Berlin | Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich selbstkritisch über ihre Politik während der Flüchtlingskrise 2015 geäußert. Es sei „naiv“ gewesen, zu hoffen, dass die Syrien-Krise Deutschland nicht betreffen werde, sagte Merkel am Mittwochnachmittag im Bundestag in ihrer ersten Regierungserklärung zur neuen Großen Koalition und dem gemeinsamen Regierungsprogramm von Union und SPD. „Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir, und ich sage auch ich, und auch viele unserer Partner in der EU und der Nato zu lange und zu halbherzig reagiert, oder einfach gehofft haben, dass uns diese Probleme nicht direkt betreffen werden.“

Die Integrations-Debatte habe Deutschland „gespalten und polarisiert“. Der Streit über ihren Satz „Wir schaffen das“ sei zu „einer Art Kristallisationspunkt“ dieser Auseinandersetzung geworden. „Trotzdem haben wir diese Aufgabe im Großen und Ganzen bewältigt“, sagte Merkel.

Die Kanzlerin machte deutlich, dass sich eine solche Krise wie 2015 nicht wiederholen dürfe. In diesem Zusammenhang verteidigte sie das EU-Türkei-Abkommen. Dieses sei „allemal besser“, als „dem Sterben in der Ägäis“ tatenlos zuzusehen.

Merkel äußerte sich aber auch kritisch zur Türkei. Deren Vorgehen in Afrin verurteilte sie „auf das Schärfste“. Die Kanzlerin schaltete sich auch in die Debatte ein, die Innenminister Horst Seehofer (CSU) mit seinem Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ angestoßen hatte.

Der Islam sei inzwischen ein „Teil Deutschlands geworden“, sagte Merkel. Zu den schwierigen Umständen der Regierungsbildung sagte die Kanzlerin, dass diese darauf hindeuteten, dass sich in Deutschland „was verändert hat“. Obwohl Deutschland gut dastehe, machten sich viele Menschen Sorgen um ihren Zukunft. „Uns hat während der Koalitionsverhandlungen die Frage beschäftigt, wie wir nach vier Jahren in der letzten Großen Koalition in dieser besonderen Situation unseres Landes die richtigen Antworten geben können“, so Merkel.

Gauland: „Masseneinwanderung geht unbegrenzt weiter“

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, in der Flüchtlingspolitik versagt zu haben. „Die Masseneinwanderung geht unbegrenzt weiter“, sagte Gauland am Mittwochnachmittag im Bundestag. „Allein der Zufall und die Wetterkonditionen auf dem Mittelmeer, entscheiden über die Zahl der Neuankömmlinge“, sagte der AfD-Fraktionschef.

„Weder im Wahlkampf noch im Koalitionsvertrag noch in der Regierungserklärung spielen Attentäter, Messermorde und Vergewaltigungen eine Rolle.“ Auch die „Tatsache, dass die Kriminalitätsrate unter Migranten erheblich höher ist als unter Einheimischen“, werde nicht beachtet. Die „aberwitzigen Kosten der illegalen Zuwanderung in Höhe von 50 Milliarden Euro jährlich“ würden ebenfalls ignoriert, so Gauland.

Zuvor hatte Merkel in ihrer ersten Regierungserklärung zur neuen Großen Koalition die Schwerpunkte des gemeinsamen Regierungsprogramms von Union und SPD erläutert. Dabei hatte sie zunächst einen Fokus auf die Migrations- und Integrationspolitik gelegt und sich auch selbstkritisch über ihre Politik im Vorfeld der Flüchtlingskrise 2015 geäußert. Anschließend stellte sie die wichtigsten GroKo-Projekte, wie zum Beispiel die Bekämpfung von Kinderarmut und eine Investitionsoffensive in der Bildung, noch einmal vor. Als größte Oppositionsfraktion durfte die AfD als erste auf Merkels Regierungserklärung antworten.

Autor: Andi Godts