitgemacht habe, habe sich die FDP „zunächst zum Weiterreden gezwungen“ gesehen.

Die Liberalen hätten schon eine Presseerklärung über den Abbruch der Gespräche abgegeben, bevor Lindner sich aus der Spitzenrunde verabschiedet habe, so Bütikofer. Auch Renate Künast (Grüne) nahm kein Blatt vor den Mund: „Diese Rede ist menschlich, ökologisch, sozial kalt“, kommentierte sie die Worte von FDP-Chef Christian Lindner, der erklärt hatte, dass die Liberalen die Sondierung abbrechen. „Das kann man so machen, wie die FDP es tat, muss man aber nicht“, sagte CDU-Vize Julia Klöckner.

„Gut vorbereitete Spontanität“, kommentierte sie den Auftritt Lindners. „Aber wir gehen weiter respektvoll mit allen um und respektieren die Entscheidung. Anständig wär` es gewesen, wenn alle Parteivorsitzenden gemeinsam den Abbruch hätten verkünden können“, ärgerte sich Klöckner.

Merkel: „Müssen schauen, wie sich die Dinge weiterentwickeln“

Nach dem Sondierungs-Aus hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel ratlos gezeigt. Man werde „schauen müssen, wie sich die Dinge weiterentwickeln“, sagte Merkel um kurz nach 1 Uhr in der Nacht auf Montag. Sie werde den Bundespräsidenten kontaktieren und über den Stand informieren.

Sie kündigte an, weiter geschäftsführend als Bundeskanzlerin im Amt bleiben zu wollen. „Wir werden unser verantwortliches Handeln fortsetzen“, so Merkel. Sie wolle das Land „verantwortungsvoll“ durch die folgenden „schwierigen Wochen“ führen.

In den Sondierungsverhandlungen habe die Union „nichts unversucht gelassen, um doch eine Lösung zu finden“, so die Kanzlerin. Die Grünen hätten sich in den Sondierungen „gewöhnungsbedürftig“ gezeigt, „die FDP sehr entschieden“, so Merkel. Sie sei der Überzeugung, dass eine Koalition möglich war.

Bei der Migration habe es keine großen Differenzen mit der FDP gegeben, auch mit den Grünen sei eine Lösung möglich gewesen, so die Kanzlerin. CSU-Chef Horst Seehofer stimmte der Kanzlerin zu und ergänzte, eine Einigung sei „zum greifen Nahe“ gewesen. Die FDP hatte am späten Sonntagabend die Sondierungsverhandlungen über eine Jamaika-Koalition platzen lassen.

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FDP-Begründung für Sondierungs-Aus im Wortlaut

Die FDP hat am späten Sonntagabend die Sondierungsverhandlungen mit CDU, CSU und Grünen platzen lassen. FDP-Chef Christian Lindner begründete diesen Schritt mit folgendem Wortlaut: „Wir haben Stunden, Tage und Wochen miteinander gerungen. Tage länger, als wir uns vorgenommen hatten. Wir haben als Freie Demokraten zahlreiche Angebote zum Kompromiss unterbreitet: unter anderem in der Steuer-, der Europa-, der Einwanderungs- und der Bildungspolitik. Denn wir wissen, dass Politik vom Ausgleich lebt. Mit knapp elf Prozent kann man nicht den Kurs einer ganzen Republik diktieren. Unsere Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln zeigen wir ja übrigens auch in Regierungsbeteiligungen mit Union, SPD und Grünen in den Ländern. Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor. Dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind sie oft erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen. Wir haben gelernt, dass auch durchaus gravierende Unterschiede zwischen CDU/CSU und FDP überbrückbar gewesen wären. Es ist da auch eine neue politische Nähe, auch menschliche Nähe gewachsen – Aber am heutigen Tag wurde keine neue, keine weitere Bewegung erreicht, sondern es wurden Rückschritte gemacht, weil auch erzielte Kompromisse noch einmal in Frage gestellt worden sind.
Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten. Eine Vertrauensbasis und eine gemeinsam geteilte Idee wären aber die Voraussetzung für stabiles Regieren. Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren auf Deutschland in Europa und der Welt zukommt. Aber wenn dann vier Partner schon nicht in der Lage sind, schon bei dem Absehbaren einen gemeinsamen Plan zu entwickeln nach so langer Zeit und so intensivem Ringen, ist das keine Voraussetzung, dass auch auf das Unvorhersehbare angemessen reagiert werden kann. Wir werfen ausdrücklich niemandem vor, keinem unserer drei Gesprächspartner, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch für unsere Prinzipien, für unsere Haltung. Unser Einsatz für die Freiheit des Einzelnen in einer dynamischen Gesellschaft, die auf ihn vertraut, die war nicht hinreichend repräsentiert in diesem Papier. Und wir haben heute, an diesem bescheidenen Tag, nicht den Eindruck gewonnen, obwohl allen die Dramatik der Situation bewusst war, dass dieser Geist grundlegend veränderbar gewesen wäre.Die Freien Demokraten sind für Trendwenden gewählt worden. Und wer sich dieses Dokument ansieht: Es war nicht zu ambitioniert, es war nicht unrealistisch, sondern maßvoll. Wir sind für diese Trendwenden gewählt worden, aber sie waren nicht erreichbar, nicht in der Bildungspolitik, nicht bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, nicht bei der Flexibilisierung unserer Gesellschaft, nicht bei der Stärkung der Marktwirtschaft – und bis zur Stunde auch nicht bei einer geordneten Einwanderungspolitik. Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten. Viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das, wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Auf Wiedersehen.“

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Autor: dts
Foto: „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, sagte FDP-Chef Christian Lindner.