Berlin | Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat seiner Partei vorgeworfen, die wahren Gründe für die Niederlage bei der Bundestagswahl zu verdrängen: „Die Behauptung, die späte Benennung des Kandidaten sei ein Fehler gewesen, ist aus meiner Sicht nur eine Ausrede, um sich mit den wirklichen Gründen für die Wahlniederlage nicht beschäftigen zu müssen“, sagte Gabriel der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Als einen zentralen Grund für die Niederlage nannte Gabriel die Wahlkampfstrategie mit ihrer Fixierung auf das Thema soziale Gerechtigkeit. Der Slogan „Zeit für Gerechtigkeit“ sei problematisch für eine Partei, die von den letzten zwanzig Jahren sechzehn in der Regierung verbracht habe.

„Der Slogan zeigte geradezu sinnbildlich, dass die SPD immer noch nach innen blickt, auf eine schwärende Wunde: die Sozialreformen der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder“, so Gabriel. „Zeit für Gerechtigkeit“ sei der Ausdruck der Sehnsucht gewesen, sich davon endlich zu befreien. „Das aber war nicht das Problem der Mehrheit der Wähler, sondern ein Problem der Innensicht der SPD“, so Gabriel.

Wähler schauten lieber in die Zukunft: „Ihre Fragen nach Sicherheit, der Bewältigung der Digitalisierung und auch die Zerrissenheit vieler Menschen in der Flüchtlingsfrage sind von uns nicht mit einem optimistischen Zukunftsentwurf beantwortet worden.“ Ein weiterer Fehler sei es gewesen, die Sorgen der Menschen vor Zuwanderung nicht offen anzusprechen. Die SPD habe dies aus „panischer Angst“, dadurch der AfD zu nützen, versäumt.

Auch jetzt, nach der Wahlniederlage, trauten sich große Teile der SPD nicht, über dieses Thema zu sprechen. „Stattdessen werden irgendwelche Nebensächlichkeiten des Wahlkampfes diskutiert“, so Gabriel. Die SPD verliere in unsicheren Zeiten am meisten, „weil wir die Partei sind, von der unsere Wählerinnen und Wähler Sicherheit im Wandel erwarten. Wenn wir das nur unzureichend bieten, dann verlieren wir sie erst an die Nichtwähler und dann an andere Parteien“. Gabriel kündigte an, seiner Partei künftig als „Wasserträger“ dienen zu wollen. „Ich will versuchen, mit Patenschaften neue SPD-Ortsvereine dort zu gründen, wo es die SPD gar nicht mehr gibt. In Ostdeutschland etwa.“

Autor: dts