Berlin | Nach dem Desaster um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk treibt das Verteidigungsministerium trotz erheblicher Zweifel ein weiteres milliardenschweres Rüstungsprojekt voran, über das die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) in ihrer Montagsausgabe berichtet. Ein unter Verschluss gehaltener Bericht der Bundeswehr kommt zu dem Ergebnis, dass der Hubschrauber NH90 als „mehrrollenfähiger Hubschrauber“ in der Marine ungeeignet sei. Trotzdem plant das Verteidigungsministerium 18 „NH90“ in der Version „NFH NGEN Sea Lion“ im Wert von 915 Millionen Euro für die Seestreitkräfte zu kaufen.

Die Hubschrauber werden vom deutsch-französisch-spanischen Luftfahrtunternehmen Eurocopter hergestellt. Der Bericht vom Juli 2011, der der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegt, fasst das Ergebnis einer Ausschreibung zusammen, in deren Folge sich die Marine für die Beschaffung eines Hubschraubers der amerikanischen Firma Sikorsky ausgesprochen hatte. Das Bieterverfahren wurde jedoch vom Verteidigungsministerium Ende Oktober 2011 mit der Begründung aufgehoben, die erforderlichen Haushaltsmittel stünden nicht zur Verfügung.

Im März dieses Jahres vergab das Verteidigungsministerium den Auftrag über die Marinehubschrauber dann ohne neue Ausschreibung an Eurocopter. Dabei setzte es sich über die vom Verteidigungsausschuss erhobene Forderung hinweg, das Vorhaben zunächst im Parlament zu beraten. Mit der Koalitionsmehrheit genehmigte der Haushaltsausschuss Ende Juni die Auftragsvergabe.

Marineoffiziere schätzen, mit dem Kauf der „Sea Lion“ käme es zu Folgekosten von 2,75 Milliarden Euro. Davon profitiere vor allem Eurocopter. SPD-Verteidigungsfachmann Hans-Peter Bartels wirft Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) ein „abgekartetes Spiel mit der Rüstungsindustrie zu Lasten der operationellen Einsatzfähigkeit der Marine“ vor.

„Das Vorgehen ist absolut inakzeptabel“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der verteidigungspolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, spricht von einem „unfassbaren Vorgang am Parlament vorbei“. Der Bundesrechnungshof hat das Vorgehen des Verteidigungsministeriums öffentlich als wettbewerbswidrig gerügt und diese Rüge in einem als „VS-Vertraulich“ eingestuften Bericht im Juni begründet. Es werde verhindert, „dass andere Unternehmen die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Vergabeverfahren“ für den Marine-Auftrag hätten, schreiben die Rechnungsprüfer. Es sei zweifelhaft, ob das Ministerium die Gebote der Wirtschaftlichkeit und Chancengleichheit „hinreichend beachtet“ habe. Das Verteidigungsministerium weist die Kritik am Vergabeverfahren zurück. Es bestehe keine Verpflichtung zur Ausschreibung, sagte ein Ministeriumssprecher der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bei der Europäischen Kommission in Brüssel ist inzwischen eine Beschwerde gegen das Vorgehen des Verteidigungsministeriums eingegangen. De Maizière und Rüstungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans werden darin „mögliche Verstöße“ gegen das europäische Wettbewerbs- und Vergaberecht vorgeworfen.

Autor: dts